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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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gemischt) entschieden Partei nahmen für die Rechte des Staates. Sie sahen von
vornherein das. energische Vorschreiten der Negierung gern,, während schon in
diesem ersten Momente aus dem obern (südlichen) Theile des Großherzogthums
Hinweise auf die östreichische Vermittlung erklangen. Indem sich nnn die Regie¬
rung der klerikalen Renitenz gegenüber auf das Gesetz berief, welches an die
Stelle des BclageruugsstaudgesetzeS getreten war, konnte sie freilich nicht anders,
als zur Anwendung der Verhaftung der rennenden Geistlichen schreiten. Wenn
man auch diese formelle Nöthigung anerkannte, so beklagte man doch allgemein
grade diese Maßnahme. Denn-eben dadurch wurde herbeigeführt, was man
von klerikaler Seite gewünscht hatte, nämlich ein persönliches, wenn auch vo"
tausig kein mitleidiges Interesse der Katholiken an der Angelegenheit, welche man
bisher umsonst durch die Presse und allerlei falsche Gerüchte zur konfessionellen
und sachlichen Parteinahme, zur Aufregung zu machen gesucht hatte. Wie sehr
die Geistlichen den Anschein des Martyriums gewünscht hatten, ging auch bald nach¬
her daraus hervor, daß, als man die Verlesung des Hirtenbriefs nicht mehr mit
Gefängniß bestrafte, mehrere verhaftete Geistliche nicht eher ans dem Gefängniß
gehen wollten, als bis ihre sämmtlichen "Mitdnlder" auf freiem Fuße seien. Als
Ursache dieser eingetretenen Milderung steht man aber wohl nicht mit Unrecht die
Weigerung an, welche der Stadtdirector v. Uria in Heidelberg (nicht auch, wie
ultramontancrseits verbreitet wurde, Graf Heunin in Rastatt) den Befehlen der
Negierung zur Vornahme von Verhaftungen renitenter Geistlichen entgegensetzte.
Erfreut man sich nun anch des gewonnenen Resultats', weil dadurch sofort die
künstlich aufgestachelte Aufregung der starrkatholischen Massen erloschen ist, so ver¬
klagt man doch allgemein, daß die Renitenz jenes Beamten vorläufig blos mit
einem einfachen Verweise bestraft wurde. Abgesehen davon, daß Herr v. Uria
als Haupt des ultramontanen Laicnthums gilt, liegt in seinem Falle eine ganz
unzweifelhafte Pflichtverletzung als Beamter vor, während natürlich von der
Gegenpartei solche Milde als Schwäche der Regierung ausgebeutet, im Publieum
verbreitet und dieses zu einer Mißachtung der politischen Gewalten hingeleitet
wird. Man braucht blos die ultramontanen Blätter zu lesen, um dafür die Be¬
weise massenhaft zu finden.

Trotzdem ist den ultramontanen Bestrebungen mit dem Aufhören der Ver¬
haftungen ein mächtiger Hebel zur Betheiligung der Massen am kirchenstaatlichen
Conflicte genommen. Man hatte selbst die sehr leichten Zusammenläufe im Ober¬
lande, welche von den ultramontanen Blättern riesenhaft übertrieben worden sind,
nnr mit Mühe zusammengetrommelt. Darin lag der Beweis, daß man Zusammenrot¬
tungen wünschte. Aber schon hörte man auch grade aus demselben Lager, von wo
aus das "arme Volk" aufgeregt worden war: wenn ein Staat Auflaufe nicht ver¬
hindern könne, so müsse sofort der stärkere Nachbarstaat zur Erhaltung der Ruhe
und Ordnung berufen werden; Würtemberg stehe jedoch selbst "der heiligen Kirche"


gemischt) entschieden Partei nahmen für die Rechte des Staates. Sie sahen von
vornherein das. energische Vorschreiten der Negierung gern,, während schon in
diesem ersten Momente aus dem obern (südlichen) Theile des Großherzogthums
Hinweise auf die östreichische Vermittlung erklangen. Indem sich nnn die Regie¬
rung der klerikalen Renitenz gegenüber auf das Gesetz berief, welches an die
Stelle des BclageruugsstaudgesetzeS getreten war, konnte sie freilich nicht anders,
als zur Anwendung der Verhaftung der rennenden Geistlichen schreiten. Wenn
man auch diese formelle Nöthigung anerkannte, so beklagte man doch allgemein
grade diese Maßnahme. Denn-eben dadurch wurde herbeigeführt, was man
von klerikaler Seite gewünscht hatte, nämlich ein persönliches, wenn auch vo»
tausig kein mitleidiges Interesse der Katholiken an der Angelegenheit, welche man
bisher umsonst durch die Presse und allerlei falsche Gerüchte zur konfessionellen
und sachlichen Parteinahme, zur Aufregung zu machen gesucht hatte. Wie sehr
die Geistlichen den Anschein des Martyriums gewünscht hatten, ging auch bald nach¬
her daraus hervor, daß, als man die Verlesung des Hirtenbriefs nicht mehr mit
Gefängniß bestrafte, mehrere verhaftete Geistliche nicht eher ans dem Gefängniß
gehen wollten, als bis ihre sämmtlichen „Mitdnlder" auf freiem Fuße seien. Als
Ursache dieser eingetretenen Milderung steht man aber wohl nicht mit Unrecht die
Weigerung an, welche der Stadtdirector v. Uria in Heidelberg (nicht auch, wie
ultramontancrseits verbreitet wurde, Graf Heunin in Rastatt) den Befehlen der
Negierung zur Vornahme von Verhaftungen renitenter Geistlichen entgegensetzte.
Erfreut man sich nun anch des gewonnenen Resultats', weil dadurch sofort die
künstlich aufgestachelte Aufregung der starrkatholischen Massen erloschen ist, so ver¬
klagt man doch allgemein, daß die Renitenz jenes Beamten vorläufig blos mit
einem einfachen Verweise bestraft wurde. Abgesehen davon, daß Herr v. Uria
als Haupt des ultramontanen Laicnthums gilt, liegt in seinem Falle eine ganz
unzweifelhafte Pflichtverletzung als Beamter vor, während natürlich von der
Gegenpartei solche Milde als Schwäche der Regierung ausgebeutet, im Publieum
verbreitet und dieses zu einer Mißachtung der politischen Gewalten hingeleitet
wird. Man braucht blos die ultramontanen Blätter zu lesen, um dafür die Be¬
weise massenhaft zu finden.

Trotzdem ist den ultramontanen Bestrebungen mit dem Aufhören der Ver¬
haftungen ein mächtiger Hebel zur Betheiligung der Massen am kirchenstaatlichen
Conflicte genommen. Man hatte selbst die sehr leichten Zusammenläufe im Ober¬
lande, welche von den ultramontanen Blättern riesenhaft übertrieben worden sind,
nnr mit Mühe zusammengetrommelt. Darin lag der Beweis, daß man Zusammenrot¬
tungen wünschte. Aber schon hörte man auch grade aus demselben Lager, von wo
aus das „arme Volk" aufgeregt worden war: wenn ein Staat Auflaufe nicht ver¬
hindern könne, so müsse sofort der stärkere Nachbarstaat zur Erhaltung der Ruhe
und Ordnung berufen werden; Würtemberg stehe jedoch selbst „der heiligen Kirche"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/510>, abgerufen am 06.02.2025.