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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Genügsamkeit und Arbeitsamkeit würden die Leute auch in Armuth verküm¬
mern, denn nur die sorgfältigste Cultur macht den Boden erzeugungssähig;
dennoch tragt er nirgends Weizen, Gerste nur selten und von Roggen, Hafer
und Heidekorn oft kaum das vierte Korn. Die Ländereien, welche zu den ein¬
zelnen Wirthschaften gehören, sind deshalb auch sehr groß, und 60 bis 100
Magdeburger Morgen Ackerland bilden noch kein übergroßes Bauergut, wie
es der Wirth mit einem Knechte allein bestellen muß.

Dem Wenden geht dabei die Arbeit schnell von der Hand. Ueberhaupt
ist Lebhaftigkeit und Geschwätzigkeit der Hauptzug seines Wesens. Man braucht
nur einigen der jungen Mädchen auf der Landstraße zu begegnen, wenn sie
mit ihren kurzen Friesröcken, die kaum die Knie bedecken, im schnellen Schritt
nach der Stadt eilen, und man wird stets wahrnehmen können, daß ihr Rede¬
fluß, obschon sie alle zugleich sprechen, sast nie unterbrochen ist. Gegen Fremde
dagegen sind sie zurückhaltend und schüchtern; jedoch sollen im ganzen ihre
Herzen nicht schwer für die Liebe empfänglich sein und es ist eine stehende
Klage der Geistlichen, daß die Zahl der Kinder ohne Vater in den Kirch¬
büchern gar zu groß sei. Von Natur sind sie groß und schlank, ohne dabei
dürftig zu sein, in der Regel von sehr weißer Hautfarbe, mit gesunder Nöthe
und lebhaften blauen oder grauen, selten braunen Augen, die beständig mun¬
ter im Kopfe umherblicken. Ihre Züge sind im ganzen nicht unedel, die
starken, nach der Seite hin vorspringenden Knochen unter den Augen, welche
den breiten slawischen Gesichtern eigen sind, findet man bei ihnen nicht so
stark ausgebildet, dagegen haben sie auch die niedrige slawische Stirn mit der
starken Knochenbildung über den Augenbrauen. Ihre Tracht ist fast in jedem
Dorfe verschieden, besonders der oft sehr entstellende Kopfputz, welcher aber
bei allen der Art ist, daß die ganzen Haare verdeckt werden. Am meisten
lieben sie bunte Farben (weiß ist Trauerfarbe) und je greller das Kops- und
Brusttuch oder das Halstuch der jungen Burschen ist, sür desto schöner gilt
es. Die Männer gleichen im ganzen den Frauen, nur sind sie noch größer,
kräftiger und muskulöser. Früher, als diese Gegend zum Theil noch sächsisch
war, lieferten sie den Hauptstamm zu der Dresdner Königsgarde, während
sie jetzt fast alle zur preußischen Garde oder zu den Kürassier- und Artillerie-
regimentern eingezogen werden, wo sie dann wahrlich nicht dazu beitragen, den
schönen Anblick derselben zu stören.

Ein sehr in die Augen fallender Unterschied, wodurch sich die Wenden
wol vor allen Slawen sehr vortheilhaft auszeichnen, ist ihre außerordentliche
Reinlichkeit. Ihr ganzes Haus ist, soweit es die Landwirthschaft erlaubt,
reinlich gehalten, das Geschirr ist glänzend aufgeputzt, die weißen kiefernen
Bänke und Tische sind stets mit Sand so blank gescheuert, daß man auch ohne
Tischtuch gern an denselben Platz nimmt. Auch die Wände in den hölzernen


Genügsamkeit und Arbeitsamkeit würden die Leute auch in Armuth verküm¬
mern, denn nur die sorgfältigste Cultur macht den Boden erzeugungssähig;
dennoch tragt er nirgends Weizen, Gerste nur selten und von Roggen, Hafer
und Heidekorn oft kaum das vierte Korn. Die Ländereien, welche zu den ein¬
zelnen Wirthschaften gehören, sind deshalb auch sehr groß, und 60 bis 100
Magdeburger Morgen Ackerland bilden noch kein übergroßes Bauergut, wie
es der Wirth mit einem Knechte allein bestellen muß.

Dem Wenden geht dabei die Arbeit schnell von der Hand. Ueberhaupt
ist Lebhaftigkeit und Geschwätzigkeit der Hauptzug seines Wesens. Man braucht
nur einigen der jungen Mädchen auf der Landstraße zu begegnen, wenn sie
mit ihren kurzen Friesröcken, die kaum die Knie bedecken, im schnellen Schritt
nach der Stadt eilen, und man wird stets wahrnehmen können, daß ihr Rede¬
fluß, obschon sie alle zugleich sprechen, sast nie unterbrochen ist. Gegen Fremde
dagegen sind sie zurückhaltend und schüchtern; jedoch sollen im ganzen ihre
Herzen nicht schwer für die Liebe empfänglich sein und es ist eine stehende
Klage der Geistlichen, daß die Zahl der Kinder ohne Vater in den Kirch¬
büchern gar zu groß sei. Von Natur sind sie groß und schlank, ohne dabei
dürftig zu sein, in der Regel von sehr weißer Hautfarbe, mit gesunder Nöthe
und lebhaften blauen oder grauen, selten braunen Augen, die beständig mun¬
ter im Kopfe umherblicken. Ihre Züge sind im ganzen nicht unedel, die
starken, nach der Seite hin vorspringenden Knochen unter den Augen, welche
den breiten slawischen Gesichtern eigen sind, findet man bei ihnen nicht so
stark ausgebildet, dagegen haben sie auch die niedrige slawische Stirn mit der
starken Knochenbildung über den Augenbrauen. Ihre Tracht ist fast in jedem
Dorfe verschieden, besonders der oft sehr entstellende Kopfputz, welcher aber
bei allen der Art ist, daß die ganzen Haare verdeckt werden. Am meisten
lieben sie bunte Farben (weiß ist Trauerfarbe) und je greller das Kops- und
Brusttuch oder das Halstuch der jungen Burschen ist, sür desto schöner gilt
es. Die Männer gleichen im ganzen den Frauen, nur sind sie noch größer,
kräftiger und muskulöser. Früher, als diese Gegend zum Theil noch sächsisch
war, lieferten sie den Hauptstamm zu der Dresdner Königsgarde, während
sie jetzt fast alle zur preußischen Garde oder zu den Kürassier- und Artillerie-
regimentern eingezogen werden, wo sie dann wahrlich nicht dazu beitragen, den
schönen Anblick derselben zu stören.

Ein sehr in die Augen fallender Unterschied, wodurch sich die Wenden
wol vor allen Slawen sehr vortheilhaft auszeichnen, ist ihre außerordentliche
Reinlichkeit. Ihr ganzes Haus ist, soweit es die Landwirthschaft erlaubt,
reinlich gehalten, das Geschirr ist glänzend aufgeputzt, die weißen kiefernen
Bänke und Tische sind stets mit Sand so blank gescheuert, daß man auch ohne
Tischtuch gern an denselben Platz nimmt. Auch die Wände in den hölzernen


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[0172] Genügsamkeit und Arbeitsamkeit würden die Leute auch in Armuth verküm¬ mern, denn nur die sorgfältigste Cultur macht den Boden erzeugungssähig; dennoch tragt er nirgends Weizen, Gerste nur selten und von Roggen, Hafer und Heidekorn oft kaum das vierte Korn. Die Ländereien, welche zu den ein¬ zelnen Wirthschaften gehören, sind deshalb auch sehr groß, und 60 bis 100 Magdeburger Morgen Ackerland bilden noch kein übergroßes Bauergut, wie es der Wirth mit einem Knechte allein bestellen muß. Dem Wenden geht dabei die Arbeit schnell von der Hand. Ueberhaupt ist Lebhaftigkeit und Geschwätzigkeit der Hauptzug seines Wesens. Man braucht nur einigen der jungen Mädchen auf der Landstraße zu begegnen, wenn sie mit ihren kurzen Friesröcken, die kaum die Knie bedecken, im schnellen Schritt nach der Stadt eilen, und man wird stets wahrnehmen können, daß ihr Rede¬ fluß, obschon sie alle zugleich sprechen, sast nie unterbrochen ist. Gegen Fremde dagegen sind sie zurückhaltend und schüchtern; jedoch sollen im ganzen ihre Herzen nicht schwer für die Liebe empfänglich sein und es ist eine stehende Klage der Geistlichen, daß die Zahl der Kinder ohne Vater in den Kirch¬ büchern gar zu groß sei. Von Natur sind sie groß und schlank, ohne dabei dürftig zu sein, in der Regel von sehr weißer Hautfarbe, mit gesunder Nöthe und lebhaften blauen oder grauen, selten braunen Augen, die beständig mun¬ ter im Kopfe umherblicken. Ihre Züge sind im ganzen nicht unedel, die starken, nach der Seite hin vorspringenden Knochen unter den Augen, welche den breiten slawischen Gesichtern eigen sind, findet man bei ihnen nicht so stark ausgebildet, dagegen haben sie auch die niedrige slawische Stirn mit der starken Knochenbildung über den Augenbrauen. Ihre Tracht ist fast in jedem Dorfe verschieden, besonders der oft sehr entstellende Kopfputz, welcher aber bei allen der Art ist, daß die ganzen Haare verdeckt werden. Am meisten lieben sie bunte Farben (weiß ist Trauerfarbe) und je greller das Kops- und Brusttuch oder das Halstuch der jungen Burschen ist, sür desto schöner gilt es. Die Männer gleichen im ganzen den Frauen, nur sind sie noch größer, kräftiger und muskulöser. Früher, als diese Gegend zum Theil noch sächsisch war, lieferten sie den Hauptstamm zu der Dresdner Königsgarde, während sie jetzt fast alle zur preußischen Garde oder zu den Kürassier- und Artillerie- regimentern eingezogen werden, wo sie dann wahrlich nicht dazu beitragen, den schönen Anblick derselben zu stören. Ein sehr in die Augen fallender Unterschied, wodurch sich die Wenden wol vor allen Slawen sehr vortheilhaft auszeichnen, ist ihre außerordentliche Reinlichkeit. Ihr ganzes Haus ist, soweit es die Landwirthschaft erlaubt, reinlich gehalten, das Geschirr ist glänzend aufgeputzt, die weißen kiefernen Bänke und Tische sind stets mit Sand so blank gescheuert, daß man auch ohne Tischtuch gern an denselben Platz nimmt. Auch die Wände in den hölzernen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/172>, abgerufen am 01.09.2024.