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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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viel an, wenn man nur zugesteht, daß ohne sie alle historische Gelehrsamkeit
leere Spreu ist, die im Reich des Geistes ebensowenig Werth hat, als was
der gute Famulus Wagner auswendig gelernt.

Wir wollen diesen' Punkt benutzen, um an ihn unsren eigentlichen Gegen¬
stand wieder anzuknüpfen. Herr Mommsen rechnet sich selbst zur historischen
Schule und läßt gelegentlich merken, daß er vor der Philosophie keinen großen
Respect hat. Trotzdem ist seine ganze Geschichte eine fortlaufende, wenn auch
indirecte Polemik gegen Niebuhr, und eine der glänzendsten Partien seines
Buchs, der Vergleich zwischen dem griechischen und römischen Wesen, so selbst¬
ständig er sie aus eignen Forschungen herausgearbeitet hat, kommt doch in
seinen Grundzügen aus das heraus, was wir bereits bei Hegel finden; ja wir
betrachten es als eine liebenswürdige Ironie des Schicksals, daß es ihm ein
paar Mal begegnet, in der Construction a priori zu weit zu gehen, wenn er
z. B. um des Gegensatzes willen den Italienern den rechten Sinn für Melodie
abspricht: eine Sünde, die ihm die Musen vergeben mögen.

Wenn wir vor dem Eingehen ins Einzelne die Vorzüge seines Werks im
allgemeinen hervorheben wollen, so fällt uns nur die Auswahl schwer. Wir
wollen uns auf einige beschränken. Zunächst fühlt man trotz der Abwesenheit
alles gelehrten Apparats die große Gelehrsamkeit in allen Detailstudien
heraus, die uns das Gefühl der Sicherheit gibt, auch wo uns einmal eine
gewagte Behauptung begegnet. Herr Mommsen ist seinem Fache nach Jurist,
er hat aber zugleich durch seine Forschungen in der Münzkunde und in der
Epigraphik, durch seine große Kenntniß der Philologie, sowie durch seine
geographischen Studien während eines längern Aufenthaltes in Italien jene
festen Grundlagen gelegt, auf denen allein ein solides Gebäude der Wissenschaft
sich aufbauen kann. Dieses wird selbst .dem Laien bei einzelnen Bemerkungen
eindringlich werden, in denen diese Detailstudien in Anwendung kommen, und
die trotz ihrer Kürze einen überraschenden und glänzenden Eindruck der Evidenz
machen. Dieser Vorzug erhält aber seinen vollständigen Werth durch die Ent¬
schiedenheit, mit der alle Forschungen über das zurückgewiesen werden, was
weder wißbar noch wissenswerth ist. Seine Studien haben sich nach allen Seiten
hin erstreckt, denn um unter den Thatsachen richtig zu wählen, muß man sie alle
kennen; seine Darstellung aber bezieht sich nur auf diejenigen, die uns das
wirkliche Leben versinnlichen und die daher werth sind, aufbewahrt zu bleiben.
-- Der zweite Vorzug ist die überall durchleuchtende politische Bildung, die
ebenso umfassend und aufgeklärt, als sittlich start ist, die in jedem Zeitalter,
wo irgend starke historische Leidenschaften hervortreten, Gegenwart sieht, und
die daher nicht blos den Verstand, sondern das Gemüth des Lesers mächtig
ergreift. Der Grundzug seiner politischen Anschauungen ist Haß gegen alle
Phrasen und Abstractionen. Dieser Haß, der sich ebensosehr' gegen den


viel an, wenn man nur zugesteht, daß ohne sie alle historische Gelehrsamkeit
leere Spreu ist, die im Reich des Geistes ebensowenig Werth hat, als was
der gute Famulus Wagner auswendig gelernt.

Wir wollen diesen' Punkt benutzen, um an ihn unsren eigentlichen Gegen¬
stand wieder anzuknüpfen. Herr Mommsen rechnet sich selbst zur historischen
Schule und läßt gelegentlich merken, daß er vor der Philosophie keinen großen
Respect hat. Trotzdem ist seine ganze Geschichte eine fortlaufende, wenn auch
indirecte Polemik gegen Niebuhr, und eine der glänzendsten Partien seines
Buchs, der Vergleich zwischen dem griechischen und römischen Wesen, so selbst¬
ständig er sie aus eignen Forschungen herausgearbeitet hat, kommt doch in
seinen Grundzügen aus das heraus, was wir bereits bei Hegel finden; ja wir
betrachten es als eine liebenswürdige Ironie des Schicksals, daß es ihm ein
paar Mal begegnet, in der Construction a priori zu weit zu gehen, wenn er
z. B. um des Gegensatzes willen den Italienern den rechten Sinn für Melodie
abspricht: eine Sünde, die ihm die Musen vergeben mögen.

Wenn wir vor dem Eingehen ins Einzelne die Vorzüge seines Werks im
allgemeinen hervorheben wollen, so fällt uns nur die Auswahl schwer. Wir
wollen uns auf einige beschränken. Zunächst fühlt man trotz der Abwesenheit
alles gelehrten Apparats die große Gelehrsamkeit in allen Detailstudien
heraus, die uns das Gefühl der Sicherheit gibt, auch wo uns einmal eine
gewagte Behauptung begegnet. Herr Mommsen ist seinem Fache nach Jurist,
er hat aber zugleich durch seine Forschungen in der Münzkunde und in der
Epigraphik, durch seine große Kenntniß der Philologie, sowie durch seine
geographischen Studien während eines längern Aufenthaltes in Italien jene
festen Grundlagen gelegt, auf denen allein ein solides Gebäude der Wissenschaft
sich aufbauen kann. Dieses wird selbst .dem Laien bei einzelnen Bemerkungen
eindringlich werden, in denen diese Detailstudien in Anwendung kommen, und
die trotz ihrer Kürze einen überraschenden und glänzenden Eindruck der Evidenz
machen. Dieser Vorzug erhält aber seinen vollständigen Werth durch die Ent¬
schiedenheit, mit der alle Forschungen über das zurückgewiesen werden, was
weder wißbar noch wissenswerth ist. Seine Studien haben sich nach allen Seiten
hin erstreckt, denn um unter den Thatsachen richtig zu wählen, muß man sie alle
kennen; seine Darstellung aber bezieht sich nur auf diejenigen, die uns das
wirkliche Leben versinnlichen und die daher werth sind, aufbewahrt zu bleiben.
— Der zweite Vorzug ist die überall durchleuchtende politische Bildung, die
ebenso umfassend und aufgeklärt, als sittlich start ist, die in jedem Zeitalter,
wo irgend starke historische Leidenschaften hervortreten, Gegenwart sieht, und
die daher nicht blos den Verstand, sondern das Gemüth des Lesers mächtig
ergreift. Der Grundzug seiner politischen Anschauungen ist Haß gegen alle
Phrasen und Abstractionen. Dieser Haß, der sich ebensosehr' gegen den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/13>, abgerufen am 08.01.2025.