Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.nicht einen einzigen heitern, dagegen 20 Regentage hatte, und seine Julisonne nicht einen einzigen heitern, dagegen 20 Regentage hatte, und seine Julisonne <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281260"/> <p xml:id="ID_322" prev="#ID_321" next="#ID_323"> nicht einen einzigen heitern, dagegen 20 Regentage hatte, und seine Julisonne<lb/> mit Gewittern, Regen und kühlen Nächten in verzweifeltem Kampfe sieht.<lb/> Sollte daher auch bei uns manche Hoffnung zu Wasser werden, — was bei<lb/> dem Heu schon geschehen, bei der Körnerfrucht noch nicht ausgemacht ist, so<lb/> bleibt uns doch die Aussicht auf Ausgleichung, die dem ruhigen Bürger so<lb/> lieb ist. Ruhig aber sind wir, merkwürdig ruhig. Wir sind es weniger aus<lb/> Heldenmuth, der im verhängnißvollen Augenblicke dem Tode sest ins Auge<lb/> blickt, als aus Unschuld, die gar nicht weiß, daß sie in Gefahr ist. Wir und<lb/> unsre Nachbarn, die Franzosen, stehen diesmal sehr gut miteinander, denn jeder<lb/> von beiden vertraut, daß der andere ihn nicht in böser Absicht besuchen werde.<lb/> Sie kaufen unsre Pferde und unser Schlachtvieh, wir kaufen ihren Regietabak<lb/> und so ernähren wir uns gegenseitig. Sie schicken ihre Söhne nach dem<lb/> Osten, wir die unsrigen nach dem Westen, sie werden daher schwerlich an¬<lb/> einander gerathen. ES ist nicht zu leugnen, daß die Abneigung gegen den<lb/> Soldatenstand unter unsrer Jugend immermehr um sich greift; allein dies<lb/> kommt nicht vom Mangel an kriegerischer Tapferkeit, sondern hauptsächlich<lb/> davon her, daß der Bundestag noch kein deutsches Feldzeichen ausgemacht hat,<lb/> und die verschiedenfarbigen Fahnen, rothgelb, rothweiß, rothschwarz, blanorange,<lb/> selbst blauweiß, keine rechte Anziehungskraft mehr üben. Die jungen Leute,<lb/> welche den Kriegerstand zu ihrem Berufe wählen, ziehen dahin, wo das schwarz¬<lb/> gelbe Banner weht, nicht allein aus unsern Gegenden, sondern auch aus dem<lb/> ferner Norden, wo der Jahdebusen sich wölbt und wo in den Setzerkästen<lb/> die „i" ausgehen, weil das Wort „mobilisiren" so häufig gedruckt wird. Doch<lb/> — diese vereinzelten Züge nach Osten verlieren sich unter der Strömung nach<lb/> Westen, die zwar im Augenblicke nachgelassen hat, aber nach der Ernte mit<lb/> neuer Macht ihren Laus nehmen wird. Am t. Juli sah ich in Mannheim<lb/> an der Wohnung des amerikanischen Konsuls das Sternenbanner ausgesteckt,<lb/> — es war der Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung. Achtundsiebzig Jahre<lb/> — und schon läßt sich mit jedem Tage mehr die junge Union in dem alten<lb/> Europa spüren. Man fordert von der Gemeinde, von der Regierung, man<lb/> bettelt von Privaten — Reisegeld nach Amerika; es wird gestohlen, geraubt,<lb/> gemordet, — für Reisegeld nach Amerika. Die Stuttgarter Schneiderzunft sucht<lb/> mittelst öffentlicher Bekanntmachung 50 —so Arbeiter, „um die durch Aus¬<lb/> wanderung entstandenen Lücken auszufüllen;" in unsren Zeitungen kündigen<lb/> Meister an, daß für viele Maurer-, Zimmer-, Schlosser-, Schreinergesellen<lb/> Arbeit bei ihnen zu finden ist. Es fehlt nicht an Arbeit, sondern an Händen;<lb/> nicht an Lohn, vielleicht nur — an guter Behandlung. „Wenn das Bauen<lb/> geht, geht alles", sagen die Franzosen; in unsern Pfälzer Städten, in Mann¬<lb/> heim und Heidelberg, wird gegenwärtig viel gebaut; in Heidelberg unter an¬<lb/> derem ein chemisches Laboratorium in großartigem Maßstabe. Lor einiger Zeit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0109]
nicht einen einzigen heitern, dagegen 20 Regentage hatte, und seine Julisonne
mit Gewittern, Regen und kühlen Nächten in verzweifeltem Kampfe sieht.
Sollte daher auch bei uns manche Hoffnung zu Wasser werden, — was bei
dem Heu schon geschehen, bei der Körnerfrucht noch nicht ausgemacht ist, so
bleibt uns doch die Aussicht auf Ausgleichung, die dem ruhigen Bürger so
lieb ist. Ruhig aber sind wir, merkwürdig ruhig. Wir sind es weniger aus
Heldenmuth, der im verhängnißvollen Augenblicke dem Tode sest ins Auge
blickt, als aus Unschuld, die gar nicht weiß, daß sie in Gefahr ist. Wir und
unsre Nachbarn, die Franzosen, stehen diesmal sehr gut miteinander, denn jeder
von beiden vertraut, daß der andere ihn nicht in böser Absicht besuchen werde.
Sie kaufen unsre Pferde und unser Schlachtvieh, wir kaufen ihren Regietabak
und so ernähren wir uns gegenseitig. Sie schicken ihre Söhne nach dem
Osten, wir die unsrigen nach dem Westen, sie werden daher schwerlich an¬
einander gerathen. ES ist nicht zu leugnen, daß die Abneigung gegen den
Soldatenstand unter unsrer Jugend immermehr um sich greift; allein dies
kommt nicht vom Mangel an kriegerischer Tapferkeit, sondern hauptsächlich
davon her, daß der Bundestag noch kein deutsches Feldzeichen ausgemacht hat,
und die verschiedenfarbigen Fahnen, rothgelb, rothweiß, rothschwarz, blanorange,
selbst blauweiß, keine rechte Anziehungskraft mehr üben. Die jungen Leute,
welche den Kriegerstand zu ihrem Berufe wählen, ziehen dahin, wo das schwarz¬
gelbe Banner weht, nicht allein aus unsern Gegenden, sondern auch aus dem
ferner Norden, wo der Jahdebusen sich wölbt und wo in den Setzerkästen
die „i" ausgehen, weil das Wort „mobilisiren" so häufig gedruckt wird. Doch
— diese vereinzelten Züge nach Osten verlieren sich unter der Strömung nach
Westen, die zwar im Augenblicke nachgelassen hat, aber nach der Ernte mit
neuer Macht ihren Laus nehmen wird. Am t. Juli sah ich in Mannheim
an der Wohnung des amerikanischen Konsuls das Sternenbanner ausgesteckt,
— es war der Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung. Achtundsiebzig Jahre
— und schon läßt sich mit jedem Tage mehr die junge Union in dem alten
Europa spüren. Man fordert von der Gemeinde, von der Regierung, man
bettelt von Privaten — Reisegeld nach Amerika; es wird gestohlen, geraubt,
gemordet, — für Reisegeld nach Amerika. Die Stuttgarter Schneiderzunft sucht
mittelst öffentlicher Bekanntmachung 50 —so Arbeiter, „um die durch Aus¬
wanderung entstandenen Lücken auszufüllen;" in unsren Zeitungen kündigen
Meister an, daß für viele Maurer-, Zimmer-, Schlosser-, Schreinergesellen
Arbeit bei ihnen zu finden ist. Es fehlt nicht an Arbeit, sondern an Händen;
nicht an Lohn, vielleicht nur — an guter Behandlung. „Wenn das Bauen
geht, geht alles", sagen die Franzosen; in unsern Pfälzer Städten, in Mann¬
heim und Heidelberg, wird gegenwärtig viel gebaut; in Heidelberg unter an¬
derem ein chemisches Laboratorium in großartigem Maßstabe. Lor einiger Zeit
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