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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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besten Erzählern von Paris; er steht sehr lebendig und hat eine ganz unge¬
wöhnliche plastische Gabe. -- Die Wassertrinkersind das vollkommene Gegen--
theil jener artistischen Zigeuner. Sie leben in der größten Dürftigkeit und
unterziehen sich den unerträglichsten Entbehrungen und Aufopferungen, um
niemals ihr künstlerisches Gewissen zu verletzen. Alles, was sie ersinnen und
durchführen, geht darauf aus, das Studium der Kunst nach einer strengen,
den edelsten Idealen entsprechenden Methode durchzuführen. Sie ertragen
gern jede Entbehrung; sie versagen sich nicht nur die überflüssigen Annehmlich¬
keiten des Lebens, sondern sie schränken auch auf eine wahre spartanische Weise
den Genuß desjenigen ein, was zum Leben nothwendig ist. Wo es dagegen
gilt, einem ihrer Genossen einen Weg zum erhöhterem Studium der Kunst an¬
zubahnen, scheuen sie kein Opfer. Sie haben bei sich einen Communismus
eingeführt, der um so seltsamer aussieht, da er sich auf einen ganz isolirten,
abstracten Zweck bezieht. -- Man merkt bei dieser ganzen Erfindung zu sehr
die Absicht heraus, als daß sie einen wohlthuenden und befriedigenden Ein¬
druck machen könnte. Die erste Novelle des Cyklus ist daher auch verfehlt: man
wird durch die unerträglichsten Leiden und Entbehrungen hindurchgehetzt und
sieht bei dem allen keinen rechten Zweck; dagegen tritt die zweite No¬
velle aus diesem Kreise ängstlichen Kunststrebens heraus und gibt uns eine
dem Stosse nach sehr anmuthige und vortrefflich erzählte Episode, die uns leb¬
haft anregt, aber ohne uns zu ängstigen. Sie ist einer der gelungensten Ver¬
suche des jungen Dichters, der seit den wenigen Jahren, daß er an der Revue
de dem Mondes mitarbeitet, sich eine so ungewöhnliche Anerkennung zu ver¬
schaffen gewußt hat. --




Aus der badischen Pfalz.

Die Meteorologen sind selbst und lassen uns noch immer in Ungewißheit
über die Witterung der nächsten Tage; ihnen haben wir daher die Krise bei-
zumessen, welche die Gemüther mehr als jede andere bewegt. Von der Wit¬
terung der nächsten zehn bis zwölf Tage hängt der Ausfall der Ernte ab, und
damit für Tausende die Entscheidung der Frage: ob sie ein unveräußerliches
Menschenrecht, das Recht zu leben, künftig noch gegen Erfüllung der ent¬
sprechenden Pflicht zu arbeiten, werden ausüben können. Zum Glück melden
die Berichte aus Norden und Süden, daß dort die Sonne scheint über Gerechte
und Ungerechte, daß mithin nur der Strich um den 49. Breitegrad im Juni


besten Erzählern von Paris; er steht sehr lebendig und hat eine ganz unge¬
wöhnliche plastische Gabe. — Die Wassertrinkersind das vollkommene Gegen--
theil jener artistischen Zigeuner. Sie leben in der größten Dürftigkeit und
unterziehen sich den unerträglichsten Entbehrungen und Aufopferungen, um
niemals ihr künstlerisches Gewissen zu verletzen. Alles, was sie ersinnen und
durchführen, geht darauf aus, das Studium der Kunst nach einer strengen,
den edelsten Idealen entsprechenden Methode durchzuführen. Sie ertragen
gern jede Entbehrung; sie versagen sich nicht nur die überflüssigen Annehmlich¬
keiten des Lebens, sondern sie schränken auch auf eine wahre spartanische Weise
den Genuß desjenigen ein, was zum Leben nothwendig ist. Wo es dagegen
gilt, einem ihrer Genossen einen Weg zum erhöhterem Studium der Kunst an¬
zubahnen, scheuen sie kein Opfer. Sie haben bei sich einen Communismus
eingeführt, der um so seltsamer aussieht, da er sich auf einen ganz isolirten,
abstracten Zweck bezieht. — Man merkt bei dieser ganzen Erfindung zu sehr
die Absicht heraus, als daß sie einen wohlthuenden und befriedigenden Ein¬
druck machen könnte. Die erste Novelle des Cyklus ist daher auch verfehlt: man
wird durch die unerträglichsten Leiden und Entbehrungen hindurchgehetzt und
sieht bei dem allen keinen rechten Zweck; dagegen tritt die zweite No¬
velle aus diesem Kreise ängstlichen Kunststrebens heraus und gibt uns eine
dem Stosse nach sehr anmuthige und vortrefflich erzählte Episode, die uns leb¬
haft anregt, aber ohne uns zu ängstigen. Sie ist einer der gelungensten Ver¬
suche des jungen Dichters, der seit den wenigen Jahren, daß er an der Revue
de dem Mondes mitarbeitet, sich eine so ungewöhnliche Anerkennung zu ver¬
schaffen gewußt hat. —




Aus der badischen Pfalz.

Die Meteorologen sind selbst und lassen uns noch immer in Ungewißheit
über die Witterung der nächsten Tage; ihnen haben wir daher die Krise bei-
zumessen, welche die Gemüther mehr als jede andere bewegt. Von der Wit¬
terung der nächsten zehn bis zwölf Tage hängt der Ausfall der Ernte ab, und
damit für Tausende die Entscheidung der Frage: ob sie ein unveräußerliches
Menschenrecht, das Recht zu leben, künftig noch gegen Erfüllung der ent¬
sprechenden Pflicht zu arbeiten, werden ausüben können. Zum Glück melden
die Berichte aus Norden und Süden, daß dort die Sonne scheint über Gerechte
und Ungerechte, daß mithin nur der Strich um den 49. Breitegrad im Juni


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[0108] besten Erzählern von Paris; er steht sehr lebendig und hat eine ganz unge¬ wöhnliche plastische Gabe. — Die Wassertrinkersind das vollkommene Gegen-- theil jener artistischen Zigeuner. Sie leben in der größten Dürftigkeit und unterziehen sich den unerträglichsten Entbehrungen und Aufopferungen, um niemals ihr künstlerisches Gewissen zu verletzen. Alles, was sie ersinnen und durchführen, geht darauf aus, das Studium der Kunst nach einer strengen, den edelsten Idealen entsprechenden Methode durchzuführen. Sie ertragen gern jede Entbehrung; sie versagen sich nicht nur die überflüssigen Annehmlich¬ keiten des Lebens, sondern sie schränken auch auf eine wahre spartanische Weise den Genuß desjenigen ein, was zum Leben nothwendig ist. Wo es dagegen gilt, einem ihrer Genossen einen Weg zum erhöhterem Studium der Kunst an¬ zubahnen, scheuen sie kein Opfer. Sie haben bei sich einen Communismus eingeführt, der um so seltsamer aussieht, da er sich auf einen ganz isolirten, abstracten Zweck bezieht. — Man merkt bei dieser ganzen Erfindung zu sehr die Absicht heraus, als daß sie einen wohlthuenden und befriedigenden Ein¬ druck machen könnte. Die erste Novelle des Cyklus ist daher auch verfehlt: man wird durch die unerträglichsten Leiden und Entbehrungen hindurchgehetzt und sieht bei dem allen keinen rechten Zweck; dagegen tritt die zweite No¬ velle aus diesem Kreise ängstlichen Kunststrebens heraus und gibt uns eine dem Stosse nach sehr anmuthige und vortrefflich erzählte Episode, die uns leb¬ haft anregt, aber ohne uns zu ängstigen. Sie ist einer der gelungensten Ver¬ suche des jungen Dichters, der seit den wenigen Jahren, daß er an der Revue de dem Mondes mitarbeitet, sich eine so ungewöhnliche Anerkennung zu ver¬ schaffen gewußt hat. — Aus der badischen Pfalz. Die Meteorologen sind selbst und lassen uns noch immer in Ungewißheit über die Witterung der nächsten Tage; ihnen haben wir daher die Krise bei- zumessen, welche die Gemüther mehr als jede andere bewegt. Von der Wit¬ terung der nächsten zehn bis zwölf Tage hängt der Ausfall der Ernte ab, und damit für Tausende die Entscheidung der Frage: ob sie ein unveräußerliches Menschenrecht, das Recht zu leben, künftig noch gegen Erfüllung der ent¬ sprechenden Pflicht zu arbeiten, werden ausüben können. Zum Glück melden die Berichte aus Norden und Süden, daß dort die Sonne scheint über Gerechte und Ungerechte, daß mithin nur der Strich um den 49. Breitegrad im Juni

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/108>, abgerufen am 09.11.2024.