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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Stand und namentlich Las Cases füllte die Langeweile dnrch ewiges Jntriguiren
ans und vermehrte Napoleons gereizte Stimmung durch beständige Klagen und
Verdrehungen. Auch Bertrand schürte wo er konnte, und wenn der Exkaiser sich
einmal zum Nachgeben geneigt zeigte, so appellirte Bertrand an seinen Stolz und
reizte ihn durch ein "IVlaiii Lire, votrs nom, votre Kloiriz!" zum Beharren in
seinem Widerstande. Unter sich selbst harmonirtcn die Begleiter Napoleons
durchaus uicht. Die Generale Bertrand und Montholon standen nie auf freund¬
schaftlichem Fuße miteinander, und zwischen letzterem und Gourgaud kam es sogar
bis zur Herausforderung; überhaupt war die Sündhaftigkeit, mit der Gourgaud
sich weigerte, an den Intriguen der anderen theilzunehmen, diesen ein Dorn
im Auge, und sie machten ihm das Leben so sauer, daß er um Erlaubniß einkam,
nach Europa zurückkehren zu dürfen, und die Insel verließ. Die beiden Damen,
die Gräfinnen Montholon und Bertrand, konnten sich ebenfalls nicht vertragen
und sahen sich uur ein oder zweimal des Jahres bei Staatsvisiten. Sie wären alle
gegangen, wenn sie irgendwie hätten den Schein retten und der Welt Glauben
machen können, sie hätten den Exkaiser gezwungen verlassen. Las Cases ließ sich
absichtlich bei einem geheimen Briefwechsel ertappen, und als der Statthalter ihn
seinen Instructionen gemäß verhaften und von Longwood wegbringen ließ, ergoß
er sich in bittern Klagen über die Grausamkeit, ihn von seinem Kaiser zu trennen;
aber als der Statthalter ihm anbot, ihm bis zum Eintreffen neuer Verhaltungs-
befehle Erlaubniß zur Rückkehr zu ertheilen, zog er es doch vor, die Insel zu
verlassen, obgleich er recht gut wußte, daß sein Bleiben Napoleon angenehm
sein würde.

Für diejenigen, welche in Napoleon immer noch den Sohn der Revolution,
den Mann der neuen Zeit und den Förderer der Völkerfreiheit sehen, heben wir
aus einem seiner Gespräche folgende Aeußerung hervor: "Europa und vorzüglich
Frankreich sind zu aufgeklärt, um sich von dem einfältigen Unsinn, den die Mo¬
narchen und ihre Höfe von Legitimität, göttlichem Recht, Thron und Altar
schwatzen, verlocken zu lasse". Je weniger Freiheit sie ihren Unterthanen zu geben
wünschen, desto mehr müssen sie davon sprechen. Ich wünsche ihnen nicht mehr
Freiheit zu geben, als sie, darauf können Sie sich verlassen. Ich weiß wohl,
daß mau heutzutage die Menschen nur mit einer eisernen Ruthe regieren kann,
aber sie muß vergoldet sein, und wenn wir sie schlagen, müssen wir ihnen
glauben machen, daß sie den Schlag selbst leiten. Man muß beständig von
Freiheit, Gleichheit,' Gerechtigkeit und Uneigennützigkeit sprechen und nie die ge¬
ringste Freiheit gewähren. Ein Systemwechsel ist nicht nothwendig, sondern nnr
eine andere Sprache, und wenn man nie dem Volke von Freiheit und Gleichheit
vorredet, so stehe ich dafür, daß man es leicht bedrücken und ihm den letzten
Pfennig auspressen kann, ohne daß es einen Aufstand versucht oder wirklich un¬
zufrieden ist." Mit Frankreichs Lage und Zukunft beschäftigte sich der Exkaiser


Si*

Stand und namentlich Las Cases füllte die Langeweile dnrch ewiges Jntriguiren
ans und vermehrte Napoleons gereizte Stimmung durch beständige Klagen und
Verdrehungen. Auch Bertrand schürte wo er konnte, und wenn der Exkaiser sich
einmal zum Nachgeben geneigt zeigte, so appellirte Bertrand an seinen Stolz und
reizte ihn durch ein „IVlaiii Lire, votrs nom, votre Kloiriz!" zum Beharren in
seinem Widerstande. Unter sich selbst harmonirtcn die Begleiter Napoleons
durchaus uicht. Die Generale Bertrand und Montholon standen nie auf freund¬
schaftlichem Fuße miteinander, und zwischen letzterem und Gourgaud kam es sogar
bis zur Herausforderung; überhaupt war die Sündhaftigkeit, mit der Gourgaud
sich weigerte, an den Intriguen der anderen theilzunehmen, diesen ein Dorn
im Auge, und sie machten ihm das Leben so sauer, daß er um Erlaubniß einkam,
nach Europa zurückkehren zu dürfen, und die Insel verließ. Die beiden Damen,
die Gräfinnen Montholon und Bertrand, konnten sich ebenfalls nicht vertragen
und sahen sich uur ein oder zweimal des Jahres bei Staatsvisiten. Sie wären alle
gegangen, wenn sie irgendwie hätten den Schein retten und der Welt Glauben
machen können, sie hätten den Exkaiser gezwungen verlassen. Las Cases ließ sich
absichtlich bei einem geheimen Briefwechsel ertappen, und als der Statthalter ihn
seinen Instructionen gemäß verhaften und von Longwood wegbringen ließ, ergoß
er sich in bittern Klagen über die Grausamkeit, ihn von seinem Kaiser zu trennen;
aber als der Statthalter ihm anbot, ihm bis zum Eintreffen neuer Verhaltungs-
befehle Erlaubniß zur Rückkehr zu ertheilen, zog er es doch vor, die Insel zu
verlassen, obgleich er recht gut wußte, daß sein Bleiben Napoleon angenehm
sein würde.

Für diejenigen, welche in Napoleon immer noch den Sohn der Revolution,
den Mann der neuen Zeit und den Förderer der Völkerfreiheit sehen, heben wir
aus einem seiner Gespräche folgende Aeußerung hervor: „Europa und vorzüglich
Frankreich sind zu aufgeklärt, um sich von dem einfältigen Unsinn, den die Mo¬
narchen und ihre Höfe von Legitimität, göttlichem Recht, Thron und Altar
schwatzen, verlocken zu lasse». Je weniger Freiheit sie ihren Unterthanen zu geben
wünschen, desto mehr müssen sie davon sprechen. Ich wünsche ihnen nicht mehr
Freiheit zu geben, als sie, darauf können Sie sich verlassen. Ich weiß wohl,
daß mau heutzutage die Menschen nur mit einer eisernen Ruthe regieren kann,
aber sie muß vergoldet sein, und wenn wir sie schlagen, müssen wir ihnen
glauben machen, daß sie den Schlag selbst leiten. Man muß beständig von
Freiheit, Gleichheit,' Gerechtigkeit und Uneigennützigkeit sprechen und nie die ge¬
ringste Freiheit gewähren. Ein Systemwechsel ist nicht nothwendig, sondern nnr
eine andere Sprache, und wenn man nie dem Volke von Freiheit und Gleichheit
vorredet, so stehe ich dafür, daß man es leicht bedrücken und ihm den letzten
Pfennig auspressen kann, ohne daß es einen Aufstand versucht oder wirklich un¬
zufrieden ist." Mit Frankreichs Lage und Zukunft beschäftigte sich der Exkaiser


Si*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/435>, abgerufen am 06.02.2025.