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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Häusern, wenn sie, wie dies nicht selten geschieht, mit Bietern von demselben
Holze bekleidet sind, muß eine ordentliche Wirthin von Zeit zu Zeit waschen,
so daß dann eine solche von der Decke bis zur Diele gescheuerte Stube fast
wie aus Kienholz geschnitzt erscheint und einen überaus freundlichen Eindruck
macht. Manche Wirthe sind natürlich auch liederlich und man braucht nicht
nach Polen zu gehen, um elende Lehmbuden zu sehen, deren Strohdach längst
vom Winde zerstört oder als Streue verbraucht ist, und die nur durch das
aus den Boden geworfene Reisig der darin mit ihrem Viehstände in größter
Eintracht wohnenden Familie einen Schutz gegen Regen und Kälte gewähren.

Besondere Nationalsitten, Gebräuche oder Feste findet man bei den Wenden
gar nicht mehr. Sie hat das deutsche Element unter dem Panier des Christen¬
thums gänzlich zerstört, doch ist ihnen das Widerstreben gegen das Annehmen
eines.Familiennamens ganz eigenthümlich. Sie- behelfen sich dafür mit den
Namen,'welche jede Wirthschaft, jede Thorsäule führt, und nennen die ein¬
zelnen nur nach dem Namen, womit sie gerufen werden, das ist der Tauf¬
name. Die Regierung hat freilich schon seit langer Zeit angeordnet, daß sie
Familiennamen führen sollen, allein die Volkssitte erhält sich und die beständig
wechselnden Namen von der Thorsäule sind die einzigen, welche man in den
Dörfern kennt. Ost entstehen dadurch die größten Verwirrungen und die mei¬
sten führen doppelte und dreifache Namen, von denen sie selbst kaum wissen,
welcher der richtige ist. Der firirte Familienname ist z. B. Kockot, der Vater
hat aber die Zickorasche Nahrung besessen, und nun etablirt sich der Sohn
auf der Koalschen Wirthschaft, dann wird-er auf eine Frage nach seinem Na¬
men immer Koal angeben, vielleicht auf näheres Untersuchen auch Zickora,
daß er aber eigentlich Kockot heißt, hat er vielleicht nur aus einem Tauf¬
zeugniß oder aus seinen Militärpapieren erfahren.

DaS aber ist der ganze Rest des erlöschenden wendischen Volks, welches
einst fast den ganzen Raum innehatte, aus dem jetzt der erste Staat deutscher
Nation besteht. Es ist ein kräftiges, gesundes Völkchen, und der deutsche
Patriot muß mit Recht von edler Freude erfüllt werden, wenn er sieht, daß
sich dasselbe immer mehr und mehr seiner Nationalität nähert, um endlich
ganz in ihr auszugehen. Freilich nimmt es auch einige Untugenden mit her¬
über, die nicht zu verkennen sind. So ist die Trunksucht der Wenden, von
welcher auch die Frauen nicht ganz frei sind, ein ihnen oft und nicht mit
Unrecht vorgeworfenes Laster. Ebenso ist ihnen Jähzorn und Händelsucht
angeboren, und es ist eine gütige Vorsehung der Natur, daß ihre Hirn¬
schalen, wie dies von den dortigen Aerzten allgemein behauptet wird, stärker
und fester construirt sind, als bei den Deutschen, da sonst bei den vielen ge¬
waltigen Schlägereien unzählige Unglücksfälle zu beklagen sein würden.




Häusern, wenn sie, wie dies nicht selten geschieht, mit Bietern von demselben
Holze bekleidet sind, muß eine ordentliche Wirthin von Zeit zu Zeit waschen,
so daß dann eine solche von der Decke bis zur Diele gescheuerte Stube fast
wie aus Kienholz geschnitzt erscheint und einen überaus freundlichen Eindruck
macht. Manche Wirthe sind natürlich auch liederlich und man braucht nicht
nach Polen zu gehen, um elende Lehmbuden zu sehen, deren Strohdach längst
vom Winde zerstört oder als Streue verbraucht ist, und die nur durch das
aus den Boden geworfene Reisig der darin mit ihrem Viehstände in größter
Eintracht wohnenden Familie einen Schutz gegen Regen und Kälte gewähren.

Besondere Nationalsitten, Gebräuche oder Feste findet man bei den Wenden
gar nicht mehr. Sie hat das deutsche Element unter dem Panier des Christen¬
thums gänzlich zerstört, doch ist ihnen das Widerstreben gegen das Annehmen
eines.Familiennamens ganz eigenthümlich. Sie- behelfen sich dafür mit den
Namen,'welche jede Wirthschaft, jede Thorsäule führt, und nennen die ein¬
zelnen nur nach dem Namen, womit sie gerufen werden, das ist der Tauf¬
name. Die Regierung hat freilich schon seit langer Zeit angeordnet, daß sie
Familiennamen führen sollen, allein die Volkssitte erhält sich und die beständig
wechselnden Namen von der Thorsäule sind die einzigen, welche man in den
Dörfern kennt. Ost entstehen dadurch die größten Verwirrungen und die mei¬
sten führen doppelte und dreifache Namen, von denen sie selbst kaum wissen,
welcher der richtige ist. Der firirte Familienname ist z. B. Kockot, der Vater
hat aber die Zickorasche Nahrung besessen, und nun etablirt sich der Sohn
auf der Koalschen Wirthschaft, dann wird-er auf eine Frage nach seinem Na¬
men immer Koal angeben, vielleicht auf näheres Untersuchen auch Zickora,
daß er aber eigentlich Kockot heißt, hat er vielleicht nur aus einem Tauf¬
zeugniß oder aus seinen Militärpapieren erfahren.

DaS aber ist der ganze Rest des erlöschenden wendischen Volks, welches
einst fast den ganzen Raum innehatte, aus dem jetzt der erste Staat deutscher
Nation besteht. Es ist ein kräftiges, gesundes Völkchen, und der deutsche
Patriot muß mit Recht von edler Freude erfüllt werden, wenn er sieht, daß
sich dasselbe immer mehr und mehr seiner Nationalität nähert, um endlich
ganz in ihr auszugehen. Freilich nimmt es auch einige Untugenden mit her¬
über, die nicht zu verkennen sind. So ist die Trunksucht der Wenden, von
welcher auch die Frauen nicht ganz frei sind, ein ihnen oft und nicht mit
Unrecht vorgeworfenes Laster. Ebenso ist ihnen Jähzorn und Händelsucht
angeboren, und es ist eine gütige Vorsehung der Natur, daß ihre Hirn¬
schalen, wie dies von den dortigen Aerzten allgemein behauptet wird, stärker
und fester construirt sind, als bei den Deutschen, da sonst bei den vielen ge¬
waltigen Schlägereien unzählige Unglücksfälle zu beklagen sein würden.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/173>, abgerufen am 01.09.2024.