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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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zwei Massen, in eine ober- und niederdeutsche, und darum hat sein Gebirgs¬
grat auch schon in tieser Frühzeit schlechthin den Namen Rcnnstieg, d. i. Rain¬
oder Grenzweg erhalten. Obwol zu allen Zeiten Einwirkungen und Einwan¬
derungen vom Norden Deutschlands nach seinem Süden und umgekehrt er¬
folgten, obwol baierische Biere, pfälzer Weine, fränkische Ochsen und tiroler
Lederwaaren und Teppiche nach Norden, und umgekehrt Magdeburger Zucker,
Nordhäuser Branntwein, sächsische Tuchwaaren und Berliner Witze und Pickel¬
hauben in den Süden greifen, obwol die Politik über den thüringer Wald
herüber und hinüber gewirthschaftet hat, die individuelle Besonderheit des
süddeutschen Volkes ist dadurch ebensowenig verändert worden als die des
norddeutschen. Wir greifen von den vielen den Süden vom Norden trennen¬
den Haupteigenthümlichkeiten nur eine einzige und diese darum heraus, weil
sie weniger beachtet wird, aber ebenso fest und unverrückbar liegt, als die
meisten der übrigen. Wer mit der Stimmgabel Deutschland durchzieht und
auf den Sprechton der Völker messend lauscht, wird finden, daß der Süd¬
länder zwei bis drei Töne tiefer spricht, als der Nordländer. Der "jute König"
der Berliner und der "gute Käser" der Wiener oder ,,wie beliebt" der Ham¬
burger und "was Schöffens" der Linzer, wie hoch klingt jenes bei den Tief¬
deutschen, wie tief dieses bei den Hochdeutschen! Daß jene mit der Zungen¬
spitze, diese aus der weithäutigen Kehle sprechen, daran ist sicher nicht dort
Branntwein und Thee, hier Bier und Wein schuld. Eine Hauptscheide dieser
differenten Sprechtöne liegt im thüringer Wald, dessen Südfuß sofort ins
Tiefe, dessen Nordfuß ins Hohe überschlägt. Das "Schoa LMa" der Koburger
und das "Achherjechen" der Weimaraner klingen um 2 Töne auseinander,
letzteres so hoch, als das "na berufe nur na sennse" der Erzleipziger. Auch
was den Zeitverbrauch beim Sprechen betrifft, könnte mit der Secundenuhr
ein gleich scharfer, allgemeiner Unterschied für den Norden und Süden Deutsch¬
lands nachgewiesen und namentlich das Sprechen dort als geschleudert, den
Gedanken vorausjagend, hier als geklemmt und bequemlich, den Gedanken
gemüthlich nachschlcndernd bezeichnet werden.

Die Wogen des süddeutschen Lebens wie des norddeutschen prallten an
das thüringer Gebirge an, schlugen aber nur selten darüber. Die Nothwen¬
digkeit politischer, socialer und merkantiler Verbindung des deutschen Nordens
und Südens hat zwar bereits in uralter Zeit den thüringer Wald mit wich¬
tigen, von Burgen und Kapellen begleiteten.Straßen durchbrochen, wie na¬
mentlich die Straßen über Altenstein, über Schmalkalden, Oberhof, Frauen¬
wald, Neustadt, Jubenbach und die Jüdenstraße über den lichtentanner Haide-
rücken, aber bei dem allen ist der Rennstieg die unverrückte Grenze der Sprache,
Sitte und Eigenthümlichkeit in Haus und Leben. Man mag darauf kein Ge¬
wicht legen, daß die Südseite des thüringer Waldes basaltisch, kirchlich würz-


zwei Massen, in eine ober- und niederdeutsche, und darum hat sein Gebirgs¬
grat auch schon in tieser Frühzeit schlechthin den Namen Rcnnstieg, d. i. Rain¬
oder Grenzweg erhalten. Obwol zu allen Zeiten Einwirkungen und Einwan¬
derungen vom Norden Deutschlands nach seinem Süden und umgekehrt er¬
folgten, obwol baierische Biere, pfälzer Weine, fränkische Ochsen und tiroler
Lederwaaren und Teppiche nach Norden, und umgekehrt Magdeburger Zucker,
Nordhäuser Branntwein, sächsische Tuchwaaren und Berliner Witze und Pickel¬
hauben in den Süden greifen, obwol die Politik über den thüringer Wald
herüber und hinüber gewirthschaftet hat, die individuelle Besonderheit des
süddeutschen Volkes ist dadurch ebensowenig verändert worden als die des
norddeutschen. Wir greifen von den vielen den Süden vom Norden trennen¬
den Haupteigenthümlichkeiten nur eine einzige und diese darum heraus, weil
sie weniger beachtet wird, aber ebenso fest und unverrückbar liegt, als die
meisten der übrigen. Wer mit der Stimmgabel Deutschland durchzieht und
auf den Sprechton der Völker messend lauscht, wird finden, daß der Süd¬
länder zwei bis drei Töne tiefer spricht, als der Nordländer. Der „jute König"
der Berliner und der „gute Käser" der Wiener oder ,,wie beliebt" der Ham¬
burger und „was Schöffens" der Linzer, wie hoch klingt jenes bei den Tief¬
deutschen, wie tief dieses bei den Hochdeutschen! Daß jene mit der Zungen¬
spitze, diese aus der weithäutigen Kehle sprechen, daran ist sicher nicht dort
Branntwein und Thee, hier Bier und Wein schuld. Eine Hauptscheide dieser
differenten Sprechtöne liegt im thüringer Wald, dessen Südfuß sofort ins
Tiefe, dessen Nordfuß ins Hohe überschlägt. Das „Schoa LMa" der Koburger
und das „Achherjechen" der Weimaraner klingen um 2 Töne auseinander,
letzteres so hoch, als das „na berufe nur na sennse" der Erzleipziger. Auch
was den Zeitverbrauch beim Sprechen betrifft, könnte mit der Secundenuhr
ein gleich scharfer, allgemeiner Unterschied für den Norden und Süden Deutsch¬
lands nachgewiesen und namentlich das Sprechen dort als geschleudert, den
Gedanken vorausjagend, hier als geklemmt und bequemlich, den Gedanken
gemüthlich nachschlcndernd bezeichnet werden.

Die Wogen des süddeutschen Lebens wie des norddeutschen prallten an
das thüringer Gebirge an, schlugen aber nur selten darüber. Die Nothwen¬
digkeit politischer, socialer und merkantiler Verbindung des deutschen Nordens
und Südens hat zwar bereits in uralter Zeit den thüringer Wald mit wich¬
tigen, von Burgen und Kapellen begleiteten.Straßen durchbrochen, wie na¬
mentlich die Straßen über Altenstein, über Schmalkalden, Oberhof, Frauen¬
wald, Neustadt, Jubenbach und die Jüdenstraße über den lichtentanner Haide-
rücken, aber bei dem allen ist der Rennstieg die unverrückte Grenze der Sprache,
Sitte und Eigenthümlichkeit in Haus und Leben. Man mag darauf kein Ge¬
wicht legen, daß die Südseite des thüringer Waldes basaltisch, kirchlich würz-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/210>, abgerufen am 01.09.2024.