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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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als zwischen der historischen Schule und Hegel; denn die letztere ging mit
gewissenhafter Anstrengung darauf aus, jene Einheit der Vernunft, die sie nicht
vollständig erreichen konnte, weil sie in ihrem Princip inconsequent war, wenigstens
soviel als irgend möglich herzustellen; die Romantik dagegen, die nicht von einem
sittlichen, sondern von einem ästhetischen Bedürfniß ausgeht, hat ihre Freude an
dem tragischen Contraste zwischen göttlichem und menschlichem Recht/weil er ihrer
Phantasie einen größeren Spielraum gibt: und in diesem Behagen am unauflös¬
baren Räthsel des Weltlebens, an dem ewigen Contraste zwischen der menschlichen
Idee und der göttlichen Wahrheit steht Leo ganz auf einer Stufe mit Victor Hugo
und den übrigen neufranzösischen Romantikern.

Wir haben diese allgemeinen Bemerkungen vorausgeschickt, weil sie sich ans
sämmtliche Werke Leos beziehen und weil sie eine allgemeine Neigung der
damaligen Zeit, der Philosophie einzelne geistreiche Combinationen und Einfälle
zu entlehnen, ohne sich der weniger glänzenden und anstrengenderen Arbeit eines
zusammenhängenden Verständnisses zu unterziehen. Wir wenden uns nun zu der
weiteren Entwickelung Leos zurück.

Nachdem er 1823 mit Unterstützung der verwitweten Fürstin von Schwarz-
burg-Rndolsstadt eine Reise nach Italien gemacht hatte, versuchte er, sich in
Berlin festzusetzen/ Der Erfolg entsprach nicht seinen Erwartungen, wie deun
überhaupt ein eigenes Schicksal ihm die Wirksamkeit in der Hauptstadt abzuschneiden
scheint, und er beschränkte sich auf die Professur in Halle, wo er seit 1828
ununterbrochen gewirkt hat. Von den Arbeiten, durch die er daselbst die Geschichte
bereichert hat, erwähnen wir Zunächst die in strengem gelehrten Charakter, die
Forschungen in der altdeutschen Sprache und im altdeutschen Reiche, namentlich
seine Bearbeitung der Malbergischen Glosse (18i2), über die wir in Grimms
Geschichte der deutschen Sprache eine lesenswerthe Beurtheilung finden. Grimm
schließt sich zwar den Resultaten Leos nicht an, er tadelt vielmehr sehr entschieden
die Kühnheit und Vorschnelligkeit seiner Combinationen, aber er behandelt ihn
mit einer Achtung, die schon allein hinreichen würde, uns zu überzeugen, daß
Leo auch in diesen Kreisen der strengeren Forschung vollständig zur Zunft gehört.
Mit dieser Notiz müssen wir uns hier natürlich begnügen; es kommt uns nur
darauf an, die darstellenden Werke Leos, die zur allgemeinen Literatur gehören,
zu besprechen. -- Es war die Heeren-Ukertsche Sammlung, die überhaupt eine
ganze Reihe vortrefflicher Schriften hervorgerufen hat, die ihm zu seinen beiden
größeren Werken: Geschichte der italienischen Staaten, ö Bde. 1829 -- 30 und
zwölf Bücher niederländischer Geschichten, 2 Bde. 1832--35, Gelegenheit gab.
Das letztere Werk ist vielleicht das vollendetste und correcteste, das wir Leo
überhaupt verdanken; es ist am wenigsten von seinen sonstigen, eigenthümlichen
Ideen und Einfällen durchdrungen und fast in allen Theilen mit gleichmäßiger
Sorgfalt behandelt, ein Verdienst, das man bei Leo sehr selten findet. Denn


als zwischen der historischen Schule und Hegel; denn die letztere ging mit
gewissenhafter Anstrengung darauf aus, jene Einheit der Vernunft, die sie nicht
vollständig erreichen konnte, weil sie in ihrem Princip inconsequent war, wenigstens
soviel als irgend möglich herzustellen; die Romantik dagegen, die nicht von einem
sittlichen, sondern von einem ästhetischen Bedürfniß ausgeht, hat ihre Freude an
dem tragischen Contraste zwischen göttlichem und menschlichem Recht/weil er ihrer
Phantasie einen größeren Spielraum gibt: und in diesem Behagen am unauflös¬
baren Räthsel des Weltlebens, an dem ewigen Contraste zwischen der menschlichen
Idee und der göttlichen Wahrheit steht Leo ganz auf einer Stufe mit Victor Hugo
und den übrigen neufranzösischen Romantikern.

Wir haben diese allgemeinen Bemerkungen vorausgeschickt, weil sie sich ans
sämmtliche Werke Leos beziehen und weil sie eine allgemeine Neigung der
damaligen Zeit, der Philosophie einzelne geistreiche Combinationen und Einfälle
zu entlehnen, ohne sich der weniger glänzenden und anstrengenderen Arbeit eines
zusammenhängenden Verständnisses zu unterziehen. Wir wenden uns nun zu der
weiteren Entwickelung Leos zurück.

Nachdem er 1823 mit Unterstützung der verwitweten Fürstin von Schwarz-
burg-Rndolsstadt eine Reise nach Italien gemacht hatte, versuchte er, sich in
Berlin festzusetzen/ Der Erfolg entsprach nicht seinen Erwartungen, wie deun
überhaupt ein eigenes Schicksal ihm die Wirksamkeit in der Hauptstadt abzuschneiden
scheint, und er beschränkte sich auf die Professur in Halle, wo er seit 1828
ununterbrochen gewirkt hat. Von den Arbeiten, durch die er daselbst die Geschichte
bereichert hat, erwähnen wir Zunächst die in strengem gelehrten Charakter, die
Forschungen in der altdeutschen Sprache und im altdeutschen Reiche, namentlich
seine Bearbeitung der Malbergischen Glosse (18i2), über die wir in Grimms
Geschichte der deutschen Sprache eine lesenswerthe Beurtheilung finden. Grimm
schließt sich zwar den Resultaten Leos nicht an, er tadelt vielmehr sehr entschieden
die Kühnheit und Vorschnelligkeit seiner Combinationen, aber er behandelt ihn
mit einer Achtung, die schon allein hinreichen würde, uns zu überzeugen, daß
Leo auch in diesen Kreisen der strengeren Forschung vollständig zur Zunft gehört.
Mit dieser Notiz müssen wir uns hier natürlich begnügen; es kommt uns nur
darauf an, die darstellenden Werke Leos, die zur allgemeinen Literatur gehören,
zu besprechen. — Es war die Heeren-Ukertsche Sammlung, die überhaupt eine
ganze Reihe vortrefflicher Schriften hervorgerufen hat, die ihm zu seinen beiden
größeren Werken: Geschichte der italienischen Staaten, ö Bde. 1829 — 30 und
zwölf Bücher niederländischer Geschichten, 2 Bde. 1832—35, Gelegenheit gab.
Das letztere Werk ist vielleicht das vollendetste und correcteste, das wir Leo
überhaupt verdanken; es ist am wenigsten von seinen sonstigen, eigenthümlichen
Ideen und Einfällen durchdrungen und fast in allen Theilen mit gleichmäßiger
Sorgfalt behandelt, ein Verdienst, das man bei Leo sehr selten findet. Denn


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[0413] als zwischen der historischen Schule und Hegel; denn die letztere ging mit gewissenhafter Anstrengung darauf aus, jene Einheit der Vernunft, die sie nicht vollständig erreichen konnte, weil sie in ihrem Princip inconsequent war, wenigstens soviel als irgend möglich herzustellen; die Romantik dagegen, die nicht von einem sittlichen, sondern von einem ästhetischen Bedürfniß ausgeht, hat ihre Freude an dem tragischen Contraste zwischen göttlichem und menschlichem Recht/weil er ihrer Phantasie einen größeren Spielraum gibt: und in diesem Behagen am unauflös¬ baren Räthsel des Weltlebens, an dem ewigen Contraste zwischen der menschlichen Idee und der göttlichen Wahrheit steht Leo ganz auf einer Stufe mit Victor Hugo und den übrigen neufranzösischen Romantikern. Wir haben diese allgemeinen Bemerkungen vorausgeschickt, weil sie sich ans sämmtliche Werke Leos beziehen und weil sie eine allgemeine Neigung der damaligen Zeit, der Philosophie einzelne geistreiche Combinationen und Einfälle zu entlehnen, ohne sich der weniger glänzenden und anstrengenderen Arbeit eines zusammenhängenden Verständnisses zu unterziehen. Wir wenden uns nun zu der weiteren Entwickelung Leos zurück. Nachdem er 1823 mit Unterstützung der verwitweten Fürstin von Schwarz- burg-Rndolsstadt eine Reise nach Italien gemacht hatte, versuchte er, sich in Berlin festzusetzen/ Der Erfolg entsprach nicht seinen Erwartungen, wie deun überhaupt ein eigenes Schicksal ihm die Wirksamkeit in der Hauptstadt abzuschneiden scheint, und er beschränkte sich auf die Professur in Halle, wo er seit 1828 ununterbrochen gewirkt hat. Von den Arbeiten, durch die er daselbst die Geschichte bereichert hat, erwähnen wir Zunächst die in strengem gelehrten Charakter, die Forschungen in der altdeutschen Sprache und im altdeutschen Reiche, namentlich seine Bearbeitung der Malbergischen Glosse (18i2), über die wir in Grimms Geschichte der deutschen Sprache eine lesenswerthe Beurtheilung finden. Grimm schließt sich zwar den Resultaten Leos nicht an, er tadelt vielmehr sehr entschieden die Kühnheit und Vorschnelligkeit seiner Combinationen, aber er behandelt ihn mit einer Achtung, die schon allein hinreichen würde, uns zu überzeugen, daß Leo auch in diesen Kreisen der strengeren Forschung vollständig zur Zunft gehört. Mit dieser Notiz müssen wir uns hier natürlich begnügen; es kommt uns nur darauf an, die darstellenden Werke Leos, die zur allgemeinen Literatur gehören, zu besprechen. — Es war die Heeren-Ukertsche Sammlung, die überhaupt eine ganze Reihe vortrefflicher Schriften hervorgerufen hat, die ihm zu seinen beiden größeren Werken: Geschichte der italienischen Staaten, ö Bde. 1829 — 30 und zwölf Bücher niederländischer Geschichten, 2 Bde. 1832—35, Gelegenheit gab. Das letztere Werk ist vielleicht das vollendetste und correcteste, das wir Leo überhaupt verdanken; es ist am wenigsten von seinen sonstigen, eigenthümlichen Ideen und Einfällen durchdrungen und fast in allen Theilen mit gleichmäßiger Sorgfalt behandelt, ein Verdienst, das man bei Leo sehr selten findet. Denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/413>, abgerufen am 06.02.2025.