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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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ungetreu, die russische Politik verlassen hatte; es hätte in den letzten BewegungS-
jahren Schleswig und Holstein verloren, wäre es nicht zurückgekehrt in die Arme
Rußlands, das gegenwärtig ausschließlich "dominirt" in den Dardanellen des
Nordens. Um diese Einigkeit zu befestigen und zu erhalten, hat Christian VIII.
Rußland Erbrechte ans Holstein eingeräumt, welche durch den Erwerb von Ol-
denburg und Delmenhorst für das großfürstliche Holstein vorlängst, 1773, auf¬
gegeben waren, und Rußland im Warschauer Protocolle vom 2i>. Mai (3. Juni)
-I8S-I, sowie im Scparatprotocolle zu London vom 26. April (8. Mai) 1862,
für de" Fall des Aussterbens der männlichen Linie des Prinzen Christian von
Glücksburg sich alle seine Erbrechte an Holstein vorbehalten. Da in dem Lon¬
doner Protocolle vom 8. Mai 18S2, welches die Erbfolge des Prinzen von
Glücksbnrg anerkennt, zugleich die Unteilbarkeit der dänischen Monarchie als ein
Grundsatz des europäischen Völkerrechts von immerwährender Giltigkeit bezeichnet
wird, so ist die Möglichkeit gegeben, daß Nußland nach kurzem Verlauf Däne¬
marks Thron vom Sunde bis zur Elbe besteigt. Die dänische Opposition ans
dem Reichstage und die Presse hat mit allen Waffen gegen die Vorbereitung und
Anbahnung dieser Perspective angekämpft; vergebens! Das Thronfvlgegesetz vom
31. Juli 18S3 verkündet die neue Succession.-- Die Herzogthümer sind überall
nicht befragt; Preußen und England, denen die Alleinherrschaft im Ostseebassin,
dem Sünde und der Elbe, ebenso angelegentlich am Herzen liegen sollte, als
dies bei Rußland der Fall ist, haben zugestimmt. Ritter Bunsen erklärte
noch im Jahre I8S0: Die rechte Hand werde er sich abschlagen lassen, ehe er
das Londoner Protocoll unterzeichne; er hat seine Hand behalten, auch nachdem
er das Protocoll unterschriebe". Lord Clarendou begrüßt in der Note vom
20. Mai 18S3 "die Einigkeit und die Vaterlandsliebe, welche die dänische Nation
während der letzten Jahre zur Bewunderung ganz Europas an den Tag gelegt
habe." --

^ Somit ist die erste Voraussetzung der Errichtung eines dänisch-deutschen
Gesammtstaats, die gemeinsame Erbfolge, erreicht. Die zweite, die Bildung der
Gesammtstaatsverfassuug, naht sich der Erfüllung. Vielleicht treten bei dieser
Formation einige größere Schwierigkeiten hervor, weil nicht die äußere, sondern
die innere Politik den Vorsitz einzunehmen hat. Der erste Keim zur Verfassung
ward niedergelegt in dem Vermächtnisse Christian VIII. und am 28. Januar
18i8 veröffentlicht vom Sohne und Nachfolger. "Wir haben beschlossen," heißt
es, "die Verleihung einer Verfassung in allergnädigste Erwägung zu ziehen,
welche die unantastbaren Rechte unserer Krone ebenso sehr als die unserer lie¬
ben Unterthanen sicher zu stellen sich eigne". Durch diese Verfassung, welche
Wir aus freier landesherrlicher Machtvollkommenheit ertheilen werden, wird in
der bestehenden Verbindung der Herzogthümer nichts geändert werden." Die
Aufregung in Kopenhagen stieg nahe an den Höhepunkt; denn die Grundzüge
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ungetreu, die russische Politik verlassen hatte; es hätte in den letzten BewegungS-
jahren Schleswig und Holstein verloren, wäre es nicht zurückgekehrt in die Arme
Rußlands, das gegenwärtig ausschließlich „dominirt" in den Dardanellen des
Nordens. Um diese Einigkeit zu befestigen und zu erhalten, hat Christian VIII.
Rußland Erbrechte ans Holstein eingeräumt, welche durch den Erwerb von Ol-
denburg und Delmenhorst für das großfürstliche Holstein vorlängst, 1773, auf¬
gegeben waren, und Rußland im Warschauer Protocolle vom 2i>. Mai (3. Juni)
-I8S-I, sowie im Scparatprotocolle zu London vom 26. April (8. Mai) 1862,
für de» Fall des Aussterbens der männlichen Linie des Prinzen Christian von
Glücksburg sich alle seine Erbrechte an Holstein vorbehalten. Da in dem Lon¬
doner Protocolle vom 8. Mai 18S2, welches die Erbfolge des Prinzen von
Glücksbnrg anerkennt, zugleich die Unteilbarkeit der dänischen Monarchie als ein
Grundsatz des europäischen Völkerrechts von immerwährender Giltigkeit bezeichnet
wird, so ist die Möglichkeit gegeben, daß Nußland nach kurzem Verlauf Däne¬
marks Thron vom Sunde bis zur Elbe besteigt. Die dänische Opposition ans
dem Reichstage und die Presse hat mit allen Waffen gegen die Vorbereitung und
Anbahnung dieser Perspective angekämpft; vergebens! Das Thronfvlgegesetz vom
31. Juli 18S3 verkündet die neue Succession.— Die Herzogthümer sind überall
nicht befragt; Preußen und England, denen die Alleinherrschaft im Ostseebassin,
dem Sünde und der Elbe, ebenso angelegentlich am Herzen liegen sollte, als
dies bei Rußland der Fall ist, haben zugestimmt. Ritter Bunsen erklärte
noch im Jahre I8S0: Die rechte Hand werde er sich abschlagen lassen, ehe er
das Londoner Protocoll unterzeichne; er hat seine Hand behalten, auch nachdem
er das Protocoll unterschriebe». Lord Clarendou begrüßt in der Note vom
20. Mai 18S3 „die Einigkeit und die Vaterlandsliebe, welche die dänische Nation
während der letzten Jahre zur Bewunderung ganz Europas an den Tag gelegt
habe." —

^ Somit ist die erste Voraussetzung der Errichtung eines dänisch-deutschen
Gesammtstaats, die gemeinsame Erbfolge, erreicht. Die zweite, die Bildung der
Gesammtstaatsverfassuug, naht sich der Erfüllung. Vielleicht treten bei dieser
Formation einige größere Schwierigkeiten hervor, weil nicht die äußere, sondern
die innere Politik den Vorsitz einzunehmen hat. Der erste Keim zur Verfassung
ward niedergelegt in dem Vermächtnisse Christian VIII. und am 28. Januar
18i8 veröffentlicht vom Sohne und Nachfolger. „Wir haben beschlossen," heißt
es, „die Verleihung einer Verfassung in allergnädigste Erwägung zu ziehen,
welche die unantastbaren Rechte unserer Krone ebenso sehr als die unserer lie¬
ben Unterthanen sicher zu stellen sich eigne». Durch diese Verfassung, welche
Wir aus freier landesherrlicher Machtvollkommenheit ertheilen werden, wird in
der bestehenden Verbindung der Herzogthümer nichts geändert werden." Die
Aufregung in Kopenhagen stieg nahe an den Höhepunkt; denn die Grundzüge
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/59>, abgerufen am 06.02.2025.