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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Erst 1834 hatte die Moldau-Walachei diese Krisis überstanden. Ihre neue
Verfassung, die>vn dem russischen Gouverneur, General Kisseleff, im Einverständ¬
nis mit einer formell berufenen Nationalversammlung gegeben worden, war ein
entschiedenes Erzeugnis? des fanariotischen Geistes. Eine erbliche Aristokratie
wurde gegründet, während früher uur Staatsämter ohne erbliche Macht bestan¬
den. Die Nationalversammlung wurde einem Fürsten untergeordnet, dessen Wahl
und Absetzung von dem Zar und dem Sultan gemeinschaftlich abhing. Ohne
die Zustimmung beider Herrscher konnten Fürst und Volksversammlung weder die
Staats- noch die Steuerverfassung abändern. So verlor die Moldau-Walachei
selbst die partielle Souveränetät, welche sie bisher der Pforte gegenüber behauptet
hatte. Ueberdies hatte Rußland während der Occupation die Griechen von Kon¬
stantinopel aus der Verbannung zurückgerufen und die griechischen Klöster wieder¬
hergestellt, welche ein Hauptwerkzeug in der Hand der Fauarivteu waren. So
hatte sich der sowol von den Moldau-Walachen als von den Türken gehaßte Fa-
nar durch russische Unterstützung auf romanischem Boden wiedererhoben und die
gegen Rußland dankbaren Fanarioteu bildeten den Mittelpunkt der griechisch-rus¬
sischen Intriguen. Endlich setzte Rußland, bevor es die Fürstentümer räumte,
ohne Mitwirkung der Romanen und der Pforte, die beiden ersten Fürsten ein,
welche nach der neuen Verfassung regierten.

Der unterdrückte Romanismus fand eine Stütze an drei ausgezeichneten
Männern, Campinicmo, Balatchiano, Buzoiano. Mitglieder der Nationalver¬
sammlung, welche Nußland bei der Octroyirung der neuen Verfassung zu Rathe
zog, hatten sie die Unterzeichnung dieser Scheiuverfafsuug verweigert, und sie fanden
mit ihren Bestrebungen den lebhaftesten Anklang bei der gebildeten walachischen
Jugend.

Michael Sturdza war in der Moldau, Alexander Ghika in der Walachei
Hospodar geworden. In beiden Fürstentümern suchten die Fanarioten in den
Besitz der öffentlichen Aemter sich zu setzen. Ihnen gegenüber erkannte der nach
Unabhängigkeit strebende Fürst Sturdza die Nothwendigkeit, auf die nationale
Partei sich zu stützen. Ohne indessen in offenen Kampf mit dem Fanar und mit
Rußland sich einzulassen und ohne sich entschieden sür den Romanismus zu er¬
klären, wußte er doch den vornehmen Fanariotenfamilien harte Schläge zu versetzen.
Er rief sogar wiederholt die Erinnerungen des romanischen Stammes und die
alten Helden der Moldau an. Die russische Diplomatie hatte sich sehr in ihm
getäuscht.

Mit größern Schwierigkeiten hatte Fürst Ghika zu kämpfen. Die Fanarioten
der Walachei waren zwar weniger reich und mächtig als die der Moldau, aber
desto schlauer: die nationale Partei war hier bei weitem widerspenstiger, zahlreicher,
kühner und anspruchsvoller. Die Fanarioten nöthigten den Fürsten, ihren Bei¬
stand anzunehmen, um sich in der Herrschaft zu behaupten; die nationale Partei


Erst 1834 hatte die Moldau-Walachei diese Krisis überstanden. Ihre neue
Verfassung, die>vn dem russischen Gouverneur, General Kisseleff, im Einverständ¬
nis mit einer formell berufenen Nationalversammlung gegeben worden, war ein
entschiedenes Erzeugnis? des fanariotischen Geistes. Eine erbliche Aristokratie
wurde gegründet, während früher uur Staatsämter ohne erbliche Macht bestan¬
den. Die Nationalversammlung wurde einem Fürsten untergeordnet, dessen Wahl
und Absetzung von dem Zar und dem Sultan gemeinschaftlich abhing. Ohne
die Zustimmung beider Herrscher konnten Fürst und Volksversammlung weder die
Staats- noch die Steuerverfassung abändern. So verlor die Moldau-Walachei
selbst die partielle Souveränetät, welche sie bisher der Pforte gegenüber behauptet
hatte. Ueberdies hatte Rußland während der Occupation die Griechen von Kon¬
stantinopel aus der Verbannung zurückgerufen und die griechischen Klöster wieder¬
hergestellt, welche ein Hauptwerkzeug in der Hand der Fauarivteu waren. So
hatte sich der sowol von den Moldau-Walachen als von den Türken gehaßte Fa-
nar durch russische Unterstützung auf romanischem Boden wiedererhoben und die
gegen Rußland dankbaren Fanarioteu bildeten den Mittelpunkt der griechisch-rus¬
sischen Intriguen. Endlich setzte Rußland, bevor es die Fürstentümer räumte,
ohne Mitwirkung der Romanen und der Pforte, die beiden ersten Fürsten ein,
welche nach der neuen Verfassung regierten.

Der unterdrückte Romanismus fand eine Stütze an drei ausgezeichneten
Männern, Campinicmo, Balatchiano, Buzoiano. Mitglieder der Nationalver¬
sammlung, welche Nußland bei der Octroyirung der neuen Verfassung zu Rathe
zog, hatten sie die Unterzeichnung dieser Scheiuverfafsuug verweigert, und sie fanden
mit ihren Bestrebungen den lebhaftesten Anklang bei der gebildeten walachischen
Jugend.

Michael Sturdza war in der Moldau, Alexander Ghika in der Walachei
Hospodar geworden. In beiden Fürstentümern suchten die Fanarioten in den
Besitz der öffentlichen Aemter sich zu setzen. Ihnen gegenüber erkannte der nach
Unabhängigkeit strebende Fürst Sturdza die Nothwendigkeit, auf die nationale
Partei sich zu stützen. Ohne indessen in offenen Kampf mit dem Fanar und mit
Rußland sich einzulassen und ohne sich entschieden sür den Romanismus zu er¬
klären, wußte er doch den vornehmen Fanariotenfamilien harte Schläge zu versetzen.
Er rief sogar wiederholt die Erinnerungen des romanischen Stammes und die
alten Helden der Moldau an. Die russische Diplomatie hatte sich sehr in ihm
getäuscht.

Mit größern Schwierigkeiten hatte Fürst Ghika zu kämpfen. Die Fanarioten
der Walachei waren zwar weniger reich und mächtig als die der Moldau, aber
desto schlauer: die nationale Partei war hier bei weitem widerspenstiger, zahlreicher,
kühner und anspruchsvoller. Die Fanarioten nöthigten den Fürsten, ihren Bei¬
stand anzunehmen, um sich in der Herrschaft zu behaupten; die nationale Partei


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[0452] Erst 1834 hatte die Moldau-Walachei diese Krisis überstanden. Ihre neue Verfassung, die>vn dem russischen Gouverneur, General Kisseleff, im Einverständ¬ nis mit einer formell berufenen Nationalversammlung gegeben worden, war ein entschiedenes Erzeugnis? des fanariotischen Geistes. Eine erbliche Aristokratie wurde gegründet, während früher uur Staatsämter ohne erbliche Macht bestan¬ den. Die Nationalversammlung wurde einem Fürsten untergeordnet, dessen Wahl und Absetzung von dem Zar und dem Sultan gemeinschaftlich abhing. Ohne die Zustimmung beider Herrscher konnten Fürst und Volksversammlung weder die Staats- noch die Steuerverfassung abändern. So verlor die Moldau-Walachei selbst die partielle Souveränetät, welche sie bisher der Pforte gegenüber behauptet hatte. Ueberdies hatte Rußland während der Occupation die Griechen von Kon¬ stantinopel aus der Verbannung zurückgerufen und die griechischen Klöster wieder¬ hergestellt, welche ein Hauptwerkzeug in der Hand der Fauarivteu waren. So hatte sich der sowol von den Moldau-Walachen als von den Türken gehaßte Fa- nar durch russische Unterstützung auf romanischem Boden wiedererhoben und die gegen Rußland dankbaren Fanarioteu bildeten den Mittelpunkt der griechisch-rus¬ sischen Intriguen. Endlich setzte Rußland, bevor es die Fürstentümer räumte, ohne Mitwirkung der Romanen und der Pforte, die beiden ersten Fürsten ein, welche nach der neuen Verfassung regierten. Der unterdrückte Romanismus fand eine Stütze an drei ausgezeichneten Männern, Campinicmo, Balatchiano, Buzoiano. Mitglieder der Nationalver¬ sammlung, welche Nußland bei der Octroyirung der neuen Verfassung zu Rathe zog, hatten sie die Unterzeichnung dieser Scheiuverfafsuug verweigert, und sie fanden mit ihren Bestrebungen den lebhaftesten Anklang bei der gebildeten walachischen Jugend. Michael Sturdza war in der Moldau, Alexander Ghika in der Walachei Hospodar geworden. In beiden Fürstentümern suchten die Fanarioten in den Besitz der öffentlichen Aemter sich zu setzen. Ihnen gegenüber erkannte der nach Unabhängigkeit strebende Fürst Sturdza die Nothwendigkeit, auf die nationale Partei sich zu stützen. Ohne indessen in offenen Kampf mit dem Fanar und mit Rußland sich einzulassen und ohne sich entschieden sür den Romanismus zu er¬ klären, wußte er doch den vornehmen Fanariotenfamilien harte Schläge zu versetzen. Er rief sogar wiederholt die Erinnerungen des romanischen Stammes und die alten Helden der Moldau an. Die russische Diplomatie hatte sich sehr in ihm getäuscht. Mit größern Schwierigkeiten hatte Fürst Ghika zu kämpfen. Die Fanarioten der Walachei waren zwar weniger reich und mächtig als die der Moldau, aber desto schlauer: die nationale Partei war hier bei weitem widerspenstiger, zahlreicher, kühner und anspruchsvoller. Die Fanarioten nöthigten den Fürsten, ihren Bei¬ stand anzunehmen, um sich in der Herrschaft zu behaupten; die nationale Partei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/452>, abgerufen am 06.02.2025.