Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.der betreffenden Werke zulassen will. Wir sind sogar so kühn zu behaupten, daß In dem Scherze "Fee Mad" ist die Summe aller musikalischen Kunst des Kom¬ der betreffenden Werke zulassen will. Wir sind sogar so kühn zu behaupten, daß In dem Scherze „Fee Mad" ist die Summe aller musikalischen Kunst des Kom¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0480" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97185"/> <p xml:id="ID_1417" prev="#ID_1416"> der betreffenden Werke zulassen will. Wir sind sogar so kühn zu behaupten, daß<lb/> der letzte Satz dieser Sinfonie (Freude schöner Götterfunken) ,in seiner Genesis aus<lb/> einer ganz andern Basis ursprünglich gestanden hat, als die drei ersten Justrumental-<lb/> sätze dieser Sinfonie, die gewiß auf rein musikalischen Wege sich gestaltet haben, und<lb/> daß der Zusammenhang der ganzen Sätze ein mehr zufälliger ist, wieviele Commenta-<lb/> toren sich auch bemüht haben, den rothen geistigen Faden herauszufinden. Wie manche<lb/> unbedeutende Aeußerung Beethovens mag dazu gedient haben, erklärnngSsüchtige Pro¬<lb/> saiker zur Entwickelung ihres Scharfsinns aufzustacheln. Ein Unglück aber hat diese<lb/> neunte Sinfonie gewiß erzeugt: die übertriebene Benutzung des reinen Jnstrnmental-<lb/> satzes zu gewissen concreten Aufgaben, die sich aus diesem Wege unbedingt nicht lösen<lb/> lassen. Wie scheinbare geistreiche Werke auch von den Beethoven-Epigonen in dieser<lb/> Beziehung geschaffen sein mögen, so ist doch ihre Existenz nur eine Täuschung, da ohne<lb/> weitläufige Kommentare ihr Verständniß dem Zuhörer nicht erschließbar ist, und auch<lb/> mit sorgfältiger Benutzung derselben immer noch genug Zweifel zu beseitigen bleiben,<lb/> ob diese Art der Auflösung die richtige und deshalb einzig mögliche und erschöpfende<lb/> sei. Die bekannten Phrasen der neuesten Kritik haben freilich alle diese Zweifel überwäl¬<lb/> tigt und die Siegesgewißheit des neuen Evangeliums vollständig bekräftigt. Aber zie¬<lb/> hen wir nur eins der von Berlioz vorgeführten Musikstücke in den Vordergrund: die<lb/> Haraldsinsonie und besonders deren ersten Theil „Harald im Gebirge; Scenen des<lb/> Trübsinns und der Freude" — so läßt sich schon hier leicht nachweisen, wie die In¬<lb/> strumentalmusik die Gebiete überschritten habe, aus denen sie sich vernünftigerweise be¬<lb/> wegen kann. Ein Gebirge läßt sich kaum musikalisch malen und wenn zii dem Ge¬<lb/> mälde noch die musikalisch berechtigten und ausführbaren Stimmungen der Freude und<lb/> der Trauer hinzutreten, so erscheinen sie nicht als Folge des Verweilens in der Land-<lb/> schaftl, sondern nur als ein Ausfluß der Seelenstimmung des Harald, die auch an jedem<lb/> untern Orte über ihn' kommen konnten. Der Komponist weiß jedoch jede der gegebe¬<lb/> nen einzelnen Aeußerlichkeiten zur Herstellung mannigfacher Effecte zu benutzen: der<lb/> starre Felsen, die wüste Haide und was sonst alles in den Kreis der Tonmalerei<lb/> sich hineinziehen läßt, wird gewissenhaft verwendet — nur schade, daß der zu kurze<lb/> Kommentar uns immer an der Klippe des Rathens scheitern läßt. So reiht sich nun<lb/> stückweise das verschiedenartigste Material und die ausschweifendsten motivischen 'Gestal¬<lb/> tungen aneinander, in einer Logik, die dem Uneingeweihten unbegreiflich bleibt. Be¬<lb/> sonders dieser erste Satz ist unklar und unergiebig, die gewiß pikanten Jnflrnmental-<lb/> effecte abgerechnet und man kann nur die Dreistigkeit anstaunen', die überhaupt wagte<lb/> solche Sätze zu schreiben. Die beiden folgenden Sätze der Sinfonie „der Pilgermarsch<lb/> und die Serenade eines Bergbewohners in den Abruzzen an seine Geliebte", geben<lb/> klare musikalische Bilder, obwol auch hier die gesuchten Entstellungen oft verletzen und<lb/> nur in dem seit Beethoven üblich gewordenen Humor in der Musik ihre Entschuldigung<lb/> finden dürfte».</p><lb/> <p xml:id="ID_1418" next="#ID_1419"> In dem Scherze „Fee Mad" ist die Summe aller musikalischen Kunst des Kom¬<lb/> ponisten gegeben; doch können wir im Grunde nichts anderes darin finden, als die ras-<lb/> finirteste Ausführung der von Mendelssohn begründeten Elfenmnsik. Der deutsche Ton¬<lb/> dichter ist in seiner Bewegung seiner kleinen Geister allerdings schwerfälliger geblieben<lb/> (so sagt man uns), und zumal die Webcrschen Elfen des Oberon erscheinen wie schlafende<lb/> deutsche Gnomen. Es ist wahr, die Kobolde des Berlioz sind Wesen der neckischsten Art;</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0480]
der betreffenden Werke zulassen will. Wir sind sogar so kühn zu behaupten, daß
der letzte Satz dieser Sinfonie (Freude schöner Götterfunken) ,in seiner Genesis aus
einer ganz andern Basis ursprünglich gestanden hat, als die drei ersten Justrumental-
sätze dieser Sinfonie, die gewiß auf rein musikalischen Wege sich gestaltet haben, und
daß der Zusammenhang der ganzen Sätze ein mehr zufälliger ist, wieviele Commenta-
toren sich auch bemüht haben, den rothen geistigen Faden herauszufinden. Wie manche
unbedeutende Aeußerung Beethovens mag dazu gedient haben, erklärnngSsüchtige Pro¬
saiker zur Entwickelung ihres Scharfsinns aufzustacheln. Ein Unglück aber hat diese
neunte Sinfonie gewiß erzeugt: die übertriebene Benutzung des reinen Jnstrnmental-
satzes zu gewissen concreten Aufgaben, die sich aus diesem Wege unbedingt nicht lösen
lassen. Wie scheinbare geistreiche Werke auch von den Beethoven-Epigonen in dieser
Beziehung geschaffen sein mögen, so ist doch ihre Existenz nur eine Täuschung, da ohne
weitläufige Kommentare ihr Verständniß dem Zuhörer nicht erschließbar ist, und auch
mit sorgfältiger Benutzung derselben immer noch genug Zweifel zu beseitigen bleiben,
ob diese Art der Auflösung die richtige und deshalb einzig mögliche und erschöpfende
sei. Die bekannten Phrasen der neuesten Kritik haben freilich alle diese Zweifel überwäl¬
tigt und die Siegesgewißheit des neuen Evangeliums vollständig bekräftigt. Aber zie¬
hen wir nur eins der von Berlioz vorgeführten Musikstücke in den Vordergrund: die
Haraldsinsonie und besonders deren ersten Theil „Harald im Gebirge; Scenen des
Trübsinns und der Freude" — so läßt sich schon hier leicht nachweisen, wie die In¬
strumentalmusik die Gebiete überschritten habe, aus denen sie sich vernünftigerweise be¬
wegen kann. Ein Gebirge läßt sich kaum musikalisch malen und wenn zii dem Ge¬
mälde noch die musikalisch berechtigten und ausführbaren Stimmungen der Freude und
der Trauer hinzutreten, so erscheinen sie nicht als Folge des Verweilens in der Land-
schaftl, sondern nur als ein Ausfluß der Seelenstimmung des Harald, die auch an jedem
untern Orte über ihn' kommen konnten. Der Komponist weiß jedoch jede der gegebe¬
nen einzelnen Aeußerlichkeiten zur Herstellung mannigfacher Effecte zu benutzen: der
starre Felsen, die wüste Haide und was sonst alles in den Kreis der Tonmalerei
sich hineinziehen läßt, wird gewissenhaft verwendet — nur schade, daß der zu kurze
Kommentar uns immer an der Klippe des Rathens scheitern läßt. So reiht sich nun
stückweise das verschiedenartigste Material und die ausschweifendsten motivischen 'Gestal¬
tungen aneinander, in einer Logik, die dem Uneingeweihten unbegreiflich bleibt. Be¬
sonders dieser erste Satz ist unklar und unergiebig, die gewiß pikanten Jnflrnmental-
effecte abgerechnet und man kann nur die Dreistigkeit anstaunen', die überhaupt wagte
solche Sätze zu schreiben. Die beiden folgenden Sätze der Sinfonie „der Pilgermarsch
und die Serenade eines Bergbewohners in den Abruzzen an seine Geliebte", geben
klare musikalische Bilder, obwol auch hier die gesuchten Entstellungen oft verletzen und
nur in dem seit Beethoven üblich gewordenen Humor in der Musik ihre Entschuldigung
finden dürfte».
In dem Scherze „Fee Mad" ist die Summe aller musikalischen Kunst des Kom¬
ponisten gegeben; doch können wir im Grunde nichts anderes darin finden, als die ras-
finirteste Ausführung der von Mendelssohn begründeten Elfenmnsik. Der deutsche Ton¬
dichter ist in seiner Bewegung seiner kleinen Geister allerdings schwerfälliger geblieben
(so sagt man uns), und zumal die Webcrschen Elfen des Oberon erscheinen wie schlafende
deutsche Gnomen. Es ist wahr, die Kobolde des Berlioz sind Wesen der neckischsten Art;
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