Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Halbbürger, insofern sie von einzelnen Geschlechtern abhängig waren/ als
Clienten, insofern man sie als Masse auffaßte, als Plebs gegenüberstanden.
Den Unterschied, den Niebuhr zwischen beiden zu finden geglaubt, hat Herr
Mommsen mit Recht wieder beiseitegelegt. -- Den Schluß dieser Entwicklung
bildet die dem Servius Tullius zugeschriebene Verfassungsreform, deren ur¬
sprünglich rein milirärische Bedeutung Herr Mommsen sehr scharfsinnig aus¬
einandersetzt, und deren Zeitbestimmung er durch die Periode der Umwallungen
der Stadt festzustellen sucht; sodann die Modificirnng der Königsgewalt durch
die Kollegialität und die Aufhebung der Lebenslänglichkeit.

Haben wir in dieser Periode den Forschungen des Verfassers mit aller
Ueberzeugung folgen können, fo müssen wir offen gestehen, daß in der nächst¬
folgenden Periode, die bis zum Sturz der Decemvirn reicht, der Verfasser nicht
so genau wie gewöhnlich das Wissen von den Vermuthungen gesondert zu haben
scheint. Er weicht in der Auffassung der Verfassungökämpfe von der bisherigen
Annahme wesentlich ab, und wenigstens für uns sind seine Gründe nicht völlig
überzeugend gewesen. Bisher sah man in ihnen den Streit zwischen Patriciern
und Plebejern; Herr Mommsen aber nimmt an, daß zwischen den reichen Ple¬
bejern und den Geschlechtern unmittelbar nach Aufhebung des Königthums
eine Ausgleichung in der Art stattgefunden habe, daß den ersteren die größere
Hälfte der Senatsstellen sowie die Offizicrstellen übergeben wurden, -und daß
daher die von den Tribunen geleitete Bewegung sich gegen die gesammte Se¬
natspartei, Plebejer wie Patricier, gerichtet habe. Da Herr Mommsen sonst
auf die Tradition nicht viel gibt, so scheint uns die Verallgemeinerung eines
einzelnen Factums, der Conscription neuer Senatoren, außerhalb der Geschlechter,
zu einer dauernden Regel um so gewagter zu sein, da in weit späterer Zeit,
als den Tribunen der Senat geöffnet wurde, diese Begünstigung unter höchst
beschimpfenden Formen stattfand. Nun wurden die Tribunen aus den Ange¬
sehensten der Plebejer durch die aristokratischen Curien gewählt, an Amtsgewalt
standen sie den Consuln fast gleich, ihre Person war heilig, und so ist für eine
so herabsetzende Behandlung durchaus kein Grund abzusehen, wenn man nicht
anninunt, der Eintritt von Plebejern in den Senat sei damals als etwas Un¬
erhörtes betrachtet worden. Die Annahme Niebuhrs, daß die Conscription aus
den neuen Geschlechtern stattgefunden habe, und daß die Curren neben den Cen-
turiatcomitien staatsrechtliche Functionen ausgeübt hätten, unterliegt zwar auch vie¬
len Bedenken, aber die Annahme Mommsens, daß für die wichtigeren Berathungen
des Senats der patricische Theil desselben abgesondert zusammentrat, scheint uns
noch mehr gegen alle Analogie. Es bleibt hier wol noch vieles näher zu er¬
örtern. Auch die Art und Weise, wie Herr Mommsen die bekannte secessio
darstellt, daß nämlich der plebejische Theil des Heeres in geschlossenen Reihen
unter seinen Offizieren ausgezogen sei, erscheint zwar um vieles anschaulicher,


Grcnzlwtcil, III. 1834. , . Z

Halbbürger, insofern sie von einzelnen Geschlechtern abhängig waren/ als
Clienten, insofern man sie als Masse auffaßte, als Plebs gegenüberstanden.
Den Unterschied, den Niebuhr zwischen beiden zu finden geglaubt, hat Herr
Mommsen mit Recht wieder beiseitegelegt. — Den Schluß dieser Entwicklung
bildet die dem Servius Tullius zugeschriebene Verfassungsreform, deren ur¬
sprünglich rein milirärische Bedeutung Herr Mommsen sehr scharfsinnig aus¬
einandersetzt, und deren Zeitbestimmung er durch die Periode der Umwallungen
der Stadt festzustellen sucht; sodann die Modificirnng der Königsgewalt durch
die Kollegialität und die Aufhebung der Lebenslänglichkeit.

Haben wir in dieser Periode den Forschungen des Verfassers mit aller
Ueberzeugung folgen können, fo müssen wir offen gestehen, daß in der nächst¬
folgenden Periode, die bis zum Sturz der Decemvirn reicht, der Verfasser nicht
so genau wie gewöhnlich das Wissen von den Vermuthungen gesondert zu haben
scheint. Er weicht in der Auffassung der Verfassungökämpfe von der bisherigen
Annahme wesentlich ab, und wenigstens für uns sind seine Gründe nicht völlig
überzeugend gewesen. Bisher sah man in ihnen den Streit zwischen Patriciern
und Plebejern; Herr Mommsen aber nimmt an, daß zwischen den reichen Ple¬
bejern und den Geschlechtern unmittelbar nach Aufhebung des Königthums
eine Ausgleichung in der Art stattgefunden habe, daß den ersteren die größere
Hälfte der Senatsstellen sowie die Offizicrstellen übergeben wurden, -und daß
daher die von den Tribunen geleitete Bewegung sich gegen die gesammte Se¬
natspartei, Plebejer wie Patricier, gerichtet habe. Da Herr Mommsen sonst
auf die Tradition nicht viel gibt, so scheint uns die Verallgemeinerung eines
einzelnen Factums, der Conscription neuer Senatoren, außerhalb der Geschlechter,
zu einer dauernden Regel um so gewagter zu sein, da in weit späterer Zeit,
als den Tribunen der Senat geöffnet wurde, diese Begünstigung unter höchst
beschimpfenden Formen stattfand. Nun wurden die Tribunen aus den Ange¬
sehensten der Plebejer durch die aristokratischen Curien gewählt, an Amtsgewalt
standen sie den Consuln fast gleich, ihre Person war heilig, und so ist für eine
so herabsetzende Behandlung durchaus kein Grund abzusehen, wenn man nicht
anninunt, der Eintritt von Plebejern in den Senat sei damals als etwas Un¬
erhörtes betrachtet worden. Die Annahme Niebuhrs, daß die Conscription aus
den neuen Geschlechtern stattgefunden habe, und daß die Curren neben den Cen-
turiatcomitien staatsrechtliche Functionen ausgeübt hätten, unterliegt zwar auch vie¬
len Bedenken, aber die Annahme Mommsens, daß für die wichtigeren Berathungen
des Senats der patricische Theil desselben abgesondert zusammentrat, scheint uns
noch mehr gegen alle Analogie. Es bleibt hier wol noch vieles näher zu er¬
örtern. Auch die Art und Weise, wie Herr Mommsen die bekannte secessio
darstellt, daß nämlich der plebejische Theil des Heeres in geschlossenen Reihen
unter seinen Offizieren ausgezogen sei, erscheint zwar um vieles anschaulicher,


Grcnzlwtcil, III. 1834. , . Z
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281167"/>
            <p xml:id="ID_22" prev="#ID_21"> Halbbürger, insofern sie von einzelnen Geschlechtern abhängig waren/ als<lb/>
Clienten, insofern man sie als Masse auffaßte, als Plebs gegenüberstanden.<lb/>
Den Unterschied, den Niebuhr zwischen beiden zu finden geglaubt, hat Herr<lb/>
Mommsen mit Recht wieder beiseitegelegt. &#x2014; Den Schluß dieser Entwicklung<lb/>
bildet die dem Servius Tullius zugeschriebene Verfassungsreform, deren ur¬<lb/>
sprünglich rein milirärische Bedeutung Herr Mommsen sehr scharfsinnig aus¬<lb/>
einandersetzt, und deren Zeitbestimmung er durch die Periode der Umwallungen<lb/>
der Stadt festzustellen sucht; sodann die Modificirnng der Königsgewalt durch<lb/>
die Kollegialität und die Aufhebung der Lebenslänglichkeit.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_23" next="#ID_24"> Haben wir in dieser Periode den Forschungen des Verfassers mit aller<lb/>
Ueberzeugung folgen können, fo müssen wir offen gestehen, daß in der nächst¬<lb/>
folgenden Periode, die bis zum Sturz der Decemvirn reicht, der Verfasser nicht<lb/>
so genau wie gewöhnlich das Wissen von den Vermuthungen gesondert zu haben<lb/>
scheint. Er weicht in der Auffassung der Verfassungökämpfe von der bisherigen<lb/>
Annahme wesentlich ab, und wenigstens für uns sind seine Gründe nicht völlig<lb/>
überzeugend gewesen. Bisher sah man in ihnen den Streit zwischen Patriciern<lb/>
und Plebejern; Herr Mommsen aber nimmt an, daß zwischen den reichen Ple¬<lb/>
bejern und den Geschlechtern unmittelbar nach Aufhebung des Königthums<lb/>
eine Ausgleichung in der Art stattgefunden habe, daß den ersteren die größere<lb/>
Hälfte der Senatsstellen sowie die Offizicrstellen übergeben wurden, -und daß<lb/>
daher die von den Tribunen geleitete Bewegung sich gegen die gesammte Se¬<lb/>
natspartei, Plebejer wie Patricier, gerichtet habe. Da Herr Mommsen sonst<lb/>
auf die Tradition nicht viel gibt, so scheint uns die Verallgemeinerung eines<lb/>
einzelnen Factums, der Conscription neuer Senatoren, außerhalb der Geschlechter,<lb/>
zu einer dauernden Regel um so gewagter zu sein, da in weit späterer Zeit,<lb/>
als den Tribunen der Senat geöffnet wurde, diese Begünstigung unter höchst<lb/>
beschimpfenden Formen stattfand. Nun wurden die Tribunen aus den Ange¬<lb/>
sehensten der Plebejer durch die aristokratischen Curien gewählt, an Amtsgewalt<lb/>
standen sie den Consuln fast gleich, ihre Person war heilig, und so ist für eine<lb/>
so herabsetzende Behandlung durchaus kein Grund abzusehen, wenn man nicht<lb/>
anninunt, der Eintritt von Plebejern in den Senat sei damals als etwas Un¬<lb/>
erhörtes betrachtet worden. Die Annahme Niebuhrs, daß die Conscription aus<lb/>
den neuen Geschlechtern stattgefunden habe, und daß die Curren neben den Cen-<lb/>
turiatcomitien staatsrechtliche Functionen ausgeübt hätten, unterliegt zwar auch vie¬<lb/>
len Bedenken, aber die Annahme Mommsens, daß für die wichtigeren Berathungen<lb/>
des Senats der patricische Theil desselben abgesondert zusammentrat, scheint uns<lb/>
noch mehr gegen alle Analogie. Es bleibt hier wol noch vieles näher zu er¬<lb/>
örtern. Auch die Art und Weise, wie Herr Mommsen die bekannte secessio<lb/>
darstellt, daß nämlich der plebejische Theil des Heeres in geschlossenen Reihen<lb/>
unter seinen Offizieren ausgezogen sei, erscheint zwar um vieles anschaulicher,</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzlwtcil, III. 1834. ,  . Z</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] Halbbürger, insofern sie von einzelnen Geschlechtern abhängig waren/ als Clienten, insofern man sie als Masse auffaßte, als Plebs gegenüberstanden. Den Unterschied, den Niebuhr zwischen beiden zu finden geglaubt, hat Herr Mommsen mit Recht wieder beiseitegelegt. — Den Schluß dieser Entwicklung bildet die dem Servius Tullius zugeschriebene Verfassungsreform, deren ur¬ sprünglich rein milirärische Bedeutung Herr Mommsen sehr scharfsinnig aus¬ einandersetzt, und deren Zeitbestimmung er durch die Periode der Umwallungen der Stadt festzustellen sucht; sodann die Modificirnng der Königsgewalt durch die Kollegialität und die Aufhebung der Lebenslänglichkeit. Haben wir in dieser Periode den Forschungen des Verfassers mit aller Ueberzeugung folgen können, fo müssen wir offen gestehen, daß in der nächst¬ folgenden Periode, die bis zum Sturz der Decemvirn reicht, der Verfasser nicht so genau wie gewöhnlich das Wissen von den Vermuthungen gesondert zu haben scheint. Er weicht in der Auffassung der Verfassungökämpfe von der bisherigen Annahme wesentlich ab, und wenigstens für uns sind seine Gründe nicht völlig überzeugend gewesen. Bisher sah man in ihnen den Streit zwischen Patriciern und Plebejern; Herr Mommsen aber nimmt an, daß zwischen den reichen Ple¬ bejern und den Geschlechtern unmittelbar nach Aufhebung des Königthums eine Ausgleichung in der Art stattgefunden habe, daß den ersteren die größere Hälfte der Senatsstellen sowie die Offizicrstellen übergeben wurden, -und daß daher die von den Tribunen geleitete Bewegung sich gegen die gesammte Se¬ natspartei, Plebejer wie Patricier, gerichtet habe. Da Herr Mommsen sonst auf die Tradition nicht viel gibt, so scheint uns die Verallgemeinerung eines einzelnen Factums, der Conscription neuer Senatoren, außerhalb der Geschlechter, zu einer dauernden Regel um so gewagter zu sein, da in weit späterer Zeit, als den Tribunen der Senat geöffnet wurde, diese Begünstigung unter höchst beschimpfenden Formen stattfand. Nun wurden die Tribunen aus den Ange¬ sehensten der Plebejer durch die aristokratischen Curien gewählt, an Amtsgewalt standen sie den Consuln fast gleich, ihre Person war heilig, und so ist für eine so herabsetzende Behandlung durchaus kein Grund abzusehen, wenn man nicht anninunt, der Eintritt von Plebejern in den Senat sei damals als etwas Un¬ erhörtes betrachtet worden. Die Annahme Niebuhrs, daß die Conscription aus den neuen Geschlechtern stattgefunden habe, und daß die Curren neben den Cen- turiatcomitien staatsrechtliche Functionen ausgeübt hätten, unterliegt zwar auch vie¬ len Bedenken, aber die Annahme Mommsens, daß für die wichtigeren Berathungen des Senats der patricische Theil desselben abgesondert zusammentrat, scheint uns noch mehr gegen alle Analogie. Es bleibt hier wol noch vieles näher zu er¬ örtern. Auch die Art und Weise, wie Herr Mommsen die bekannte secessio darstellt, daß nämlich der plebejische Theil des Heeres in geschlossenen Reihen unter seinen Offizieren ausgezogen sei, erscheint zwar um vieles anschaulicher, Grcnzlwtcil, III. 1834. , . Z

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/17>, abgerufen am 08.01.2025.