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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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burgisch, dem Se. Kilian zugehörig, reichsritterschaftlich und jüdisch, die
Nordseite dagegen unbasaltisch, kirchlich mainzisch, dem heiligen Bonifaz an¬
gehörig, nicht reichsritterschaftlich und unjüdisch war, wol aber muß als wichtig
erachtet werden, daß im Volke von alter Zeit her jene Seite die fränkische,
diese die thüringische heißt und danach Flüsse, Berge und Steige benannt
werden, wie man selbst am Nordfuß sagt: "draußen in Franken" und am
Südfuß: "drinnen in Thüringen." Dies alles und andres mehr deutet auf
einen uralten Natur- und Völkergegensatz beider Gebirgsseiten, der sich nicht
erst vom Jahre 528 n. Chr. an datirt.

Der thüringer Wald dehnt sich gegen 36 Stunden aus und erfüllt ein
zwischen Eisenach, Marksuhl und der leutenberger Sormitz ausgespanntes, circa
46 ^Meilen großes Viereck. Eine einzige langgestreckte Are (Rennstieglinie),
welche die Seele des Ganzen ist, gleiche Richtung, Meereshöhe, Stellung und
Bestimmung und außerdem im ganzen sanfte, weiche Formen bilden die Einheit
des schönen Bergzugs, und soweit dieser gemeinsame Charakter scharf heraus¬
tritt, reicht auch bedeutungsvoll der Name thüringer Wald; wo aber die Are
ins Niveau der anstoßenden Platten verschwimmt, weicht er im Volke andern
Benennungen.

Diese Einheit des Zugs ist jedoch, was Breite, Thalbildung und Thal¬
richtung betrifft, in zwei wesentlich verschiedene Theile, in einen südöstlichen
und einen nordwestlichen, auseinandergelegt. Weil aber jede äußere Form der
Erdoberfläche von dem innern Bau derselben mit plastischer Nothwendigkeit
abhängt, so muß auch die charakteristische Gestalt des thüringer Waldes sei¬
nem innern Gebild genau entsprechen, so daß derselbe als ein ebenso eigen¬
thümlich geologisches, als geographisches Individuum zu fassen ist.

Das Inwendige des thüringer Gebirgs hat zwei verschiedene Hauptbil¬
dungen, deren Grenze auf der Linie zwischen Eisfeld und Amt Gehren, also
in der Mitte der Kette liegt, und eben hier zeigt sich auch der stärkste Gesteins¬
kampf, das roheste Durcheinander der Massen, die bedeutendste Krümmung der
Are mit weit vorgeschleuderten excentrischen Kaps und der Sprung der schma¬
len Form in die breite und rückenhaltige des Bergzugs. Die Folge dieser Win-
kelung und Verkrümmung ist der Quellknoten des Rheins, der Elbe und
Weser.

Der Nordwest besteht wesentlich aus Rothliegenden und aus Porphyr.
Jene Formation zerlegt sich hier in eine untere, kohlenführende und in eine
obere, durch braunrothe Conglomerate markirte; diese theilt sich in Glimmer-
Porphyr und Quarzporphyr ab, von denen die letztere am stärksten, nicht
allein in den mannigfachsten Varietäten, sondern auch als die höchsten Berg¬
köpfe bildend auftritt. Zur Seite dieser Formationen, ihnen untergeordnet,
zugleich aber von denselben vielfach durchsetzt und gewandelt, erheben sich in


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burgisch, dem Se. Kilian zugehörig, reichsritterschaftlich und jüdisch, die
Nordseite dagegen unbasaltisch, kirchlich mainzisch, dem heiligen Bonifaz an¬
gehörig, nicht reichsritterschaftlich und unjüdisch war, wol aber muß als wichtig
erachtet werden, daß im Volke von alter Zeit her jene Seite die fränkische,
diese die thüringische heißt und danach Flüsse, Berge und Steige benannt
werden, wie man selbst am Nordfuß sagt: „draußen in Franken" und am
Südfuß: „drinnen in Thüringen." Dies alles und andres mehr deutet auf
einen uralten Natur- und Völkergegensatz beider Gebirgsseiten, der sich nicht
erst vom Jahre 528 n. Chr. an datirt.

Der thüringer Wald dehnt sich gegen 36 Stunden aus und erfüllt ein
zwischen Eisenach, Marksuhl und der leutenberger Sormitz ausgespanntes, circa
46 ^Meilen großes Viereck. Eine einzige langgestreckte Are (Rennstieglinie),
welche die Seele des Ganzen ist, gleiche Richtung, Meereshöhe, Stellung und
Bestimmung und außerdem im ganzen sanfte, weiche Formen bilden die Einheit
des schönen Bergzugs, und soweit dieser gemeinsame Charakter scharf heraus¬
tritt, reicht auch bedeutungsvoll der Name thüringer Wald; wo aber die Are
ins Niveau der anstoßenden Platten verschwimmt, weicht er im Volke andern
Benennungen.

Diese Einheit des Zugs ist jedoch, was Breite, Thalbildung und Thal¬
richtung betrifft, in zwei wesentlich verschiedene Theile, in einen südöstlichen
und einen nordwestlichen, auseinandergelegt. Weil aber jede äußere Form der
Erdoberfläche von dem innern Bau derselben mit plastischer Nothwendigkeit
abhängt, so muß auch die charakteristische Gestalt des thüringer Waldes sei¬
nem innern Gebild genau entsprechen, so daß derselbe als ein ebenso eigen¬
thümlich geologisches, als geographisches Individuum zu fassen ist.

Das Inwendige des thüringer Gebirgs hat zwei verschiedene Hauptbil¬
dungen, deren Grenze auf der Linie zwischen Eisfeld und Amt Gehren, also
in der Mitte der Kette liegt, und eben hier zeigt sich auch der stärkste Gesteins¬
kampf, das roheste Durcheinander der Massen, die bedeutendste Krümmung der
Are mit weit vorgeschleuderten excentrischen Kaps und der Sprung der schma¬
len Form in die breite und rückenhaltige des Bergzugs. Die Folge dieser Win-
kelung und Verkrümmung ist der Quellknoten des Rheins, der Elbe und
Weser.

Der Nordwest besteht wesentlich aus Rothliegenden und aus Porphyr.
Jene Formation zerlegt sich hier in eine untere, kohlenführende und in eine
obere, durch braunrothe Conglomerate markirte; diese theilt sich in Glimmer-
Porphyr und Quarzporphyr ab, von denen die letztere am stärksten, nicht
allein in den mannigfachsten Varietäten, sondern auch als die höchsten Berg¬
köpfe bildend auftritt. Zur Seite dieser Formationen, ihnen untergeordnet,
zugleich aber von denselben vielfach durchsetzt und gewandelt, erheben sich in


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[0211] burgisch, dem Se. Kilian zugehörig, reichsritterschaftlich und jüdisch, die Nordseite dagegen unbasaltisch, kirchlich mainzisch, dem heiligen Bonifaz an¬ gehörig, nicht reichsritterschaftlich und unjüdisch war, wol aber muß als wichtig erachtet werden, daß im Volke von alter Zeit her jene Seite die fränkische, diese die thüringische heißt und danach Flüsse, Berge und Steige benannt werden, wie man selbst am Nordfuß sagt: „draußen in Franken" und am Südfuß: „drinnen in Thüringen." Dies alles und andres mehr deutet auf einen uralten Natur- und Völkergegensatz beider Gebirgsseiten, der sich nicht erst vom Jahre 528 n. Chr. an datirt. Der thüringer Wald dehnt sich gegen 36 Stunden aus und erfüllt ein zwischen Eisenach, Marksuhl und der leutenberger Sormitz ausgespanntes, circa 46 ^Meilen großes Viereck. Eine einzige langgestreckte Are (Rennstieglinie), welche die Seele des Ganzen ist, gleiche Richtung, Meereshöhe, Stellung und Bestimmung und außerdem im ganzen sanfte, weiche Formen bilden die Einheit des schönen Bergzugs, und soweit dieser gemeinsame Charakter scharf heraus¬ tritt, reicht auch bedeutungsvoll der Name thüringer Wald; wo aber die Are ins Niveau der anstoßenden Platten verschwimmt, weicht er im Volke andern Benennungen. Diese Einheit des Zugs ist jedoch, was Breite, Thalbildung und Thal¬ richtung betrifft, in zwei wesentlich verschiedene Theile, in einen südöstlichen und einen nordwestlichen, auseinandergelegt. Weil aber jede äußere Form der Erdoberfläche von dem innern Bau derselben mit plastischer Nothwendigkeit abhängt, so muß auch die charakteristische Gestalt des thüringer Waldes sei¬ nem innern Gebild genau entsprechen, so daß derselbe als ein ebenso eigen¬ thümlich geologisches, als geographisches Individuum zu fassen ist. Das Inwendige des thüringer Gebirgs hat zwei verschiedene Hauptbil¬ dungen, deren Grenze auf der Linie zwischen Eisfeld und Amt Gehren, also in der Mitte der Kette liegt, und eben hier zeigt sich auch der stärkste Gesteins¬ kampf, das roheste Durcheinander der Massen, die bedeutendste Krümmung der Are mit weit vorgeschleuderten excentrischen Kaps und der Sprung der schma¬ len Form in die breite und rückenhaltige des Bergzugs. Die Folge dieser Win- kelung und Verkrümmung ist der Quellknoten des Rheins, der Elbe und Weser. Der Nordwest besteht wesentlich aus Rothliegenden und aus Porphyr. Jene Formation zerlegt sich hier in eine untere, kohlenführende und in eine obere, durch braunrothe Conglomerate markirte; diese theilt sich in Glimmer- Porphyr und Quarzporphyr ab, von denen die letztere am stärksten, nicht allein in den mannigfachsten Varietäten, sondern auch als die höchsten Berg¬ köpfe bildend auftritt. Zur Seite dieser Formationen, ihnen untergeordnet, zugleich aber von denselben vielfach durchsetzt und gewandelt, erheben sich in 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/211>, abgerufen am 01.09.2024.