Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

das Verletzende Ihres Benehmens gegen mich erregen mein Mitleid. Ich
wünsche Ihnen guten Tag;" und ich verließ ihn (offenbar nicht wenig verlegen)
ohne weiteren Gruß.

Daß Sir Hudson Löwe nach dieser Unterredung, den persönlichen Verkehr
mit Napoleon abbrach, schützte ihn nicht vor einer Wiederholung der Beleidigun¬
gen, mit denen er hier überschüttet wurde, denn die Begleiter Napoleons trugen
in ihren Briefen an ihn Sorge, jede beleidigende Aeußerung Napoleons auf
das gewissenhafteste zu wiederholen. Ueberhaupt muß mau sagen, daß, wenn
Jemand auf Se. Helena ein Opfer war, nicht Napoleon, sondern Sir Hudson
Löwe als dieses Opfer zu betrachten ist. Die Bewohner von Longwood sparten
keine Mühe, um ihm die Erfüllung seiner Pflicht unmöglich zu machen, und
wenn er ihnen einmal eine Gefälligkeit erwies, oder ihre Lage zu erleichtern
versuchte, so wurde dies gewiß benutzt, um hinter seinem Rücken etwas Verbote¬
nes zu thun. Bot die angebotene Gefälligkeit dazu keine Gelegenheit, so wurde
sie mit schnöden Worten zurückgewiesen. Zugleich aber gibt die letztberichtete
Unterredung einen Fingerzeig, was den Statthalter bei aller Gewissenhaftigkeit
und bei allem guten Willen, dem Gefangene" seine Lage möglichst zu erleichtern,
zum Aufseher eines'Gefangenen von so reizbaren und unruhigem Charakter wie
Napoleon wenig geeignet machte. Die kalte, unerschütterliche Ruhe, mit der er
die Beleidigungen des Exkaisers hinnahm, erbitterte diesen mehr, als die warme
Entgegnung eines Ehrenmannes, der das ihm zugefügte Unrecht fühlt, gethan
haben würde. Außerdem scheint es ihm, selbst wenn er Gefälligkeiten erweisen
wollte, an dem nöthigen Takt gefehlt zu haben und die Formen seines Beneh¬
mens waren schroff, wie aus dem Zeugniß des Obersten Jackson, der lange
Ordonanzoffizier bei Napoleon war und täglich mit dem Statthalter verkehrte,
hervorgeht: "Er besaß wenig von dem, was man Manieren nennt -- niemand
besaß weniger davon als er -- aber er war voller Güte, Großmuth, und äu¬
ßerst rücksichtsvoll gegen die Empfindungen anderer." Er war ein ehrenwerther
Offizier, dem die gewissenhafteste Erfüllung seiner Pflicht über alles ging, und
der, wenn er etwas Gutes that, wenig ans die Form sah. Den Franzosen, die
sogar Schlechtigkeiten mit Grazie zu thun wissen, mag dies freilich seltsam und
unerklärlich vorgekommen sein. Dennoch sind wir fest überzeugt, daß Sir Hud¬
son Löwe, selbst wenn er diese Mängel nicht besessen, keine Gnade vor Napo¬
leons Angen gefunden hätte. Sagte doch Graf Montholon zum Oberst Jack¬
son, als dieser ihn nach seiner Rückkehr nach Europa in Frankreich besuchte:
"Mein werther Freund, ein Engel- vom Himmel hätte uns als
Statthalter auf Se. Helena nicht gefallen können."

An interessanten Zügen aus dem häuslichen Leben Napoleons ist das Buch
reich. Die begeisterte Hingebung, mit der seine Begleiter ihm in die Gefangenschaft
gefolgt waren, hielt nicht lange gegen die Einförmigkeit des Lebens auf der Jusel


das Verletzende Ihres Benehmens gegen mich erregen mein Mitleid. Ich
wünsche Ihnen guten Tag;" und ich verließ ihn (offenbar nicht wenig verlegen)
ohne weiteren Gruß.

Daß Sir Hudson Löwe nach dieser Unterredung, den persönlichen Verkehr
mit Napoleon abbrach, schützte ihn nicht vor einer Wiederholung der Beleidigun¬
gen, mit denen er hier überschüttet wurde, denn die Begleiter Napoleons trugen
in ihren Briefen an ihn Sorge, jede beleidigende Aeußerung Napoleons auf
das gewissenhafteste zu wiederholen. Ueberhaupt muß mau sagen, daß, wenn
Jemand auf Se. Helena ein Opfer war, nicht Napoleon, sondern Sir Hudson
Löwe als dieses Opfer zu betrachten ist. Die Bewohner von Longwood sparten
keine Mühe, um ihm die Erfüllung seiner Pflicht unmöglich zu machen, und
wenn er ihnen einmal eine Gefälligkeit erwies, oder ihre Lage zu erleichtern
versuchte, so wurde dies gewiß benutzt, um hinter seinem Rücken etwas Verbote¬
nes zu thun. Bot die angebotene Gefälligkeit dazu keine Gelegenheit, so wurde
sie mit schnöden Worten zurückgewiesen. Zugleich aber gibt die letztberichtete
Unterredung einen Fingerzeig, was den Statthalter bei aller Gewissenhaftigkeit
und bei allem guten Willen, dem Gefangene» seine Lage möglichst zu erleichtern,
zum Aufseher eines'Gefangenen von so reizbaren und unruhigem Charakter wie
Napoleon wenig geeignet machte. Die kalte, unerschütterliche Ruhe, mit der er
die Beleidigungen des Exkaisers hinnahm, erbitterte diesen mehr, als die warme
Entgegnung eines Ehrenmannes, der das ihm zugefügte Unrecht fühlt, gethan
haben würde. Außerdem scheint es ihm, selbst wenn er Gefälligkeiten erweisen
wollte, an dem nöthigen Takt gefehlt zu haben und die Formen seines Beneh¬
mens waren schroff, wie aus dem Zeugniß des Obersten Jackson, der lange
Ordonanzoffizier bei Napoleon war und täglich mit dem Statthalter verkehrte,
hervorgeht: „Er besaß wenig von dem, was man Manieren nennt — niemand
besaß weniger davon als er — aber er war voller Güte, Großmuth, und äu¬
ßerst rücksichtsvoll gegen die Empfindungen anderer." Er war ein ehrenwerther
Offizier, dem die gewissenhafteste Erfüllung seiner Pflicht über alles ging, und
der, wenn er etwas Gutes that, wenig ans die Form sah. Den Franzosen, die
sogar Schlechtigkeiten mit Grazie zu thun wissen, mag dies freilich seltsam und
unerklärlich vorgekommen sein. Dennoch sind wir fest überzeugt, daß Sir Hud¬
son Löwe, selbst wenn er diese Mängel nicht besessen, keine Gnade vor Napo¬
leons Angen gefunden hätte. Sagte doch Graf Montholon zum Oberst Jack¬
son, als dieser ihn nach seiner Rückkehr nach Europa in Frankreich besuchte:
„Mein werther Freund, ein Engel- vom Himmel hätte uns als
Statthalter auf Se. Helena nicht gefallen können."

An interessanten Zügen aus dem häuslichen Leben Napoleons ist das Buch
reich. Die begeisterte Hingebung, mit der seine Begleiter ihm in die Gefangenschaft
gefolgt waren, hielt nicht lange gegen die Einförmigkeit des Lebens auf der Jusel


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0434" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97139"/>
          <p xml:id="ID_1293" prev="#ID_1292"> das Verletzende Ihres Benehmens gegen mich erregen mein Mitleid. Ich<lb/>
wünsche Ihnen guten Tag;" und ich verließ ihn (offenbar nicht wenig verlegen)<lb/>
ohne weiteren Gruß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1294"> Daß Sir Hudson Löwe nach dieser Unterredung, den persönlichen Verkehr<lb/>
mit Napoleon abbrach, schützte ihn nicht vor einer Wiederholung der Beleidigun¬<lb/>
gen, mit denen er hier überschüttet wurde, denn die Begleiter Napoleons trugen<lb/>
in ihren Briefen an ihn Sorge, jede beleidigende Aeußerung Napoleons auf<lb/>
das gewissenhafteste zu wiederholen. Ueberhaupt muß mau sagen, daß, wenn<lb/>
Jemand auf Se. Helena ein Opfer war, nicht Napoleon, sondern Sir Hudson<lb/>
Löwe als dieses Opfer zu betrachten ist. Die Bewohner von Longwood sparten<lb/>
keine Mühe, um ihm die Erfüllung seiner Pflicht unmöglich zu machen, und<lb/>
wenn er ihnen einmal eine Gefälligkeit erwies, oder ihre Lage zu erleichtern<lb/>
versuchte, so wurde dies gewiß benutzt, um hinter seinem Rücken etwas Verbote¬<lb/>
nes zu thun. Bot die angebotene Gefälligkeit dazu keine Gelegenheit, so wurde<lb/>
sie mit schnöden Worten zurückgewiesen. Zugleich aber gibt die letztberichtete<lb/>
Unterredung einen Fingerzeig, was den Statthalter bei aller Gewissenhaftigkeit<lb/>
und bei allem guten Willen, dem Gefangene» seine Lage möglichst zu erleichtern,<lb/>
zum Aufseher eines'Gefangenen von so reizbaren und unruhigem Charakter wie<lb/>
Napoleon wenig geeignet machte. Die kalte, unerschütterliche Ruhe, mit der er<lb/>
die Beleidigungen des Exkaisers hinnahm, erbitterte diesen mehr, als die warme<lb/>
Entgegnung eines Ehrenmannes, der das ihm zugefügte Unrecht fühlt, gethan<lb/>
haben würde. Außerdem scheint es ihm, selbst wenn er Gefälligkeiten erweisen<lb/>
wollte, an dem nöthigen Takt gefehlt zu haben und die Formen seines Beneh¬<lb/>
mens waren schroff, wie aus dem Zeugniß des Obersten Jackson, der lange<lb/>
Ordonanzoffizier bei Napoleon war und täglich mit dem Statthalter verkehrte,<lb/>
hervorgeht: &#x201E;Er besaß wenig von dem, was man Manieren nennt &#x2014; niemand<lb/>
besaß weniger davon als er &#x2014; aber er war voller Güte, Großmuth, und äu¬<lb/>
ßerst rücksichtsvoll gegen die Empfindungen anderer." Er war ein ehrenwerther<lb/>
Offizier, dem die gewissenhafteste Erfüllung seiner Pflicht über alles ging, und<lb/>
der, wenn er etwas Gutes that, wenig ans die Form sah. Den Franzosen, die<lb/>
sogar Schlechtigkeiten mit Grazie zu thun wissen, mag dies freilich seltsam und<lb/>
unerklärlich vorgekommen sein. Dennoch sind wir fest überzeugt, daß Sir Hud¬<lb/>
son Löwe, selbst wenn er diese Mängel nicht besessen, keine Gnade vor Napo¬<lb/>
leons Angen gefunden hätte. Sagte doch Graf Montholon zum Oberst Jack¬<lb/>
son, als dieser ihn nach seiner Rückkehr nach Europa in Frankreich besuchte:<lb/>
&#x201E;Mein werther Freund, ein Engel- vom Himmel hätte uns als<lb/>
Statthalter auf Se. Helena nicht gefallen können."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1295" next="#ID_1296"> An interessanten Zügen aus dem häuslichen Leben Napoleons ist das Buch<lb/>
reich. Die begeisterte Hingebung, mit der seine Begleiter ihm in die Gefangenschaft<lb/>
gefolgt waren, hielt nicht lange gegen die Einförmigkeit des Lebens auf der Jusel</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0434] das Verletzende Ihres Benehmens gegen mich erregen mein Mitleid. Ich wünsche Ihnen guten Tag;" und ich verließ ihn (offenbar nicht wenig verlegen) ohne weiteren Gruß. Daß Sir Hudson Löwe nach dieser Unterredung, den persönlichen Verkehr mit Napoleon abbrach, schützte ihn nicht vor einer Wiederholung der Beleidigun¬ gen, mit denen er hier überschüttet wurde, denn die Begleiter Napoleons trugen in ihren Briefen an ihn Sorge, jede beleidigende Aeußerung Napoleons auf das gewissenhafteste zu wiederholen. Ueberhaupt muß mau sagen, daß, wenn Jemand auf Se. Helena ein Opfer war, nicht Napoleon, sondern Sir Hudson Löwe als dieses Opfer zu betrachten ist. Die Bewohner von Longwood sparten keine Mühe, um ihm die Erfüllung seiner Pflicht unmöglich zu machen, und wenn er ihnen einmal eine Gefälligkeit erwies, oder ihre Lage zu erleichtern versuchte, so wurde dies gewiß benutzt, um hinter seinem Rücken etwas Verbote¬ nes zu thun. Bot die angebotene Gefälligkeit dazu keine Gelegenheit, so wurde sie mit schnöden Worten zurückgewiesen. Zugleich aber gibt die letztberichtete Unterredung einen Fingerzeig, was den Statthalter bei aller Gewissenhaftigkeit und bei allem guten Willen, dem Gefangene» seine Lage möglichst zu erleichtern, zum Aufseher eines'Gefangenen von so reizbaren und unruhigem Charakter wie Napoleon wenig geeignet machte. Die kalte, unerschütterliche Ruhe, mit der er die Beleidigungen des Exkaisers hinnahm, erbitterte diesen mehr, als die warme Entgegnung eines Ehrenmannes, der das ihm zugefügte Unrecht fühlt, gethan haben würde. Außerdem scheint es ihm, selbst wenn er Gefälligkeiten erweisen wollte, an dem nöthigen Takt gefehlt zu haben und die Formen seines Beneh¬ mens waren schroff, wie aus dem Zeugniß des Obersten Jackson, der lange Ordonanzoffizier bei Napoleon war und täglich mit dem Statthalter verkehrte, hervorgeht: „Er besaß wenig von dem, was man Manieren nennt — niemand besaß weniger davon als er — aber er war voller Güte, Großmuth, und äu¬ ßerst rücksichtsvoll gegen die Empfindungen anderer." Er war ein ehrenwerther Offizier, dem die gewissenhafteste Erfüllung seiner Pflicht über alles ging, und der, wenn er etwas Gutes that, wenig ans die Form sah. Den Franzosen, die sogar Schlechtigkeiten mit Grazie zu thun wissen, mag dies freilich seltsam und unerklärlich vorgekommen sein. Dennoch sind wir fest überzeugt, daß Sir Hud¬ son Löwe, selbst wenn er diese Mängel nicht besessen, keine Gnade vor Napo¬ leons Angen gefunden hätte. Sagte doch Graf Montholon zum Oberst Jack¬ son, als dieser ihn nach seiner Rückkehr nach Europa in Frankreich besuchte: „Mein werther Freund, ein Engel- vom Himmel hätte uns als Statthalter auf Se. Helena nicht gefallen können." An interessanten Zügen aus dem häuslichen Leben Napoleons ist das Buch reich. Die begeisterte Hingebung, mit der seine Begleiter ihm in die Gefangenschaft gefolgt waren, hielt nicht lange gegen die Einförmigkeit des Lebens auf der Jusel

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/434
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/434>, abgerufen am 06.02.2025.