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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Türkei im Süden! Die Balance ist aber schon längst verschoben und das ganze
Schwergewicht liegt im Osten; in Europa Rußland, jenseits des Oceans die
Vereinigten Staaten, halten die Wage. Zwischen diesen großen Dimensionen
der Weltmächte ist dem kleinen Dänemark ein Thronfolger gegeben, nicht im
Rechte, sondern im Gebiete der Willkür. Den zunächst Befugten haben Be¬
drohungen mit dänischen Kriegsgerichte wegen Rebellion, -- so heißt die ab-
gedrnngene Gegenwehr -- mit Confiscation der Güter wegen Felonie -- wäh¬
rend der Herzog nie eine Waffe ergriffen -- mit Erbansschließung wegen Miß-
heirath -- während Sprosse ans solchen Mißheirathen fast in allen Staaten
thronen -- zum Verzicht gezwungen und in die Verbannung getrieben. Prinz
Christian von Glücksbnrg, in Dänemark ohne irgend legitimen Anspruch, in den
Herzogthümern erst in entfernter Linie, besteigt den Thron, umgebe" von Prä¬
tendenten mit zweifelhafter Zukunft.

Die russisch-dänischen Beziehungen waren schon in älterer Zeit der innigsten
Art. In den Verhandlungen, denen 1767 die Abtretung des großfürstlichen
Holsteins von Rußland ein Dänemark folgte, ließen die russischen Kommissare
Kilosofow und v. Salldcu zu Protocoll geben: ,,Wir dürfen sagen, daß unsere
allergnädigste Monarchin bei dem scharfen Blick, womit dieselbe den Zusammen¬
hang der Dinge übersteht, ihr größtes Augenmerk darauf gerichtet hat, in dem¬
jenigen Theile von Europa, welcher die nordischen Königreiche bestimmt, eine
beständige Ruhe, eine vollkommene Einigkeit "ut eine dauerhafte Wohlfahrt zu
genießen, zu befestigen, zu erhalten. Die verwegenen Feinde des Königs und
unserer Monarchie werden die russischen Minister nicht länger so schändlich be¬
schuldigen dürfen, daß jemals der frevelhafte Gedanke in ihren Sinn gekommen,
an dem Hofe des Königs von Dänemark dominiren zu wolle"! Die Beherrscher
dieser Erde sind Menschen, wie wir. Keine Pflicht ist heiliger, als die Freund-
schiMpflicht und o! wie glücklich werden Rußland und Dänemark alsdann sein,
wenn die beiderseitige intime Freundschaft selbige weit stärker vereinigt, als alle
Tractate jemals hätten thun können. Alsdann wird von selbst folgen, daß das
politische System vo" Dänemark, sowie es wahrhaftig wahr ist, von dem poli¬
tischen System von Rußland unzertrennlich sei."

Der dänische Graf v. Bernstorff erwiderte: "Jhro Majestät sind nach einer
reifen Untersuchung und Ueberlegung überzeugt, daß das natürliche Interesse
Ihrer Krone mit dem Interesse des russischen Reichs aus das genauste verknüpft
ist und daß die Ruhe, Glückseligkeit und Unabhängigkeit des nördlichen Theils
von Europa, nach menschlicher Vorsicht auf keinen sicherern Grund als auf ein
unbeschränktes nationales EinVerständniß zwischen beide" Souveränen gebaut wer¬
den kaun ")." Däiu'mark büßte 181i Norwegen ein, weil es, diesen Grundsätzen



*) Neues Archiv der Schleswig-holst,-kauend. Gesellschaft für vaterländische Geschichte,
Bd. 6, Heft 1.

Türkei im Süden! Die Balance ist aber schon längst verschoben und das ganze
Schwergewicht liegt im Osten; in Europa Rußland, jenseits des Oceans die
Vereinigten Staaten, halten die Wage. Zwischen diesen großen Dimensionen
der Weltmächte ist dem kleinen Dänemark ein Thronfolger gegeben, nicht im
Rechte, sondern im Gebiete der Willkür. Den zunächst Befugten haben Be¬
drohungen mit dänischen Kriegsgerichte wegen Rebellion, — so heißt die ab-
gedrnngene Gegenwehr — mit Confiscation der Güter wegen Felonie — wäh¬
rend der Herzog nie eine Waffe ergriffen — mit Erbansschließung wegen Miß-
heirath — während Sprosse ans solchen Mißheirathen fast in allen Staaten
thronen — zum Verzicht gezwungen und in die Verbannung getrieben. Prinz
Christian von Glücksbnrg, in Dänemark ohne irgend legitimen Anspruch, in den
Herzogthümern erst in entfernter Linie, besteigt den Thron, umgebe» von Prä¬
tendenten mit zweifelhafter Zukunft.

Die russisch-dänischen Beziehungen waren schon in älterer Zeit der innigsten
Art. In den Verhandlungen, denen 1767 die Abtretung des großfürstlichen
Holsteins von Rußland ein Dänemark folgte, ließen die russischen Kommissare
Kilosofow und v. Salldcu zu Protocoll geben: ,,Wir dürfen sagen, daß unsere
allergnädigste Monarchin bei dem scharfen Blick, womit dieselbe den Zusammen¬
hang der Dinge übersteht, ihr größtes Augenmerk darauf gerichtet hat, in dem¬
jenigen Theile von Europa, welcher die nordischen Königreiche bestimmt, eine
beständige Ruhe, eine vollkommene Einigkeit »ut eine dauerhafte Wohlfahrt zu
genießen, zu befestigen, zu erhalten. Die verwegenen Feinde des Königs und
unserer Monarchie werden die russischen Minister nicht länger so schändlich be¬
schuldigen dürfen, daß jemals der frevelhafte Gedanke in ihren Sinn gekommen,
an dem Hofe des Königs von Dänemark dominiren zu wolle»! Die Beherrscher
dieser Erde sind Menschen, wie wir. Keine Pflicht ist heiliger, als die Freund-
schiMpflicht und o! wie glücklich werden Rußland und Dänemark alsdann sein,
wenn die beiderseitige intime Freundschaft selbige weit stärker vereinigt, als alle
Tractate jemals hätten thun können. Alsdann wird von selbst folgen, daß das
politische System vo» Dänemark, sowie es wahrhaftig wahr ist, von dem poli¬
tischen System von Rußland unzertrennlich sei."

Der dänische Graf v. Bernstorff erwiderte: „Jhro Majestät sind nach einer
reifen Untersuchung und Ueberlegung überzeugt, daß das natürliche Interesse
Ihrer Krone mit dem Interesse des russischen Reichs aus das genauste verknüpft
ist und daß die Ruhe, Glückseligkeit und Unabhängigkeit des nördlichen Theils
von Europa, nach menschlicher Vorsicht auf keinen sicherern Grund als auf ein
unbeschränktes nationales EinVerständniß zwischen beide» Souveränen gebaut wer¬
den kaun ")." Däiu'mark büßte 181i Norwegen ein, weil es, diesen Grundsätzen



*) Neues Archiv der Schleswig-holst,-kauend. Gesellschaft für vaterländische Geschichte,
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[0058] Türkei im Süden! Die Balance ist aber schon längst verschoben und das ganze Schwergewicht liegt im Osten; in Europa Rußland, jenseits des Oceans die Vereinigten Staaten, halten die Wage. Zwischen diesen großen Dimensionen der Weltmächte ist dem kleinen Dänemark ein Thronfolger gegeben, nicht im Rechte, sondern im Gebiete der Willkür. Den zunächst Befugten haben Be¬ drohungen mit dänischen Kriegsgerichte wegen Rebellion, — so heißt die ab- gedrnngene Gegenwehr — mit Confiscation der Güter wegen Felonie — wäh¬ rend der Herzog nie eine Waffe ergriffen — mit Erbansschließung wegen Miß- heirath — während Sprosse ans solchen Mißheirathen fast in allen Staaten thronen — zum Verzicht gezwungen und in die Verbannung getrieben. Prinz Christian von Glücksbnrg, in Dänemark ohne irgend legitimen Anspruch, in den Herzogthümern erst in entfernter Linie, besteigt den Thron, umgebe» von Prä¬ tendenten mit zweifelhafter Zukunft. Die russisch-dänischen Beziehungen waren schon in älterer Zeit der innigsten Art. In den Verhandlungen, denen 1767 die Abtretung des großfürstlichen Holsteins von Rußland ein Dänemark folgte, ließen die russischen Kommissare Kilosofow und v. Salldcu zu Protocoll geben: ,,Wir dürfen sagen, daß unsere allergnädigste Monarchin bei dem scharfen Blick, womit dieselbe den Zusammen¬ hang der Dinge übersteht, ihr größtes Augenmerk darauf gerichtet hat, in dem¬ jenigen Theile von Europa, welcher die nordischen Königreiche bestimmt, eine beständige Ruhe, eine vollkommene Einigkeit »ut eine dauerhafte Wohlfahrt zu genießen, zu befestigen, zu erhalten. Die verwegenen Feinde des Königs und unserer Monarchie werden die russischen Minister nicht länger so schändlich be¬ schuldigen dürfen, daß jemals der frevelhafte Gedanke in ihren Sinn gekommen, an dem Hofe des Königs von Dänemark dominiren zu wolle»! Die Beherrscher dieser Erde sind Menschen, wie wir. Keine Pflicht ist heiliger, als die Freund- schiMpflicht und o! wie glücklich werden Rußland und Dänemark alsdann sein, wenn die beiderseitige intime Freundschaft selbige weit stärker vereinigt, als alle Tractate jemals hätten thun können. Alsdann wird von selbst folgen, daß das politische System vo» Dänemark, sowie es wahrhaftig wahr ist, von dem poli¬ tischen System von Rußland unzertrennlich sei." Der dänische Graf v. Bernstorff erwiderte: „Jhro Majestät sind nach einer reifen Untersuchung und Ueberlegung überzeugt, daß das natürliche Interesse Ihrer Krone mit dem Interesse des russischen Reichs aus das genauste verknüpft ist und daß die Ruhe, Glückseligkeit und Unabhängigkeit des nördlichen Theils von Europa, nach menschlicher Vorsicht auf keinen sicherern Grund als auf ein unbeschränktes nationales EinVerständniß zwischen beide» Souveränen gebaut wer¬ den kaun ")." Däiu'mark büßte 181i Norwegen ein, weil es, diesen Grundsätzen *) Neues Archiv der Schleswig-holst,-kauend. Gesellschaft für vaterländische Geschichte, Bd. 6, Heft 1.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/58>, abgerufen am 06.02.2025.