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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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den Herzog mit einem wohlverdienten Sturme. Olivas erinnert an die Erlanb-
nisz, die Antwort von Marceline überbringen zu dürfen, aber Diane, innerlich
erfreut, eine Gelegenheit zu haben, den Maler zu überführen, daß blos der
Schein gegen sie zeuge, ruft die Würde der beleidigten Frau zu ihrer Hilfe.
Der Herzog wird förmlich zur Thür hinausgedonnert. Diese Scene brauchte der
Dichter, um die, nächste herbeizuführen, aber wir suchen vergebens auch nur eine
Spur, von Rechtfertigung einer solchen Unschicklichkeit. Der Herzog mag Dianen
für eine Kokette halten, sie mag ihm die Erlaubniß wiederzukommen in einer
Weise gegeben haben, die Hoffnungen erweckt, allein das ist noch kein Grund,
einer Frau den Schimpf anzuthun, nach Mitternacht zu erscheinen. Was hinderte
ihn, den Brief Marcelincs schon um neun Uhr zu bringen? War der Versuch,
zu bleiben, nicht natürlicher und mehr vom Auslande geboten, als sich zu so spä¬
ter Stunde vorzustellen, was nach gesellschaftlichen Herkommen ganz unmöglich ist.
Paul Aubry hatte alles gehört. -- Diane braucht sich nicht mehr zu entschul¬
digen. -- Der Maler hat einen Blick in das Herz dieses Weibes gethan. Er
übernimmt selbst beredt ihre Vertheidigung und schließt mit einigen warmen Er¬
mahnungen. Diane ist gerührt -- sie hat endlich einen Menschen gefunden, der
sie versteht -- sie will keinen Schritt mehr thun, ohne den Rath ihres neuen
Freundes -- denn es gibt Minuten, die eine zwanzigjährige Freundschaft schließen.
Andr.y geht auf diesen Frcundschaftspact ein, aber mau sieht es den Beiden
an, daß dieser Name sie selbst täuschen soll über das was, in ihrem Herzen
vorgeht.

Aubry kommt täglich ins Haus, er faßt eine heftige wahre Leidenschaft zu
Dianen. -- Diese erwiedert seine Liebe. Sie zieht sich von der Well zurück
und empfängt kaum mehr. Man erzählt sich überall, daß Madame de Lys die
Geliebte Paul Aubry's sei. Eine Schwägerin der Gräfin, welche die junge
Frau haßt, vergrößert noch den Scandal, um ein Recht zu haben, ihren Bruder
zu warne". Diane soll auf irgend einen großen Ball und hat ihren Salon
bis eilf Uhr geöffnet. Ihre Freunde stürzen herbei, um sie a. petites äsnts zu
zerreiße", -- auch diese Scene ist unwahr. Die große Welt schenkt sich zwar
gewisse Rohheiten nicht, aber so plumpe Impertinenzen sagt man der Hansfrau
denn doch nicht ins Gesicht. Wenn die Schwägerin blos eine Ausnahme ge¬
macht hätte, man würde das begreifen, aber diese ganze elegante Gesellschaft so
ohne Zurückhaltung sich gebärden lassen -- das mag gut für deu drastischen
Effect sein, es bleibt immer unwahr. Ich frug mich unwillkürlich, warum Diane
nicht ihren Leuten schellte und das ganze Pack die Stiege hinunterwerfen
ließ. Sie hat ruhig ausgehalten, aber sie beschließt nnn, der Gesellschaft den
Handschuh hinzuwerfen; sie wird Paul Aubry der Herzogin vorstellen, sie wird
mit ihm auf den Ball fahren. Marceline sucht sie vergebens von diesem Schritte
zurückzuhalten, und mir, da Paul Aubry selbst sich weigert, steht Diane von


den Herzog mit einem wohlverdienten Sturme. Olivas erinnert an die Erlanb-
nisz, die Antwort von Marceline überbringen zu dürfen, aber Diane, innerlich
erfreut, eine Gelegenheit zu haben, den Maler zu überführen, daß blos der
Schein gegen sie zeuge, ruft die Würde der beleidigten Frau zu ihrer Hilfe.
Der Herzog wird förmlich zur Thür hinausgedonnert. Diese Scene brauchte der
Dichter, um die, nächste herbeizuführen, aber wir suchen vergebens auch nur eine
Spur, von Rechtfertigung einer solchen Unschicklichkeit. Der Herzog mag Dianen
für eine Kokette halten, sie mag ihm die Erlaubniß wiederzukommen in einer
Weise gegeben haben, die Hoffnungen erweckt, allein das ist noch kein Grund,
einer Frau den Schimpf anzuthun, nach Mitternacht zu erscheinen. Was hinderte
ihn, den Brief Marcelincs schon um neun Uhr zu bringen? War der Versuch,
zu bleiben, nicht natürlicher und mehr vom Auslande geboten, als sich zu so spä¬
ter Stunde vorzustellen, was nach gesellschaftlichen Herkommen ganz unmöglich ist.
Paul Aubry hatte alles gehört. — Diane braucht sich nicht mehr zu entschul¬
digen. — Der Maler hat einen Blick in das Herz dieses Weibes gethan. Er
übernimmt selbst beredt ihre Vertheidigung und schließt mit einigen warmen Er¬
mahnungen. Diane ist gerührt — sie hat endlich einen Menschen gefunden, der
sie versteht — sie will keinen Schritt mehr thun, ohne den Rath ihres neuen
Freundes — denn es gibt Minuten, die eine zwanzigjährige Freundschaft schließen.
Andr.y geht auf diesen Frcundschaftspact ein, aber mau sieht es den Beiden
an, daß dieser Name sie selbst täuschen soll über das was, in ihrem Herzen
vorgeht.

Aubry kommt täglich ins Haus, er faßt eine heftige wahre Leidenschaft zu
Dianen. — Diese erwiedert seine Liebe. Sie zieht sich von der Well zurück
und empfängt kaum mehr. Man erzählt sich überall, daß Madame de Lys die
Geliebte Paul Aubry's sei. Eine Schwägerin der Gräfin, welche die junge
Frau haßt, vergrößert noch den Scandal, um ein Recht zu haben, ihren Bruder
zu warne». Diane soll auf irgend einen großen Ball und hat ihren Salon
bis eilf Uhr geöffnet. Ihre Freunde stürzen herbei, um sie a. petites äsnts zu
zerreiße», — auch diese Scene ist unwahr. Die große Welt schenkt sich zwar
gewisse Rohheiten nicht, aber so plumpe Impertinenzen sagt man der Hansfrau
denn doch nicht ins Gesicht. Wenn die Schwägerin blos eine Ausnahme ge¬
macht hätte, man würde das begreifen, aber diese ganze elegante Gesellschaft so
ohne Zurückhaltung sich gebärden lassen — das mag gut für deu drastischen
Effect sein, es bleibt immer unwahr. Ich frug mich unwillkürlich, warum Diane
nicht ihren Leuten schellte und das ganze Pack die Stiege hinunterwerfen
ließ. Sie hat ruhig ausgehalten, aber sie beschließt nnn, der Gesellschaft den
Handschuh hinzuwerfen; sie wird Paul Aubry der Herzogin vorstellen, sie wird
mit ihm auf den Ball fahren. Marceline sucht sie vergebens von diesem Schritte
zurückzuhalten, und mir, da Paul Aubry selbst sich weigert, steht Diane von


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[0504] den Herzog mit einem wohlverdienten Sturme. Olivas erinnert an die Erlanb- nisz, die Antwort von Marceline überbringen zu dürfen, aber Diane, innerlich erfreut, eine Gelegenheit zu haben, den Maler zu überführen, daß blos der Schein gegen sie zeuge, ruft die Würde der beleidigten Frau zu ihrer Hilfe. Der Herzog wird förmlich zur Thür hinausgedonnert. Diese Scene brauchte der Dichter, um die, nächste herbeizuführen, aber wir suchen vergebens auch nur eine Spur, von Rechtfertigung einer solchen Unschicklichkeit. Der Herzog mag Dianen für eine Kokette halten, sie mag ihm die Erlaubniß wiederzukommen in einer Weise gegeben haben, die Hoffnungen erweckt, allein das ist noch kein Grund, einer Frau den Schimpf anzuthun, nach Mitternacht zu erscheinen. Was hinderte ihn, den Brief Marcelincs schon um neun Uhr zu bringen? War der Versuch, zu bleiben, nicht natürlicher und mehr vom Auslande geboten, als sich zu so spä¬ ter Stunde vorzustellen, was nach gesellschaftlichen Herkommen ganz unmöglich ist. Paul Aubry hatte alles gehört. — Diane braucht sich nicht mehr zu entschul¬ digen. — Der Maler hat einen Blick in das Herz dieses Weibes gethan. Er übernimmt selbst beredt ihre Vertheidigung und schließt mit einigen warmen Er¬ mahnungen. Diane ist gerührt — sie hat endlich einen Menschen gefunden, der sie versteht — sie will keinen Schritt mehr thun, ohne den Rath ihres neuen Freundes — denn es gibt Minuten, die eine zwanzigjährige Freundschaft schließen. Andr.y geht auf diesen Frcundschaftspact ein, aber mau sieht es den Beiden an, daß dieser Name sie selbst täuschen soll über das was, in ihrem Herzen vorgeht. Aubry kommt täglich ins Haus, er faßt eine heftige wahre Leidenschaft zu Dianen. — Diese erwiedert seine Liebe. Sie zieht sich von der Well zurück und empfängt kaum mehr. Man erzählt sich überall, daß Madame de Lys die Geliebte Paul Aubry's sei. Eine Schwägerin der Gräfin, welche die junge Frau haßt, vergrößert noch den Scandal, um ein Recht zu haben, ihren Bruder zu warne». Diane soll auf irgend einen großen Ball und hat ihren Salon bis eilf Uhr geöffnet. Ihre Freunde stürzen herbei, um sie a. petites äsnts zu zerreiße», — auch diese Scene ist unwahr. Die große Welt schenkt sich zwar gewisse Rohheiten nicht, aber so plumpe Impertinenzen sagt man der Hansfrau denn doch nicht ins Gesicht. Wenn die Schwägerin blos eine Ausnahme ge¬ macht hätte, man würde das begreifen, aber diese ganze elegante Gesellschaft so ohne Zurückhaltung sich gebärden lassen — das mag gut für deu drastischen Effect sein, es bleibt immer unwahr. Ich frug mich unwillkürlich, warum Diane nicht ihren Leuten schellte und das ganze Pack die Stiege hinunterwerfen ließ. Sie hat ruhig ausgehalten, aber sie beschließt nnn, der Gesellschaft den Handschuh hinzuwerfen; sie wird Paul Aubry der Herzogin vorstellen, sie wird mit ihm auf den Ball fahren. Marceline sucht sie vergebens von diesem Schritte zurückzuhalten, und mir, da Paul Aubry selbst sich weigert, steht Diane von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/504>, abgerufen am 06.02.2025.