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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Niemals ist das türkische Volk und der muselmännische Geist wirklich feind¬
selig gegen die romanische Sprache und Einrichtungen aufgetreten. Die Rohheit
und Unwissenheit der früheren Sultane haben zwar die Unabhängigkeit des Landes
vernichtet, dasselbe der Willkür der Fanarioten überantwortet und die Eingriffe der
Nüssen geduldet: aber die Angriffe ans die romanische Nationalität sind unmittel¬
bar von den Griechen ausgegangen. Griechische Sprache und Sitte erdrückte
fast die romanische und noch heute kämpfen die Moldau-Walachen weit weniger
gegen den Sultan an, der das Recht der Fürstentümer achtet, als gegen bis
von Rußland unterstützten Fanarioten.

Als im Jahre -1821 die Moldau-Walachen es abgelehnt hatten, sich unter
die Fahnen Alexander UpsilantiS zu scharen, der aus dem südlichen Rußland
nach Griechenland vorrückte und sie aufforderte, an dem hellenischen Freiheitskämpfe
gegen die Türken Theil zu nehmen, schaffte die Pforte "in Rücksicht auf die
Undankbarkeit der Griechen und die Treue (!) der Walachen", die Herrschaft der
Fanarioten ab und gab dem Lande wieder seine einheimischen Fürsten. Gregor
Ghika wurde in der Walachei, Johann Sturdza in der Moldau zum Hospodareu
ernannt. Beide hielten fest zum Romanismus.

Aber ein neuer Feind erhob sich gegen die Moldau-Walachen, furchtbarer
als die Türken und die Fanarioten. Seit dem bekannten Frieden von Kainardschi
(-1774), dessen Bestimmungen durch die Friedensschlüsse von Jassy (4 791) und von
Bukarest (48-12)'bestätigt und erweitert wurden, hatte Rußland sich das Recht an¬
gemaßt, für die Moldau-Walachei", ihre Glaubensgenossen, amtlich bei der Pforte
einzuschreiten. Es hatte in Bukarest zwei Consulate errichtet, welche unter dem
Vorwande, im romanischen Interesse die Negierung der Fauarioten zu überwachen,
grade im Einverständnis; mit den Fanarioten an der Bildung einer^ russischen
Partei arbeiteten, die man demnächst gegen die Pforte loslassen wollte. Diese
Berechnung scheiterte an der klugen Politik der Pforte, welche die nationale Partei
in deu Fürstentümern für sich zu gewinnen wuszte. Da versprach Rußland, deu
Fauarioten die Fürstenthümer wieder zu offnen, wenn sie für russische Interessen
arbeiteten.

Sofort protestirte der Zar aus ,,Aufopferung für seine Glaubensgenosse!!"
gegen die Ernennung der HvSpodare durch die Pforte nud erlangte die Wahl
derselben. Dann erwarb er dnrch den Bertrag von Akerman (-1826) wieder das
Recht, in den diplomatischen Beziehungen der Fürstenthümer zur Pforte direct
einzuschreiten. Endlich wurden die Moldau und Walachei in deu Feldzügen von
-1828 und 1829 von russischen Heeren ausgesogen und blieben den Russen als
Pfand für die Kosten des Krieges. Rußland erwartete, daß die Pforte diese
ungeheuren Kosten nicht erschwingen und die Moldau-Walachei alsdann in seineu
vollständigen Besitz übergehen würde. Aber die Pforte bezahlte und die Russen
mußten über den Prüll) zurückgehen.


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Niemals ist das türkische Volk und der muselmännische Geist wirklich feind¬
selig gegen die romanische Sprache und Einrichtungen aufgetreten. Die Rohheit
und Unwissenheit der früheren Sultane haben zwar die Unabhängigkeit des Landes
vernichtet, dasselbe der Willkür der Fanarioten überantwortet und die Eingriffe der
Nüssen geduldet: aber die Angriffe ans die romanische Nationalität sind unmittel¬
bar von den Griechen ausgegangen. Griechische Sprache und Sitte erdrückte
fast die romanische und noch heute kämpfen die Moldau-Walachen weit weniger
gegen den Sultan an, der das Recht der Fürstentümer achtet, als gegen bis
von Rußland unterstützten Fanarioten.

Als im Jahre -1821 die Moldau-Walachen es abgelehnt hatten, sich unter
die Fahnen Alexander UpsilantiS zu scharen, der aus dem südlichen Rußland
nach Griechenland vorrückte und sie aufforderte, an dem hellenischen Freiheitskämpfe
gegen die Türken Theil zu nehmen, schaffte die Pforte „in Rücksicht auf die
Undankbarkeit der Griechen und die Treue (!) der Walachen", die Herrschaft der
Fanarioten ab und gab dem Lande wieder seine einheimischen Fürsten. Gregor
Ghika wurde in der Walachei, Johann Sturdza in der Moldau zum Hospodareu
ernannt. Beide hielten fest zum Romanismus.

Aber ein neuer Feind erhob sich gegen die Moldau-Walachen, furchtbarer
als die Türken und die Fanarioten. Seit dem bekannten Frieden von Kainardschi
(-1774), dessen Bestimmungen durch die Friedensschlüsse von Jassy (4 791) und von
Bukarest (48-12)'bestätigt und erweitert wurden, hatte Rußland sich das Recht an¬
gemaßt, für die Moldau-Walachei», ihre Glaubensgenossen, amtlich bei der Pforte
einzuschreiten. Es hatte in Bukarest zwei Consulate errichtet, welche unter dem
Vorwande, im romanischen Interesse die Negierung der Fauarioten zu überwachen,
grade im Einverständnis; mit den Fanarioten an der Bildung einer^ russischen
Partei arbeiteten, die man demnächst gegen die Pforte loslassen wollte. Diese
Berechnung scheiterte an der klugen Politik der Pforte, welche die nationale Partei
in deu Fürstentümern für sich zu gewinnen wuszte. Da versprach Rußland, deu
Fauarioten die Fürstenthümer wieder zu offnen, wenn sie für russische Interessen
arbeiteten.

Sofort protestirte der Zar aus ,,Aufopferung für seine Glaubensgenosse!!"
gegen die Ernennung der HvSpodare durch die Pforte nud erlangte die Wahl
derselben. Dann erwarb er dnrch den Bertrag von Akerman (-1826) wieder das
Recht, in den diplomatischen Beziehungen der Fürstenthümer zur Pforte direct
einzuschreiten. Endlich wurden die Moldau und Walachei in deu Feldzügen von
-1828 und 1829 von russischen Heeren ausgesogen und blieben den Russen als
Pfand für die Kosten des Krieges. Rußland erwartete, daß die Pforte diese
ungeheuren Kosten nicht erschwingen und die Moldau-Walachei alsdann in seineu
vollständigen Besitz übergehen würde. Aber die Pforte bezahlte und die Russen
mußten über den Prüll) zurückgehen.


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[0451] Niemals ist das türkische Volk und der muselmännische Geist wirklich feind¬ selig gegen die romanische Sprache und Einrichtungen aufgetreten. Die Rohheit und Unwissenheit der früheren Sultane haben zwar die Unabhängigkeit des Landes vernichtet, dasselbe der Willkür der Fanarioten überantwortet und die Eingriffe der Nüssen geduldet: aber die Angriffe ans die romanische Nationalität sind unmittel¬ bar von den Griechen ausgegangen. Griechische Sprache und Sitte erdrückte fast die romanische und noch heute kämpfen die Moldau-Walachen weit weniger gegen den Sultan an, der das Recht der Fürstentümer achtet, als gegen bis von Rußland unterstützten Fanarioten. Als im Jahre -1821 die Moldau-Walachen es abgelehnt hatten, sich unter die Fahnen Alexander UpsilantiS zu scharen, der aus dem südlichen Rußland nach Griechenland vorrückte und sie aufforderte, an dem hellenischen Freiheitskämpfe gegen die Türken Theil zu nehmen, schaffte die Pforte „in Rücksicht auf die Undankbarkeit der Griechen und die Treue (!) der Walachen", die Herrschaft der Fanarioten ab und gab dem Lande wieder seine einheimischen Fürsten. Gregor Ghika wurde in der Walachei, Johann Sturdza in der Moldau zum Hospodareu ernannt. Beide hielten fest zum Romanismus. Aber ein neuer Feind erhob sich gegen die Moldau-Walachen, furchtbarer als die Türken und die Fanarioten. Seit dem bekannten Frieden von Kainardschi (-1774), dessen Bestimmungen durch die Friedensschlüsse von Jassy (4 791) und von Bukarest (48-12)'bestätigt und erweitert wurden, hatte Rußland sich das Recht an¬ gemaßt, für die Moldau-Walachei», ihre Glaubensgenossen, amtlich bei der Pforte einzuschreiten. Es hatte in Bukarest zwei Consulate errichtet, welche unter dem Vorwande, im romanischen Interesse die Negierung der Fauarioten zu überwachen, grade im Einverständnis; mit den Fanarioten an der Bildung einer^ russischen Partei arbeiteten, die man demnächst gegen die Pforte loslassen wollte. Diese Berechnung scheiterte an der klugen Politik der Pforte, welche die nationale Partei in deu Fürstentümern für sich zu gewinnen wuszte. Da versprach Rußland, deu Fauarioten die Fürstenthümer wieder zu offnen, wenn sie für russische Interessen arbeiteten. Sofort protestirte der Zar aus ,,Aufopferung für seine Glaubensgenosse!!" gegen die Ernennung der HvSpodare durch die Pforte nud erlangte die Wahl derselben. Dann erwarb er dnrch den Bertrag von Akerman (-1826) wieder das Recht, in den diplomatischen Beziehungen der Fürstenthümer zur Pforte direct einzuschreiten. Endlich wurden die Moldau und Walachei in deu Feldzügen von -1828 und 1829 von russischen Heeren ausgesogen und blieben den Russen als Pfand für die Kosten des Krieges. Rußland erwartete, daß die Pforte diese ungeheuren Kosten nicht erschwingen und die Moldau-Walachei alsdann in seineu vollständigen Besitz übergehen würde. Aber die Pforte bezahlte und die Russen mußten über den Prüll) zurückgehen. 66*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/451>, abgerufen am 06.02.2025.