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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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von der Einheit der Verminst im Weltall. Wenn er daher in der Ausführung
sowol mit der historischen Schule als anch mit der Romantik häufig übereinstimmte,
so lag das nur darin, daß diese nach einer gewissen Richtung hin die Immanenz
der Vernunft viel lebhafter und eindringlicher vertraten, als die Aufklärung selbst.
Denn wahrend diese ein allgemeines und unbestimmtes Vernunftideal dem wirk¬
lichen individuellen, concreten, geschichtlichen Leben feindselig entgegenstellte, bemühte
sich die historische Schule im Gegentheil, die Continuität der vernünftigen Ent¬
wickelung, die Uebereinstimmung des Naturgesetzes mit der Idee und die indivi¬
duelle Entwickelung und Vervielfältigung derselben nachzuweisen. Soweit die
historische Schule in dieser Beziehung conscgucnt war, ging Hegel mit ihr Hand
in Hand. Aber sie war inconsequent in zwei der wichtigsten Punkte, und darum
mußte er sie bekämpfen. Einerseits beschränkte sie das Naturgesetz der geschicht¬
lichen Entwickelung willkürlich auf einzelne Bestimmungen, vor allem auf die
nationalen Voraussetzungen, und hatte für die größeren Formen des weltgeschicht¬
lichen Processes kein Verständniß; sie verwarf dieselbe" als Unterbrechungen der
historischen Continuität und sah in ihnen das absolut Böse. Sodann machte sie
zu Gunsten einer einzelnen Erscheinung, einer Revolution im allerhöchsten, welt¬
geschichtlichen Stil, eine Ausnahme in der allgemeine" Form ihres Denkens und
Empfindens. Sie erkannte nämlich die Berechtigung des Christenthums an, und
da dieses nicht nur aus den Naturgesetzen der nationalen Entwickelung nicht
herzuleiten war, sondern wahrend der ganzen neuern Geschichte den Naturproceß
des Völkerlebens unausgesetzt auf das gewaltsamste unterbrochen hatte, so war
sie genöthigt, eine doppelte geschichtliche Vernunft anzunehmen, eine irdische und
eine überirdische, und während sie der ersteren die Bedingung der Naturbeschränkuug
mit einer fast pedantischen Strenge vorschrieb, der letzteren das absolute Recht des
Wunders, d. h. der fortwährende" Unterbrechung der natürlichen und geschicht¬
lichen Continuität beizumessen. Auf diese Weise wird aber das eigentliche Princip
der historischen Schule zu einer.bloßen Illusion; denn es hat in den größten
Fragen der Geschichte nichts mitzusprechen. -- Diese Inconsequenz der historischen
Schule hat Hegel schlagend und mit glücklichstem Erfolge corrigirt, einerlei durch
welche Formen der Beweisführung er dazu kam. Er hat einmal das Gesetz des
Naturlebens über die Einseitigkeit der bloßen Stammbestimmung herausgehoben,
und er hat andererseits das Christenthum, obgleich er ihm die höchste Verehrung
zollte, demselben Naturgesetz unterworfen, wie das übrige Leben. Alles dies
hat er wenigstens der Anlage nach mit soviel Klarheit und Bestimmtheit gethan,
daß keiner seiner Schüler über ihn herausgegangen ist. Sie haben nur einzelne
Seiten seiner Polemik schärfer betont und ihnen eine paradoxe Form gegeben,
weil sie es mit andern Gegnern zu thun hatten.

Nun ist der Gegensatz in der Empfindung und Gesinnung zwischen Leo,
wie seinen Vorgängern, den Romantikern überhaupt, und Hegel viel bedeutender,


von der Einheit der Verminst im Weltall. Wenn er daher in der Ausführung
sowol mit der historischen Schule als anch mit der Romantik häufig übereinstimmte,
so lag das nur darin, daß diese nach einer gewissen Richtung hin die Immanenz
der Vernunft viel lebhafter und eindringlicher vertraten, als die Aufklärung selbst.
Denn wahrend diese ein allgemeines und unbestimmtes Vernunftideal dem wirk¬
lichen individuellen, concreten, geschichtlichen Leben feindselig entgegenstellte, bemühte
sich die historische Schule im Gegentheil, die Continuität der vernünftigen Ent¬
wickelung, die Uebereinstimmung des Naturgesetzes mit der Idee und die indivi¬
duelle Entwickelung und Vervielfältigung derselben nachzuweisen. Soweit die
historische Schule in dieser Beziehung conscgucnt war, ging Hegel mit ihr Hand
in Hand. Aber sie war inconsequent in zwei der wichtigsten Punkte, und darum
mußte er sie bekämpfen. Einerseits beschränkte sie das Naturgesetz der geschicht¬
lichen Entwickelung willkürlich auf einzelne Bestimmungen, vor allem auf die
nationalen Voraussetzungen, und hatte für die größeren Formen des weltgeschicht¬
lichen Processes kein Verständniß; sie verwarf dieselbe» als Unterbrechungen der
historischen Continuität und sah in ihnen das absolut Böse. Sodann machte sie
zu Gunsten einer einzelnen Erscheinung, einer Revolution im allerhöchsten, welt¬
geschichtlichen Stil, eine Ausnahme in der allgemeine» Form ihres Denkens und
Empfindens. Sie erkannte nämlich die Berechtigung des Christenthums an, und
da dieses nicht nur aus den Naturgesetzen der nationalen Entwickelung nicht
herzuleiten war, sondern wahrend der ganzen neuern Geschichte den Naturproceß
des Völkerlebens unausgesetzt auf das gewaltsamste unterbrochen hatte, so war
sie genöthigt, eine doppelte geschichtliche Vernunft anzunehmen, eine irdische und
eine überirdische, und während sie der ersteren die Bedingung der Naturbeschränkuug
mit einer fast pedantischen Strenge vorschrieb, der letzteren das absolute Recht des
Wunders, d. h. der fortwährende» Unterbrechung der natürlichen und geschicht¬
lichen Continuität beizumessen. Auf diese Weise wird aber das eigentliche Princip
der historischen Schule zu einer.bloßen Illusion; denn es hat in den größten
Fragen der Geschichte nichts mitzusprechen. — Diese Inconsequenz der historischen
Schule hat Hegel schlagend und mit glücklichstem Erfolge corrigirt, einerlei durch
welche Formen der Beweisführung er dazu kam. Er hat einmal das Gesetz des
Naturlebens über die Einseitigkeit der bloßen Stammbestimmung herausgehoben,
und er hat andererseits das Christenthum, obgleich er ihm die höchste Verehrung
zollte, demselben Naturgesetz unterworfen, wie das übrige Leben. Alles dies
hat er wenigstens der Anlage nach mit soviel Klarheit und Bestimmtheit gethan,
daß keiner seiner Schüler über ihn herausgegangen ist. Sie haben nur einzelne
Seiten seiner Polemik schärfer betont und ihnen eine paradoxe Form gegeben,
weil sie es mit andern Gegnern zu thun hatten.

Nun ist der Gegensatz in der Empfindung und Gesinnung zwischen Leo,
wie seinen Vorgängern, den Romantikern überhaupt, und Hegel viel bedeutender,


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[0412] von der Einheit der Verminst im Weltall. Wenn er daher in der Ausführung sowol mit der historischen Schule als anch mit der Romantik häufig übereinstimmte, so lag das nur darin, daß diese nach einer gewissen Richtung hin die Immanenz der Vernunft viel lebhafter und eindringlicher vertraten, als die Aufklärung selbst. Denn wahrend diese ein allgemeines und unbestimmtes Vernunftideal dem wirk¬ lichen individuellen, concreten, geschichtlichen Leben feindselig entgegenstellte, bemühte sich die historische Schule im Gegentheil, die Continuität der vernünftigen Ent¬ wickelung, die Uebereinstimmung des Naturgesetzes mit der Idee und die indivi¬ duelle Entwickelung und Vervielfältigung derselben nachzuweisen. Soweit die historische Schule in dieser Beziehung conscgucnt war, ging Hegel mit ihr Hand in Hand. Aber sie war inconsequent in zwei der wichtigsten Punkte, und darum mußte er sie bekämpfen. Einerseits beschränkte sie das Naturgesetz der geschicht¬ lichen Entwickelung willkürlich auf einzelne Bestimmungen, vor allem auf die nationalen Voraussetzungen, und hatte für die größeren Formen des weltgeschicht¬ lichen Processes kein Verständniß; sie verwarf dieselbe» als Unterbrechungen der historischen Continuität und sah in ihnen das absolut Böse. Sodann machte sie zu Gunsten einer einzelnen Erscheinung, einer Revolution im allerhöchsten, welt¬ geschichtlichen Stil, eine Ausnahme in der allgemeine» Form ihres Denkens und Empfindens. Sie erkannte nämlich die Berechtigung des Christenthums an, und da dieses nicht nur aus den Naturgesetzen der nationalen Entwickelung nicht herzuleiten war, sondern wahrend der ganzen neuern Geschichte den Naturproceß des Völkerlebens unausgesetzt auf das gewaltsamste unterbrochen hatte, so war sie genöthigt, eine doppelte geschichtliche Vernunft anzunehmen, eine irdische und eine überirdische, und während sie der ersteren die Bedingung der Naturbeschränkuug mit einer fast pedantischen Strenge vorschrieb, der letzteren das absolute Recht des Wunders, d. h. der fortwährende» Unterbrechung der natürlichen und geschicht¬ lichen Continuität beizumessen. Auf diese Weise wird aber das eigentliche Princip der historischen Schule zu einer.bloßen Illusion; denn es hat in den größten Fragen der Geschichte nichts mitzusprechen. — Diese Inconsequenz der historischen Schule hat Hegel schlagend und mit glücklichstem Erfolge corrigirt, einerlei durch welche Formen der Beweisführung er dazu kam. Er hat einmal das Gesetz des Naturlebens über die Einseitigkeit der bloßen Stammbestimmung herausgehoben, und er hat andererseits das Christenthum, obgleich er ihm die höchste Verehrung zollte, demselben Naturgesetz unterworfen, wie das übrige Leben. Alles dies hat er wenigstens der Anlage nach mit soviel Klarheit und Bestimmtheit gethan, daß keiner seiner Schüler über ihn herausgegangen ist. Sie haben nur einzelne Seiten seiner Polemik schärfer betont und ihnen eine paradoxe Form gegeben, weil sie es mit andern Gegnern zu thun hatten. Nun ist der Gegensatz in der Empfindung und Gesinnung zwischen Leo, wie seinen Vorgängern, den Romantikern überhaupt, und Hegel viel bedeutender,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/412>, abgerufen am 06.02.2025.