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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Einzelnheiten wiedergegeben, und zwar solche, die in irgend einer Weise als ba¬
rock auffallen, aus denen nur eine Caricatur entstehe" kann. Eine freie künst¬
lerische Darstellung des italienischen Volkes in seinem musikalischen Leben müßte
tiefer gehen als auf äußerliche Eigenheiten, und doch würde auch das immer
wesentlich nur Reproduction bleiben, eine Art von Gcnredarstelluug, die in der
Musik ungleich untergeordneter ist als in der Malerei. Einen ähnlichen Anspruch
macht die Ouvertüre zum römischen Carneval. Was den römischen Kar¬
neval so unwiderstehlich reizend macht, ist die unmittelbare Frische, die unversieg¬
bare Kraft der unverfälschten Menschennatur, die sich in ausgelassenster Heiterkeit
und Lustigkeit frei gehen läßt, ohne' je ihres Adels, ihrer Würde und ihrer Grazie
zu vergessen; und was den römische" Carneval unausstehlich macht, das sind die
Fremden, welche meinen, sie müßten auch parforce ausgelassen sein und lustige
Einfälle haben und witzig werden, und durch die abgeschmacktesten Uebertreibungen
die allgemeine Frende stören, daß die Römer den Kopf schütteln über die lo-
resUorl, die immer Barbaren bleiben und gar nicht zu ertragen wären, wenn sie
nicht Geld hätten. Das trat mir wieder recht lebhaft vor die Seele/ als ich die
Ouvertüre von Berlioz hörte.

Das zahlreich versammelte Publicum eines GewaudhanScvncerteS verhielt sich
der ungewohnten Erscheinung gegenüber mit einer durch eine anständige Zurückhaltung
gedämpften Neugierde, die sich auch zu einer lebhaften Theilnahme nicht steigerte.
Der Beifall ging von einer kleinen entschlossenen Phalanx neben der Thür aus,
die sich auch von einer theilweise vernehmbar werdenden Opposition nicht beirren
ließ, einzelne Bravorufe verhallten im Vorsaal.

Das zweite Concert brachte die drei ersten Sätze der Symphonie Romeo
und Julie, dann "ans vielfaches Verlangen" die Flucht nach Aegypten, und
endlich die Abtheilungen des Faust, welche bereits in den Grenzboten besprochen
worden sind. Daß man die den zweiten Theil einleitende Jnstrnmcntalfuge zum
größten Theil gestrichen hatte, war eine nucrivartete Wohlthat, daß, man die
einen deutschen Sinn beleidigende Uebersetzung gedruckt dem Publicum verkaufte,
dafür kaun man Berlioz nicht verantwortlich mache", da er kei" Deutsch versteht,
das Publicum kaufte sie, und las sie geduldig. Zahlreich war es nicht versam¬
melt, aber ans begreiflichen Gründen waren es vornämlich günstig gestimmte,
welche sich eingefunden hatten, die sich mit Erfolg bemüheten, durch intensive
Stärke des Beifalls zu ersetzen, was ihm extensiv abging.

Uebrigens wird Berlioz mit Leipzig zufriedener gewesen sein als vor zehn
Jahren; die Harfe mußte zwar auch diesmal aus Dresden verschrieben werden,
aber mit dem günstigsten Erfolg, ein englisches Horn war auch vorhanden und
die Ophicleide wird seinem Ideal wenigstens etwas mehr entsprochen haben. Auch
wird er jetzt schwerlich in Verlegenheit sein, auf die Fragen Hellers, welche er
damals nicht beantworten mochte, offene Antwort zu geben, die für ihn vielleicht


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Einzelnheiten wiedergegeben, und zwar solche, die in irgend einer Weise als ba¬
rock auffallen, aus denen nur eine Caricatur entstehe» kann. Eine freie künst¬
lerische Darstellung des italienischen Volkes in seinem musikalischen Leben müßte
tiefer gehen als auf äußerliche Eigenheiten, und doch würde auch das immer
wesentlich nur Reproduction bleiben, eine Art von Gcnredarstelluug, die in der
Musik ungleich untergeordneter ist als in der Malerei. Einen ähnlichen Anspruch
macht die Ouvertüre zum römischen Carneval. Was den römischen Kar¬
neval so unwiderstehlich reizend macht, ist die unmittelbare Frische, die unversieg¬
bare Kraft der unverfälschten Menschennatur, die sich in ausgelassenster Heiterkeit
und Lustigkeit frei gehen läßt, ohne' je ihres Adels, ihrer Würde und ihrer Grazie
zu vergessen; und was den römische» Carneval unausstehlich macht, das sind die
Fremden, welche meinen, sie müßten auch parforce ausgelassen sein und lustige
Einfälle haben und witzig werden, und durch die abgeschmacktesten Uebertreibungen
die allgemeine Frende stören, daß die Römer den Kopf schütteln über die lo-
resUorl, die immer Barbaren bleiben und gar nicht zu ertragen wären, wenn sie
nicht Geld hätten. Das trat mir wieder recht lebhaft vor die Seele/ als ich die
Ouvertüre von Berlioz hörte.

Das zahlreich versammelte Publicum eines GewaudhanScvncerteS verhielt sich
der ungewohnten Erscheinung gegenüber mit einer durch eine anständige Zurückhaltung
gedämpften Neugierde, die sich auch zu einer lebhaften Theilnahme nicht steigerte.
Der Beifall ging von einer kleinen entschlossenen Phalanx neben der Thür aus,
die sich auch von einer theilweise vernehmbar werdenden Opposition nicht beirren
ließ, einzelne Bravorufe verhallten im Vorsaal.

Das zweite Concert brachte die drei ersten Sätze der Symphonie Romeo
und Julie, dann „ans vielfaches Verlangen" die Flucht nach Aegypten, und
endlich die Abtheilungen des Faust, welche bereits in den Grenzboten besprochen
worden sind. Daß man die den zweiten Theil einleitende Jnstrnmcntalfuge zum
größten Theil gestrichen hatte, war eine nucrivartete Wohlthat, daß, man die
einen deutschen Sinn beleidigende Uebersetzung gedruckt dem Publicum verkaufte,
dafür kaun man Berlioz nicht verantwortlich mache», da er kei» Deutsch versteht,
das Publicum kaufte sie, und las sie geduldig. Zahlreich war es nicht versam¬
melt, aber ans begreiflichen Gründen waren es vornämlich günstig gestimmte,
welche sich eingefunden hatten, die sich mit Erfolg bemüheten, durch intensive
Stärke des Beifalls zu ersetzen, was ihm extensiv abging.

Uebrigens wird Berlioz mit Leipzig zufriedener gewesen sein als vor zehn
Jahren; die Harfe mußte zwar auch diesmal aus Dresden verschrieben werden,
aber mit dem günstigsten Erfolg, ein englisches Horn war auch vorhanden und
die Ophicleide wird seinem Ideal wenigstens etwas mehr entsprochen haben. Auch
wird er jetzt schwerlich in Verlegenheit sein, auf die Fragen Hellers, welche er
damals nicht beantworten mochte, offene Antwort zu geben, die für ihn vielleicht


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[0499] Einzelnheiten wiedergegeben, und zwar solche, die in irgend einer Weise als ba¬ rock auffallen, aus denen nur eine Caricatur entstehe» kann. Eine freie künst¬ lerische Darstellung des italienischen Volkes in seinem musikalischen Leben müßte tiefer gehen als auf äußerliche Eigenheiten, und doch würde auch das immer wesentlich nur Reproduction bleiben, eine Art von Gcnredarstelluug, die in der Musik ungleich untergeordneter ist als in der Malerei. Einen ähnlichen Anspruch macht die Ouvertüre zum römischen Carneval. Was den römischen Kar¬ neval so unwiderstehlich reizend macht, ist die unmittelbare Frische, die unversieg¬ bare Kraft der unverfälschten Menschennatur, die sich in ausgelassenster Heiterkeit und Lustigkeit frei gehen läßt, ohne' je ihres Adels, ihrer Würde und ihrer Grazie zu vergessen; und was den römische» Carneval unausstehlich macht, das sind die Fremden, welche meinen, sie müßten auch parforce ausgelassen sein und lustige Einfälle haben und witzig werden, und durch die abgeschmacktesten Uebertreibungen die allgemeine Frende stören, daß die Römer den Kopf schütteln über die lo- resUorl, die immer Barbaren bleiben und gar nicht zu ertragen wären, wenn sie nicht Geld hätten. Das trat mir wieder recht lebhaft vor die Seele/ als ich die Ouvertüre von Berlioz hörte. Das zahlreich versammelte Publicum eines GewaudhanScvncerteS verhielt sich der ungewohnten Erscheinung gegenüber mit einer durch eine anständige Zurückhaltung gedämpften Neugierde, die sich auch zu einer lebhaften Theilnahme nicht steigerte. Der Beifall ging von einer kleinen entschlossenen Phalanx neben der Thür aus, die sich auch von einer theilweise vernehmbar werdenden Opposition nicht beirren ließ, einzelne Bravorufe verhallten im Vorsaal. Das zweite Concert brachte die drei ersten Sätze der Symphonie Romeo und Julie, dann „ans vielfaches Verlangen" die Flucht nach Aegypten, und endlich die Abtheilungen des Faust, welche bereits in den Grenzboten besprochen worden sind. Daß man die den zweiten Theil einleitende Jnstrnmcntalfuge zum größten Theil gestrichen hatte, war eine nucrivartete Wohlthat, daß, man die einen deutschen Sinn beleidigende Uebersetzung gedruckt dem Publicum verkaufte, dafür kaun man Berlioz nicht verantwortlich mache», da er kei» Deutsch versteht, das Publicum kaufte sie, und las sie geduldig. Zahlreich war es nicht versam¬ melt, aber ans begreiflichen Gründen waren es vornämlich günstig gestimmte, welche sich eingefunden hatten, die sich mit Erfolg bemüheten, durch intensive Stärke des Beifalls zu ersetzen, was ihm extensiv abging. Uebrigens wird Berlioz mit Leipzig zufriedener gewesen sein als vor zehn Jahren; die Harfe mußte zwar auch diesmal aus Dresden verschrieben werden, aber mit dem günstigsten Erfolg, ein englisches Horn war auch vorhanden und die Ophicleide wird seinem Ideal wenigstens etwas mehr entsprochen haben. Auch wird er jetzt schwerlich in Verlegenheit sein, auf die Fragen Hellers, welche er damals nicht beantworten mochte, offene Antwort zu geben, die für ihn vielleicht 62 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/499>, abgerufen am 05.02.2025.