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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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fluchen die Wenden sehr gern; doch ist es merkwürdig, daß ihre kräftigsten
Ausdrücke deutsch sind, und daß man häufig Leute, welche nicht eine einfache
deutsche Frage verstehen, sich halbe Stunden hindurch in den stärksten Aus¬
drücken der deutschen Sprache ergießen hört.

Mehr Ähnlichkeit haben die Wenden mit den übrigen Slawen, besonders
den Polen, in ihrer Tracht, die sehr von der der übrigen Bewohner des platten
Landes in der Mark Brandenburg verschieden ist. Der Wende tragt einen
langen, weißen Leinwandrock, der nach den verschiedenen Dörfern mit rothem,
grünen oder blauen Filz gefüttert und gerändert ist. Seine Kopfbekleidung
bildet nur selten die runde Schaspelzmütze, welche der märkische Bauer wenig¬
stens vor kurzem noch allgemein trug; sie besteht vielmehr in der Regel aus
einem oben viereckig genähten, langen Sacke mit einer großen Quaste, unten
mit einem breiten Pelzstrcifen, ungefähr von der Form, wie ihn die Krakusen
zu tragen pflegen. Die Beinkleider von Leinwand sind meistens kurz bis zum
Knie, so daß das untere Bein von aller Bekleidung frei, im Winter nur durch
die hohen Wasserstiefeln, bedeckt wird; denn im Sommer wird dieses Lurusstück
höchstens bei einem Gange in die Stadt oder in die Kirche aus der Lade
hervorgeholt. Außerdem verlangt der Wende zur Vervollständigung seiner
Toilette nur noch ein Hemde und dann ist er zufrieden und glücklich.

Dies muß man überhaupt als den Grundzug seiner Natur ansehen. Arm
wie er ist, hat ihn die gütige Natur mit einer Genügsamkeit ausgestattet, die
ihn wahrhaft beneidenswert!) macht. O, er kann es haben! hört man oft von
ihnen, wenn sie etwa das schöne Gespann des reichsten Bauers im Dorfe
betrachten, und darin liegt nichts von Neid, sondern reine Bewunderung des
Glücklicheren. Der Wende ist auch nicht eigennützig, obgleich er sehr sparsam
ist und das mühsam Erworbene sorgfältig zusammenhält. Mühsam aber wird
ihm der Erwerb und mit saurem Schweiße muß er den leichten Sandboden
düngen, um ihm seine Früchte abzugewinnen: Früh, wenn die Sonne noch
nicht am Himmel steht, ist er mit Frau und Kind schon auf seinem Acker, und
mit der letzten Abendröthe kehrt er kaum nach Hause zurück. Doch damit ist
die Arbeit noch nicht beendet, nun muß erst das Viel) besorgt und einige Ellen
Leinewand gewebt werden, denn dies ist neben dem Ackerbau der einzige Er-
werbszweig dieses Völkchens. In der Erntezeit und fast den ganzen Winter
hindurch wird auch nach der Feldarbeit des Abends im Dunkeln gedroschen,
so daß noch bis -10 Uhr der fröhliche Dreischlag auf allen Tennen in den Dör¬
fern erschallt. Dabei ist die Lebensart außerordentlich einfach. Fleischspeisen
gehören nur in der Saat- und Erntezeit, sowie in den Feiertagen zu einer
wendischen Mahlzeit, und immer bleiben sie Leckerbissen. Dagegen findet man
häufiger, daß die Hausfrau einen Kuchen im Backofen hat oder daß des
Sonntags Semmel zum Kaffee von dem Stadtbäcker geholt wird. Ohne diese


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fluchen die Wenden sehr gern; doch ist es merkwürdig, daß ihre kräftigsten
Ausdrücke deutsch sind, und daß man häufig Leute, welche nicht eine einfache
deutsche Frage verstehen, sich halbe Stunden hindurch in den stärksten Aus¬
drücken der deutschen Sprache ergießen hört.

Mehr Ähnlichkeit haben die Wenden mit den übrigen Slawen, besonders
den Polen, in ihrer Tracht, die sehr von der der übrigen Bewohner des platten
Landes in der Mark Brandenburg verschieden ist. Der Wende tragt einen
langen, weißen Leinwandrock, der nach den verschiedenen Dörfern mit rothem,
grünen oder blauen Filz gefüttert und gerändert ist. Seine Kopfbekleidung
bildet nur selten die runde Schaspelzmütze, welche der märkische Bauer wenig¬
stens vor kurzem noch allgemein trug; sie besteht vielmehr in der Regel aus
einem oben viereckig genähten, langen Sacke mit einer großen Quaste, unten
mit einem breiten Pelzstrcifen, ungefähr von der Form, wie ihn die Krakusen
zu tragen pflegen. Die Beinkleider von Leinwand sind meistens kurz bis zum
Knie, so daß das untere Bein von aller Bekleidung frei, im Winter nur durch
die hohen Wasserstiefeln, bedeckt wird; denn im Sommer wird dieses Lurusstück
höchstens bei einem Gange in die Stadt oder in die Kirche aus der Lade
hervorgeholt. Außerdem verlangt der Wende zur Vervollständigung seiner
Toilette nur noch ein Hemde und dann ist er zufrieden und glücklich.

Dies muß man überhaupt als den Grundzug seiner Natur ansehen. Arm
wie er ist, hat ihn die gütige Natur mit einer Genügsamkeit ausgestattet, die
ihn wahrhaft beneidenswert!) macht. O, er kann es haben! hört man oft von
ihnen, wenn sie etwa das schöne Gespann des reichsten Bauers im Dorfe
betrachten, und darin liegt nichts von Neid, sondern reine Bewunderung des
Glücklicheren. Der Wende ist auch nicht eigennützig, obgleich er sehr sparsam
ist und das mühsam Erworbene sorgfältig zusammenhält. Mühsam aber wird
ihm der Erwerb und mit saurem Schweiße muß er den leichten Sandboden
düngen, um ihm seine Früchte abzugewinnen: Früh, wenn die Sonne noch
nicht am Himmel steht, ist er mit Frau und Kind schon auf seinem Acker, und
mit der letzten Abendröthe kehrt er kaum nach Hause zurück. Doch damit ist
die Arbeit noch nicht beendet, nun muß erst das Viel) besorgt und einige Ellen
Leinewand gewebt werden, denn dies ist neben dem Ackerbau der einzige Er-
werbszweig dieses Völkchens. In der Erntezeit und fast den ganzen Winter
hindurch wird auch nach der Feldarbeit des Abends im Dunkeln gedroschen,
so daß noch bis -10 Uhr der fröhliche Dreischlag auf allen Tennen in den Dör¬
fern erschallt. Dabei ist die Lebensart außerordentlich einfach. Fleischspeisen
gehören nur in der Saat- und Erntezeit, sowie in den Feiertagen zu einer
wendischen Mahlzeit, und immer bleiben sie Leckerbissen. Dagegen findet man
häufiger, daß die Hausfrau einen Kuchen im Backofen hat oder daß des
Sonntags Semmel zum Kaffee von dem Stadtbäcker geholt wird. Ohne diese


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[0171] fluchen die Wenden sehr gern; doch ist es merkwürdig, daß ihre kräftigsten Ausdrücke deutsch sind, und daß man häufig Leute, welche nicht eine einfache deutsche Frage verstehen, sich halbe Stunden hindurch in den stärksten Aus¬ drücken der deutschen Sprache ergießen hört. Mehr Ähnlichkeit haben die Wenden mit den übrigen Slawen, besonders den Polen, in ihrer Tracht, die sehr von der der übrigen Bewohner des platten Landes in der Mark Brandenburg verschieden ist. Der Wende tragt einen langen, weißen Leinwandrock, der nach den verschiedenen Dörfern mit rothem, grünen oder blauen Filz gefüttert und gerändert ist. Seine Kopfbekleidung bildet nur selten die runde Schaspelzmütze, welche der märkische Bauer wenig¬ stens vor kurzem noch allgemein trug; sie besteht vielmehr in der Regel aus einem oben viereckig genähten, langen Sacke mit einer großen Quaste, unten mit einem breiten Pelzstrcifen, ungefähr von der Form, wie ihn die Krakusen zu tragen pflegen. Die Beinkleider von Leinwand sind meistens kurz bis zum Knie, so daß das untere Bein von aller Bekleidung frei, im Winter nur durch die hohen Wasserstiefeln, bedeckt wird; denn im Sommer wird dieses Lurusstück höchstens bei einem Gange in die Stadt oder in die Kirche aus der Lade hervorgeholt. Außerdem verlangt der Wende zur Vervollständigung seiner Toilette nur noch ein Hemde und dann ist er zufrieden und glücklich. Dies muß man überhaupt als den Grundzug seiner Natur ansehen. Arm wie er ist, hat ihn die gütige Natur mit einer Genügsamkeit ausgestattet, die ihn wahrhaft beneidenswert!) macht. O, er kann es haben! hört man oft von ihnen, wenn sie etwa das schöne Gespann des reichsten Bauers im Dorfe betrachten, und darin liegt nichts von Neid, sondern reine Bewunderung des Glücklicheren. Der Wende ist auch nicht eigennützig, obgleich er sehr sparsam ist und das mühsam Erworbene sorgfältig zusammenhält. Mühsam aber wird ihm der Erwerb und mit saurem Schweiße muß er den leichten Sandboden düngen, um ihm seine Früchte abzugewinnen: Früh, wenn die Sonne noch nicht am Himmel steht, ist er mit Frau und Kind schon auf seinem Acker, und mit der letzten Abendröthe kehrt er kaum nach Hause zurück. Doch damit ist die Arbeit noch nicht beendet, nun muß erst das Viel) besorgt und einige Ellen Leinewand gewebt werden, denn dies ist neben dem Ackerbau der einzige Er- werbszweig dieses Völkchens. In der Erntezeit und fast den ganzen Winter hindurch wird auch nach der Feldarbeit des Abends im Dunkeln gedroschen, so daß noch bis -10 Uhr der fröhliche Dreischlag auf allen Tennen in den Dör¬ fern erschallt. Dabei ist die Lebensart außerordentlich einfach. Fleischspeisen gehören nur in der Saat- und Erntezeit, sowie in den Feiertagen zu einer wendischen Mahlzeit, und immer bleiben sie Leckerbissen. Dagegen findet man häufiger, daß die Hausfrau einen Kuchen im Backofen hat oder daß des Sonntags Semmel zum Kaffee von dem Stadtbäcker geholt wird. Ohne diese 21"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/171>, abgerufen am 01.09.2024.