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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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krämerei getrieben hat, waren es, was seiner Forschung die Richtung gab,
sondern der große Widerspruch zwischen der Natur der Dinge und dem Inhalt
der Ueberlieferung. Es ist hier nicht der Ort, auf die wichtigen und unver¬
gänglichen Schätze hinzudeuten, die dieser große Denker und Gelehrte durch
seine gewaltige Umwühlung des historischen Bodens ans Licht gefördert hat,
wir wollen nur auf einige Mängel hindeuten, die wol innerhalb der historischen
Schule selbst nicht mehr bestritten werden. Einerseits dehnte er das Gesetz der
historischen Analogie zu weit aus, und ließ sich dadurch zuweilen in der un¬
befangenen Betrachtung deS individuellen Falls verwirren, wie unter andern
seine Fiction eines römischen Nationalepos beweist. Sodann stellte er nicht
scharf genug die für alle Wissenschaft unentbehrliche Scheidelinie sest zwischen dem,
was er mit Gewißheit erkannt hatte, und dem, was er vermuthete, wie unter
vielem andern der beständige Wechsel in seiner Auslegung der Luceres zeigt.
Endlich ließ er sich durch die Tiefe seiner eignen sprachlichen und juristischen
Detailforschungen zuweilen dazu verleiten, die Mittel mit dem Zweck zu ver¬
wechseln, und den "Schnitzeln der Menschheit" eine Aufmerksamkeit zuzuwenden,
die sie nicht verdienten. Aber durch eins hat er der ganzen folgenden Geschicht¬
schreibung einen unvergänglichen Impuls gegeben, daß er nämlich die Gelehrten
daran gewöhnte, nicht bei allgemeinen rhetorischen Phrasen stehen zu bleiben,
sondern sich die Ereignisse concret und im Detail vorzustellen; er hat in
das wirkliche Leben der Geschichte, in das Naturgesetz ihrer Erscheinung einen
tiefen Blick gethan, der uns nicht mehr verloren gehen kann.

Es ist ganz falsch, wenn man den Unterschied zwischen philosophischer und
historischer Auffassung noch jetzt festhalten will, wie er denn überhaupt im ab¬
straktesten Sinne bei wirklich bedeutenden Männern nie stattgefunden hat.
Hegel bewies in seiner Auffassung der Thatsachen einen tiefen und umfassenden
historischen Blick, und Niebuhr bei seinen Constructionen eine ungewöhnliche
philosophische Anlage. Wir müssen die Methode der Forschung von dem Geist
der Darstellung unterscheiden. Heute wird es wol keinen Gebildeten mehr geben,
der jene einfältige Idee von einer Construction der Geschichte g, priori, d. h.
von einem Raisonnement über Thatsachen ohne Kenntniß dieser Thatsachen
auszusprechen wagte. So wenig es in der Mathematik für die Könige, so
wenig gibt es in der Geschichte sür die Philosophen einen besondern Weg. In
der Erforschung der Thatsachen werden die Philosophischen Kategorien nicht in
Anwendung kommen dürfen, aber freilich wird ebensowenig der früher beliebte
Weg, die blos philologische Methode, genügen können. Man wird in der Ge¬
schichte nur dasjenige für werthvoll halten, was sinnlich vorstellbar ist, und
was uns- eine wesentliche Seite des menschlichen Geistes ausschließt. Ob man
nun die Fähigkeit, die geschichtlichen Bilder in großen und richtigen Perspectiven
zu umfassen, philosophisch oder historisch nennt, darauf kommt im Grunde nicht


krämerei getrieben hat, waren es, was seiner Forschung die Richtung gab,
sondern der große Widerspruch zwischen der Natur der Dinge und dem Inhalt
der Ueberlieferung. Es ist hier nicht der Ort, auf die wichtigen und unver¬
gänglichen Schätze hinzudeuten, die dieser große Denker und Gelehrte durch
seine gewaltige Umwühlung des historischen Bodens ans Licht gefördert hat,
wir wollen nur auf einige Mängel hindeuten, die wol innerhalb der historischen
Schule selbst nicht mehr bestritten werden. Einerseits dehnte er das Gesetz der
historischen Analogie zu weit aus, und ließ sich dadurch zuweilen in der un¬
befangenen Betrachtung deS individuellen Falls verwirren, wie unter andern
seine Fiction eines römischen Nationalepos beweist. Sodann stellte er nicht
scharf genug die für alle Wissenschaft unentbehrliche Scheidelinie sest zwischen dem,
was er mit Gewißheit erkannt hatte, und dem, was er vermuthete, wie unter
vielem andern der beständige Wechsel in seiner Auslegung der Luceres zeigt.
Endlich ließ er sich durch die Tiefe seiner eignen sprachlichen und juristischen
Detailforschungen zuweilen dazu verleiten, die Mittel mit dem Zweck zu ver¬
wechseln, und den „Schnitzeln der Menschheit" eine Aufmerksamkeit zuzuwenden,
die sie nicht verdienten. Aber durch eins hat er der ganzen folgenden Geschicht¬
schreibung einen unvergänglichen Impuls gegeben, daß er nämlich die Gelehrten
daran gewöhnte, nicht bei allgemeinen rhetorischen Phrasen stehen zu bleiben,
sondern sich die Ereignisse concret und im Detail vorzustellen; er hat in
das wirkliche Leben der Geschichte, in das Naturgesetz ihrer Erscheinung einen
tiefen Blick gethan, der uns nicht mehr verloren gehen kann.

Es ist ganz falsch, wenn man den Unterschied zwischen philosophischer und
historischer Auffassung noch jetzt festhalten will, wie er denn überhaupt im ab¬
straktesten Sinne bei wirklich bedeutenden Männern nie stattgefunden hat.
Hegel bewies in seiner Auffassung der Thatsachen einen tiefen und umfassenden
historischen Blick, und Niebuhr bei seinen Constructionen eine ungewöhnliche
philosophische Anlage. Wir müssen die Methode der Forschung von dem Geist
der Darstellung unterscheiden. Heute wird es wol keinen Gebildeten mehr geben,
der jene einfältige Idee von einer Construction der Geschichte g, priori, d. h.
von einem Raisonnement über Thatsachen ohne Kenntniß dieser Thatsachen
auszusprechen wagte. So wenig es in der Mathematik für die Könige, so
wenig gibt es in der Geschichte sür die Philosophen einen besondern Weg. In
der Erforschung der Thatsachen werden die Philosophischen Kategorien nicht in
Anwendung kommen dürfen, aber freilich wird ebensowenig der früher beliebte
Weg, die blos philologische Methode, genügen können. Man wird in der Ge¬
schichte nur dasjenige für werthvoll halten, was sinnlich vorstellbar ist, und
was uns- eine wesentliche Seite des menschlichen Geistes ausschließt. Ob man
nun die Fähigkeit, die geschichtlichen Bilder in großen und richtigen Perspectiven
zu umfassen, philosophisch oder historisch nennt, darauf kommt im Grunde nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/12>, abgerufen am 09.11.2024.