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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Papist. Das geht soweit, daß sogar Pascal sehr lebhaft getadelt wird, weil er
die Verwerflichkeit der Jesuiten enthüllte und dadurch den Feinden der Kirche
ne"e Waffen in die Hände gat'. Das ist eine Auffassung, die sich heutzutage
bei "usem Legitimisten sehr verbreitet hat, die aber einen reflectirten, eigentlich
irreligösen Standpunkt ausdrückt. Die wahre Religiosität ist ausschließend; der
echte Protestant kann die Existenz eines unfehlbaren Papstes, die Abhängigkeit der
sittlichen Bestimmungen von der Willkür einer angeblich inspirirter Person, die
Rechtfertigung der Sünde durch gute Werke und die Heiligung der dem Müßiggang
und der Unfruchtbarkeit geweihten Classe" ebensowenig gelten lassen, als der Ka¬
tholik die rechtliche Existenz einer ketzerische" Kirche. Wenn der nie auszugleichende
Gegensatz zwischen Protestantismus und Katholicismus jetzt nicht mehr in den
gehässige" Formen auftreten darf, wie in de" Zeiten der Reformation, so rührt
das nicht von einer Erweiterung des .christlichen Sinnes her, sondern von einer
Abschwächung desselben durch das Princip der Humanität: Toleranz gegen Anders¬
gläubige aus Rechtsgefühl und aus Menschenliebe ist eine Errungenschaft unserer
Zeit, aber rechtliche Anerkennung aller sich ausschließenden Gegensätze zu Gunsten
eines doctrinären Schemas, welches auch in der Religion individuelle, scharfge-
schlvssene Gestaltungen verlangt, ist ein wüster Traum der Romantik.

Mit dem Zeitalter der Reformation Hort das lebendige Interesse Leos an
der Geschichte auf, wenigstens die Grundlagen des nachfolgenden Zeitalters, so-
wol "das System des Merkantilsystems" als "das System der mechanischen Ten¬
denzen in der Politik" erscheinen ihm absolut verwerflich. Dennoch beginnt erst
mit diesem Zeitraum die Ausführlichkeit seiner Darstellung und der Haß gibt seiner
Feder zuweilen eine Kraft und Elasticität, die aus der Liebe nie hervorgegan¬
gen wäre. Das Buch erregt eine ganz merkwürdige'Spannung und ein Interesse,
wie es bei einem Geschichtwerke ganz ungewöhnlich ist, und vielleicht grade zum
Theil durch seine Fehler. Die ganz unerhörte Subjectivität der Auffassung, die
Stimmung, die im schnellsten Wechsel von einem Extrem zum andern springt
und die freilich zum Theil durch den Einfluß der verschiedenen Quellen bedingt
wird, die Ungenirtheit, in welcher der Geschichtschreiber allen seinen Einfällen
Luft macht, das alles sind, wenn man das Werk als ein wissenschaftliches be¬
trachtet, große Fehler und Jncorreclheiten, aber sie machen es dem Leser leicht und
bequem, sich ein bestimmtes Verhältniß zur Darstellung zu bilden, ungefähr , wie
es bei einem historischen Roman der Fall ist.

Was die Theorie betrifft, die sich in diesen letzten Theilen ausspricht, so tritt
am deutlichsten der Haß gegen den Idealismus des weltlichen Wesens hervor, ans
den wir schon oben hingedeutet haben. Leo ist entrüstet darüber, daß man ans
der Politik eine Art Religion, d. h. eine 'zur Glut gesteigerte Ueberzeugung ge¬
macht hat. Er siudet i" der Lehre Macchiavellis, in dem Merkantilstem der
absolutistischen Fürsten, in der philosophischen Aufklärung des vorigen Jahrhun-


Papist. Das geht soweit, daß sogar Pascal sehr lebhaft getadelt wird, weil er
die Verwerflichkeit der Jesuiten enthüllte und dadurch den Feinden der Kirche
ne»e Waffen in die Hände gat'. Das ist eine Auffassung, die sich heutzutage
bei »usem Legitimisten sehr verbreitet hat, die aber einen reflectirten, eigentlich
irreligösen Standpunkt ausdrückt. Die wahre Religiosität ist ausschließend; der
echte Protestant kann die Existenz eines unfehlbaren Papstes, die Abhängigkeit der
sittlichen Bestimmungen von der Willkür einer angeblich inspirirter Person, die
Rechtfertigung der Sünde durch gute Werke und die Heiligung der dem Müßiggang
und der Unfruchtbarkeit geweihten Classe» ebensowenig gelten lassen, als der Ka¬
tholik die rechtliche Existenz einer ketzerische» Kirche. Wenn der nie auszugleichende
Gegensatz zwischen Protestantismus und Katholicismus jetzt nicht mehr in den
gehässige» Formen auftreten darf, wie in de» Zeiten der Reformation, so rührt
das nicht von einer Erweiterung des .christlichen Sinnes her, sondern von einer
Abschwächung desselben durch das Princip der Humanität: Toleranz gegen Anders¬
gläubige aus Rechtsgefühl und aus Menschenliebe ist eine Errungenschaft unserer
Zeit, aber rechtliche Anerkennung aller sich ausschließenden Gegensätze zu Gunsten
eines doctrinären Schemas, welches auch in der Religion individuelle, scharfge-
schlvssene Gestaltungen verlangt, ist ein wüster Traum der Romantik.

Mit dem Zeitalter der Reformation Hort das lebendige Interesse Leos an
der Geschichte auf, wenigstens die Grundlagen des nachfolgenden Zeitalters, so-
wol „das System des Merkantilsystems" als „das System der mechanischen Ten¬
denzen in der Politik" erscheinen ihm absolut verwerflich. Dennoch beginnt erst
mit diesem Zeitraum die Ausführlichkeit seiner Darstellung und der Haß gibt seiner
Feder zuweilen eine Kraft und Elasticität, die aus der Liebe nie hervorgegan¬
gen wäre. Das Buch erregt eine ganz merkwürdige'Spannung und ein Interesse,
wie es bei einem Geschichtwerke ganz ungewöhnlich ist, und vielleicht grade zum
Theil durch seine Fehler. Die ganz unerhörte Subjectivität der Auffassung, die
Stimmung, die im schnellsten Wechsel von einem Extrem zum andern springt
und die freilich zum Theil durch den Einfluß der verschiedenen Quellen bedingt
wird, die Ungenirtheit, in welcher der Geschichtschreiber allen seinen Einfällen
Luft macht, das alles sind, wenn man das Werk als ein wissenschaftliches be¬
trachtet, große Fehler und Jncorreclheiten, aber sie machen es dem Leser leicht und
bequem, sich ein bestimmtes Verhältniß zur Darstellung zu bilden, ungefähr , wie
es bei einem historischen Roman der Fall ist.

Was die Theorie betrifft, die sich in diesen letzten Theilen ausspricht, so tritt
am deutlichsten der Haß gegen den Idealismus des weltlichen Wesens hervor, ans
den wir schon oben hingedeutet haben. Leo ist entrüstet darüber, daß man ans
der Politik eine Art Religion, d. h. eine 'zur Glut gesteigerte Ueberzeugung ge¬
macht hat. Er siudet i» der Lehre Macchiavellis, in dem Merkantilstem der
absolutistischen Fürsten, in der philosophischen Aufklärung des vorigen Jahrhun-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/422>, abgerufen am 06.02.2025.