Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Sprachfamilie aus den wenigen vorhandenen Sprachdenkmälern nicht nachzu¬
weisen und sehr unwahrscheinlich ist. Er begnügt sich, hier die Grenze unsres Wis¬
sens festzustellen und die Vermuthung unsrer mystischen Philologen zurückzuweisen,
daß die Etrusker einen wesentlichen Einfluß aus die Bildung Roms gehabt,
da sie doch in allen höheren geistigen Anlagen und Leistungen weit hinter den
Jtalikern zurückstanden. Die Charakteristik der abergläubigen Etrusker ist mit
vielem Humor angelegt, und wirkt um so erfreulicher auf uns, je größeren
Widerwillen uns die früheren Versuche eingeflößt haben, in diesem trüben
Volk, wie in dem verwandten der Aegypter eine höhere Weisheit zu verehren.
-- Die Jtaliker erscheinen als die nächsten Verwandten der Griechen. Herr
Mommsen sucht aus der Sprachvergleichung mit Hinzuziehung des Sanskrit
nachzuweisen, welche Bildungsstufe das Gesammtvolk erreicht haben mußte, als
es sich trennte. So kurz diese Abhandlung ist, so seine und geistvolle For¬
schungen sind in ihr enthalten. -- Bei dem Uebergang auf die eigentliche rö¬
mische Geschichte wird der gewöhnliche Leser nicht wenig überrascht werden, daß
von der bekannten Tradition gar nichts übriggeblieben ist. Mit einer Ent¬
schiedenheit, die etwas Bezauberndes hat und die energisch auf den Kern der
Sache eingeht, läßt Herr Mommsen alle die liebenswürdigen Geschichten von
Romulus, Servius Tullius u. s. w. fallen, weil in ihnen selbst die alten
Sagen rhetorisch so entstellt sind, daß man die historischen Momente nicht mehr
unterscheiden kann. Statt dessen zieht er die Natur der Sache zu Rath und
kommt dabei zu Schlußfolgerungen, die unsre gewöhnlichen Voraussetzungen
völlig über den Haufen werfen. Rom ist nach ihm von dem lateinischen Stamm
angelegt, um ein Emporium für den Getreidehandel und ein Grenzcastell gegen
die Etrusker zu bilden. Die Gründe, die er anführt, liegen theils in der Wahl
des Ortes, theils in der alten Gesetzgebung, welche die persönliche Schuldhaft
in einer Weise detaillirt hatte, wie sie nur in einem Handelsstaat vorkam, theils
in der frühen Ausbildung des Münzwesens und in den Handelsverträgen mit
dem Ausland. Die Sache soll aber nicht so aufgefaßt werden, als ob Rom
ein Handelsstaat in der Weise Karthagos und Venedigs gewesen sei. Es war
nicht ein Stand der Kaufleute, sondern die Grundbesitzer selbst, die den Handel
mit ihren Producten trieben. -- So neu und überraschend diese Auffassung ist,
so überzeugend scheint sie uns begründet zu sein. -- Weiter wird hervorge¬
hoben , wie die Erweiterung des römischen Staats durch Aufnahme der Voll¬
bürger anderer Städte und durch Ackerbaucolonisirung -- beides den griechischen
Symmachien vollständig entgegengesetzt -- geeignet war, jene festgekittete, von
' einem nationalen Inhalt getragene Eidgenossenschaft ins Leben zu rufen, an
deren fester Haltung selbst die großen Entwürfe eines Pyrrhus und Hannibal
scheitern mußten. -- Das alte Geschlcchterregiment der Vollbürger ist in kurzen
scharfen Zügen aus der Natur der sittlichen Grundlagen entwickelt, denen die


Sprachfamilie aus den wenigen vorhandenen Sprachdenkmälern nicht nachzu¬
weisen und sehr unwahrscheinlich ist. Er begnügt sich, hier die Grenze unsres Wis¬
sens festzustellen und die Vermuthung unsrer mystischen Philologen zurückzuweisen,
daß die Etrusker einen wesentlichen Einfluß aus die Bildung Roms gehabt,
da sie doch in allen höheren geistigen Anlagen und Leistungen weit hinter den
Jtalikern zurückstanden. Die Charakteristik der abergläubigen Etrusker ist mit
vielem Humor angelegt, und wirkt um so erfreulicher auf uns, je größeren
Widerwillen uns die früheren Versuche eingeflößt haben, in diesem trüben
Volk, wie in dem verwandten der Aegypter eine höhere Weisheit zu verehren.
— Die Jtaliker erscheinen als die nächsten Verwandten der Griechen. Herr
Mommsen sucht aus der Sprachvergleichung mit Hinzuziehung des Sanskrit
nachzuweisen, welche Bildungsstufe das Gesammtvolk erreicht haben mußte, als
es sich trennte. So kurz diese Abhandlung ist, so seine und geistvolle For¬
schungen sind in ihr enthalten. — Bei dem Uebergang auf die eigentliche rö¬
mische Geschichte wird der gewöhnliche Leser nicht wenig überrascht werden, daß
von der bekannten Tradition gar nichts übriggeblieben ist. Mit einer Ent¬
schiedenheit, die etwas Bezauberndes hat und die energisch auf den Kern der
Sache eingeht, läßt Herr Mommsen alle die liebenswürdigen Geschichten von
Romulus, Servius Tullius u. s. w. fallen, weil in ihnen selbst die alten
Sagen rhetorisch so entstellt sind, daß man die historischen Momente nicht mehr
unterscheiden kann. Statt dessen zieht er die Natur der Sache zu Rath und
kommt dabei zu Schlußfolgerungen, die unsre gewöhnlichen Voraussetzungen
völlig über den Haufen werfen. Rom ist nach ihm von dem lateinischen Stamm
angelegt, um ein Emporium für den Getreidehandel und ein Grenzcastell gegen
die Etrusker zu bilden. Die Gründe, die er anführt, liegen theils in der Wahl
des Ortes, theils in der alten Gesetzgebung, welche die persönliche Schuldhaft
in einer Weise detaillirt hatte, wie sie nur in einem Handelsstaat vorkam, theils
in der frühen Ausbildung des Münzwesens und in den Handelsverträgen mit
dem Ausland. Die Sache soll aber nicht so aufgefaßt werden, als ob Rom
ein Handelsstaat in der Weise Karthagos und Venedigs gewesen sei. Es war
nicht ein Stand der Kaufleute, sondern die Grundbesitzer selbst, die den Handel
mit ihren Producten trieben. — So neu und überraschend diese Auffassung ist,
so überzeugend scheint sie uns begründet zu sein. — Weiter wird hervorge¬
hoben , wie die Erweiterung des römischen Staats durch Aufnahme der Voll¬
bürger anderer Städte und durch Ackerbaucolonisirung — beides den griechischen
Symmachien vollständig entgegengesetzt — geeignet war, jene festgekittete, von
' einem nationalen Inhalt getragene Eidgenossenschaft ins Leben zu rufen, an
deren fester Haltung selbst die großen Entwürfe eines Pyrrhus und Hannibal
scheitern mußten. — Das alte Geschlcchterregiment der Vollbürger ist in kurzen
scharfen Zügen aus der Natur der sittlichen Grundlagen entwickelt, denen die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0016" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281166"/>
            <p xml:id="ID_21" prev="#ID_20" next="#ID_22"> Sprachfamilie aus den wenigen vorhandenen Sprachdenkmälern nicht nachzu¬<lb/>
weisen und sehr unwahrscheinlich ist. Er begnügt sich, hier die Grenze unsres Wis¬<lb/>
sens festzustellen und die Vermuthung unsrer mystischen Philologen zurückzuweisen,<lb/>
daß die Etrusker einen wesentlichen Einfluß aus die Bildung Roms gehabt,<lb/>
da sie doch in allen höheren geistigen Anlagen und Leistungen weit hinter den<lb/>
Jtalikern zurückstanden. Die Charakteristik der abergläubigen Etrusker ist mit<lb/>
vielem Humor angelegt, und wirkt um so erfreulicher auf uns, je größeren<lb/>
Widerwillen uns die früheren Versuche eingeflößt haben, in diesem trüben<lb/>
Volk, wie in dem verwandten der Aegypter eine höhere Weisheit zu verehren.<lb/>
&#x2014; Die Jtaliker erscheinen als die nächsten Verwandten der Griechen. Herr<lb/>
Mommsen sucht aus der Sprachvergleichung mit Hinzuziehung des Sanskrit<lb/>
nachzuweisen, welche Bildungsstufe das Gesammtvolk erreicht haben mußte, als<lb/>
es sich trennte. So kurz diese Abhandlung ist, so seine und geistvolle For¬<lb/>
schungen sind in ihr enthalten. &#x2014; Bei dem Uebergang auf die eigentliche rö¬<lb/>
mische Geschichte wird der gewöhnliche Leser nicht wenig überrascht werden, daß<lb/>
von der bekannten Tradition gar nichts übriggeblieben ist. Mit einer Ent¬<lb/>
schiedenheit, die etwas Bezauberndes hat und die energisch auf den Kern der<lb/>
Sache eingeht, läßt Herr Mommsen alle die liebenswürdigen Geschichten von<lb/>
Romulus, Servius Tullius u. s. w. fallen, weil in ihnen selbst die alten<lb/>
Sagen rhetorisch so entstellt sind, daß man die historischen Momente nicht mehr<lb/>
unterscheiden kann. Statt dessen zieht er die Natur der Sache zu Rath und<lb/>
kommt dabei zu Schlußfolgerungen, die unsre gewöhnlichen Voraussetzungen<lb/>
völlig über den Haufen werfen. Rom ist nach ihm von dem lateinischen Stamm<lb/>
angelegt, um ein Emporium für den Getreidehandel und ein Grenzcastell gegen<lb/>
die Etrusker zu bilden. Die Gründe, die er anführt, liegen theils in der Wahl<lb/>
des Ortes, theils in der alten Gesetzgebung, welche die persönliche Schuldhaft<lb/>
in einer Weise detaillirt hatte, wie sie nur in einem Handelsstaat vorkam, theils<lb/>
in der frühen Ausbildung des Münzwesens und in den Handelsverträgen mit<lb/>
dem Ausland. Die Sache soll aber nicht so aufgefaßt werden, als ob Rom<lb/>
ein Handelsstaat in der Weise Karthagos und Venedigs gewesen sei. Es war<lb/>
nicht ein Stand der Kaufleute, sondern die Grundbesitzer selbst, die den Handel<lb/>
mit ihren Producten trieben. &#x2014; So neu und überraschend diese Auffassung ist,<lb/>
so überzeugend scheint sie uns begründet zu sein. &#x2014; Weiter wird hervorge¬<lb/>
hoben , wie die Erweiterung des römischen Staats durch Aufnahme der Voll¬<lb/>
bürger anderer Städte und durch Ackerbaucolonisirung &#x2014; beides den griechischen<lb/>
Symmachien vollständig entgegengesetzt &#x2014; geeignet war, jene festgekittete, von<lb/>
' einem nationalen Inhalt getragene Eidgenossenschaft ins Leben zu rufen, an<lb/>
deren fester Haltung selbst die großen Entwürfe eines Pyrrhus und Hannibal<lb/>
scheitern mußten. &#x2014; Das alte Geschlcchterregiment der Vollbürger ist in kurzen<lb/>
scharfen Zügen aus der Natur der sittlichen Grundlagen entwickelt, denen die</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0016] Sprachfamilie aus den wenigen vorhandenen Sprachdenkmälern nicht nachzu¬ weisen und sehr unwahrscheinlich ist. Er begnügt sich, hier die Grenze unsres Wis¬ sens festzustellen und die Vermuthung unsrer mystischen Philologen zurückzuweisen, daß die Etrusker einen wesentlichen Einfluß aus die Bildung Roms gehabt, da sie doch in allen höheren geistigen Anlagen und Leistungen weit hinter den Jtalikern zurückstanden. Die Charakteristik der abergläubigen Etrusker ist mit vielem Humor angelegt, und wirkt um so erfreulicher auf uns, je größeren Widerwillen uns die früheren Versuche eingeflößt haben, in diesem trüben Volk, wie in dem verwandten der Aegypter eine höhere Weisheit zu verehren. — Die Jtaliker erscheinen als die nächsten Verwandten der Griechen. Herr Mommsen sucht aus der Sprachvergleichung mit Hinzuziehung des Sanskrit nachzuweisen, welche Bildungsstufe das Gesammtvolk erreicht haben mußte, als es sich trennte. So kurz diese Abhandlung ist, so seine und geistvolle For¬ schungen sind in ihr enthalten. — Bei dem Uebergang auf die eigentliche rö¬ mische Geschichte wird der gewöhnliche Leser nicht wenig überrascht werden, daß von der bekannten Tradition gar nichts übriggeblieben ist. Mit einer Ent¬ schiedenheit, die etwas Bezauberndes hat und die energisch auf den Kern der Sache eingeht, läßt Herr Mommsen alle die liebenswürdigen Geschichten von Romulus, Servius Tullius u. s. w. fallen, weil in ihnen selbst die alten Sagen rhetorisch so entstellt sind, daß man die historischen Momente nicht mehr unterscheiden kann. Statt dessen zieht er die Natur der Sache zu Rath und kommt dabei zu Schlußfolgerungen, die unsre gewöhnlichen Voraussetzungen völlig über den Haufen werfen. Rom ist nach ihm von dem lateinischen Stamm angelegt, um ein Emporium für den Getreidehandel und ein Grenzcastell gegen die Etrusker zu bilden. Die Gründe, die er anführt, liegen theils in der Wahl des Ortes, theils in der alten Gesetzgebung, welche die persönliche Schuldhaft in einer Weise detaillirt hatte, wie sie nur in einem Handelsstaat vorkam, theils in der frühen Ausbildung des Münzwesens und in den Handelsverträgen mit dem Ausland. Die Sache soll aber nicht so aufgefaßt werden, als ob Rom ein Handelsstaat in der Weise Karthagos und Venedigs gewesen sei. Es war nicht ein Stand der Kaufleute, sondern die Grundbesitzer selbst, die den Handel mit ihren Producten trieben. — So neu und überraschend diese Auffassung ist, so überzeugend scheint sie uns begründet zu sein. — Weiter wird hervorge¬ hoben , wie die Erweiterung des römischen Staats durch Aufnahme der Voll¬ bürger anderer Städte und durch Ackerbaucolonisirung — beides den griechischen Symmachien vollständig entgegengesetzt — geeignet war, jene festgekittete, von ' einem nationalen Inhalt getragene Eidgenossenschaft ins Leben zu rufen, an deren fester Haltung selbst die großen Entwürfe eines Pyrrhus und Hannibal scheitern mußten. — Das alte Geschlcchterregiment der Vollbürger ist in kurzen scharfen Zügen aus der Natur der sittlichen Grundlagen entwickelt, denen die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/16
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/16>, abgerufen am 08.01.2025.