Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.eine künstlerische Form in der Musik darstellen können, als etwa die Streckverse Diesem Musikstück steht, am nächsten die Romanze. Sie ist einfach, meist Die drei Sätze der Harold-Symphonie -- das Räuber-Bacchanale des eine künstlerische Form in der Musik darstellen können, als etwa die Streckverse Diesem Musikstück steht, am nächsten die Romanze. Sie ist einfach, meist Die drei Sätze der Harold-Symphonie — das Räuber-Bacchanale des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0498" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97203"/> <p xml:id="ID_1460" prev="#ID_1459"> eine künstlerische Form in der Musik darstellen können, als etwa die Streckverse<lb/> in der Poesie. So verhält es sich gleich mit dem Tenorsolo der Flucht; der<lb/> Text ist episch beschreibend und die Musik geht mit ihm fort, beide stören ein¬<lb/> ander nicht und den Zuhörer auch nicht, was dieser Berlioz gegenüber für Be¬<lb/> friedigung ansieht. Und doch hätte ein ungeschickter Theatercoup am Schluß bei¬<lb/> nahe die Theilnahme des Pul'licums verwirkt. Nach dem Schluß der Beschreibung:<lb/> „des Himmels Englein knieten rund umher, anbetend leis den Jesuknaben",<lb/> fällt der Chor mit Hallelujah el». Berlioz begeht die unbegreifliche Plattitüde,<lb/> diese wenigen Accorde außerhalb des Saales singen zu lassen. Was im Theater<lb/> am Platz sein kann, ist es doch im Concertsaale nicht, und hier war es nicht<lb/> einmal durch den Text irgend indicirt. Dagegen wird die Intonation der Sing-<lb/> stimmen dadurch unsicher und der Klang derselben nicht blos, wie bei Instrumenten, de¬<lb/> nen man Dämpfer aufsetzt, verändert, sondern verschlechtert; und alle diese we¬<lb/> sentlichen Bedenken sind dem Effect einer kindischen Ueberraschung geopfert.</p><lb/> <p xml:id="ID_1461"> Diesem Musikstück steht, am nächsten die Romanze. Sie ist einfach, meist<lb/> wohlklingend, aber herzlich unbedeutend, und manches, wie die Hornbeglcitung,<lb/> sogar sehr trivial. Wie fatal die Erinnerung an Prochsche Fadaisen ans uns wirkt,<lb/> kann Berlioz freilich nicht wissen, aber es bleibt immer schlimm, daß man daran<lb/> erinnert wird. Uebrigens wird sich Berlioz schwerlich sehr geschmeichelt fühlen,<lb/> daß grade diese Sachen den meisten und ungetheilten Beifall fanden; wenigstens<lb/> charakterisiere er früher Mendelssohns Stellung zu ihm ironisch dnrch die Worte:<lb/> Nenäöl8soKn o, ton^ours uns FranÄL <Z8t,imo pour nos — edansonsttes.<lb/> Das Publicum scheint hier noch immer Mendelssohns Meinung zu sein, ich kann<lb/> sie nicht ganz theile» — in Beziehung ans die oKg,nsoaEtr<Z8.</p><lb/> <p xml:id="ID_1462" next="#ID_1463"> Die drei Sätze der Harold-Symphonie — das Räuber-Bacchanale des<lb/> letzten Satzes ward uns geschenkt — waren ganz geeignet, die Vorstellungen vom<lb/> zahmen Berlioz zu rectificiren. Die Symphonie ist in der Anlage nicht so mon¬<lb/> strös wie Romeo und Julie, sie hält sich innerhalb der Grenzen der gewohnten<lb/> Form, die sie nur insofern erweitert, als sie obligate Bratsche und Harfe mit<lb/> anwendet. Ob die Bratsche etwa das dramatische Element repräsentiren und die<lb/> Individualität Harolds der Natur Italiens und seiner Bewohner gegenüber zur<lb/> Geltung bringen solle, wage ich nicht zu bestimmen, gewiß ist aber, daß das<lb/> Solvinstrument in einer Weise virtuosenhaft hervortritt, welche zeitweise ganz und<lb/> gar ins cvncertmäßige übergeht und zwar in der allergewöhnlichsten Manier,<lb/> z. B. in endlosen Harpeggien-Etüden, wodurch die Geduld des Hörers um so<lb/> empfindlicher geprüft wird, da es der Anlage und Färbung der Symphonie<lb/> durchaus nicht entspricht. Denn den eigentlichen Stempel erhalten diese in Mu¬<lb/> sik gesetzten impresi>lors als on^-rAs dnrch die Reminiscenzen italienischer Volks¬<lb/> musik, mit welchen sie aufgeputzt sind. Allerdings sind charakteristische Züge der¬<lb/> selben sein beobachtet und geschickt nachgeahmt, über es sind auch hier nur</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0498]
eine künstlerische Form in der Musik darstellen können, als etwa die Streckverse
in der Poesie. So verhält es sich gleich mit dem Tenorsolo der Flucht; der
Text ist episch beschreibend und die Musik geht mit ihm fort, beide stören ein¬
ander nicht und den Zuhörer auch nicht, was dieser Berlioz gegenüber für Be¬
friedigung ansieht. Und doch hätte ein ungeschickter Theatercoup am Schluß bei¬
nahe die Theilnahme des Pul'licums verwirkt. Nach dem Schluß der Beschreibung:
„des Himmels Englein knieten rund umher, anbetend leis den Jesuknaben",
fällt der Chor mit Hallelujah el». Berlioz begeht die unbegreifliche Plattitüde,
diese wenigen Accorde außerhalb des Saales singen zu lassen. Was im Theater
am Platz sein kann, ist es doch im Concertsaale nicht, und hier war es nicht
einmal durch den Text irgend indicirt. Dagegen wird die Intonation der Sing-
stimmen dadurch unsicher und der Klang derselben nicht blos, wie bei Instrumenten, de¬
nen man Dämpfer aufsetzt, verändert, sondern verschlechtert; und alle diese we¬
sentlichen Bedenken sind dem Effect einer kindischen Ueberraschung geopfert.
Diesem Musikstück steht, am nächsten die Romanze. Sie ist einfach, meist
wohlklingend, aber herzlich unbedeutend, und manches, wie die Hornbeglcitung,
sogar sehr trivial. Wie fatal die Erinnerung an Prochsche Fadaisen ans uns wirkt,
kann Berlioz freilich nicht wissen, aber es bleibt immer schlimm, daß man daran
erinnert wird. Uebrigens wird sich Berlioz schwerlich sehr geschmeichelt fühlen,
daß grade diese Sachen den meisten und ungetheilten Beifall fanden; wenigstens
charakterisiere er früher Mendelssohns Stellung zu ihm ironisch dnrch die Worte:
Nenäöl8soKn o, ton^ours uns FranÄL <Z8t,imo pour nos — edansonsttes.
Das Publicum scheint hier noch immer Mendelssohns Meinung zu sein, ich kann
sie nicht ganz theile» — in Beziehung ans die oKg,nsoaEtr<Z8.
Die drei Sätze der Harold-Symphonie — das Räuber-Bacchanale des
letzten Satzes ward uns geschenkt — waren ganz geeignet, die Vorstellungen vom
zahmen Berlioz zu rectificiren. Die Symphonie ist in der Anlage nicht so mon¬
strös wie Romeo und Julie, sie hält sich innerhalb der Grenzen der gewohnten
Form, die sie nur insofern erweitert, als sie obligate Bratsche und Harfe mit
anwendet. Ob die Bratsche etwa das dramatische Element repräsentiren und die
Individualität Harolds der Natur Italiens und seiner Bewohner gegenüber zur
Geltung bringen solle, wage ich nicht zu bestimmen, gewiß ist aber, daß das
Solvinstrument in einer Weise virtuosenhaft hervortritt, welche zeitweise ganz und
gar ins cvncertmäßige übergeht und zwar in der allergewöhnlichsten Manier,
z. B. in endlosen Harpeggien-Etüden, wodurch die Geduld des Hörers um so
empfindlicher geprüft wird, da es der Anlage und Färbung der Symphonie
durchaus nicht entspricht. Denn den eigentlichen Stempel erhalten diese in Mu¬
sik gesetzten impresi>lors als on^-rAs dnrch die Reminiscenzen italienischer Volks¬
musik, mit welchen sie aufgeputzt sind. Allerdings sind charakteristische Züge der¬
selben sein beobachtet und geschickt nachgeahmt, über es sind auch hier nur
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