Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

durch entsteht eine Malerei der Staffage, welche leicht mächtiger wird, als die ei¬
gentliche Begebenheit. Und ferner erhalten die Helden und ihre Thaten leicht
dadurch etwas Unwahres, daß der fremde Dichter sie zum Theil genau nach der
Wirklichkeit zu porträtiren sucht, zum Theil ihr Wesen und ihre Begebenheiten
nach seinem eigenen Ermessen aus seiner Persönlichkeit herausarbeiten muß. Er
wird demnach in dringender Gefahr sein, entweder unwahr zu werden dadurch,
daß er nicht Zusammengehöriges miteinander verbindet, z. B. tscherkessische
Wildheit nud deutsche Seutimenralität, chinesische Zöpfe und deutsche Gemüthlich¬
keit, oder er wird im Bestreben, diese Verbindung zu vermeide", ans einem
schönfarbigen, stark ausgeführten Hintergründe schattenhafte Menschen, eine wenig
detaillirte Handlung heraufmalen. Den letzteren Uebelstand hat auch Bodenstedt
nicht vermeiden können, er ist immer noch der bessere unter den beiden angegebenen.

Das Bestreben, treu das Land und die Menschen zu schildern, ist in dem
Gedicht "Ada" überall sichtbar und viele Einzelnheiten sind von diesem Stand¬
punkte aus vortrefflich gezeichnet. In den Versen hat der Dichter sich die Frei¬
heit genommen, das Maß zuweilen charakteristisch zu ändern, Lieder einzuflechten
u. s. w. Es ist bereits früher in diesen Blättern ausgeführt worden, weshalb ein
solches Wechseln des Versmaßes bei einem Gedicht von epischer Einheit nicht
vorteilhaft für die Wirkung und Erzählung sei. Bodenstedt ist übrigens ge¬
schmackvoll in der Wahl seiner Maße und sorgfältig in der poetischen Form.
Dies Talent hat er auch hier bewährt.

So wird das Endurtheil über das vorliegende epische Gedicht sei": daß seine
Schwächen in unvollständiger Composition, seine Vorzüge in lebhafter Reproduc-
tion schöner Eindrücke beruhen, welche Landschaft nud Menschen in der Seele des
Dichters hervorbrachten, und unser Urtheil über das Talent des Dichters, soweit
man aus seinen gedruckten Werken darüber urtheile" kau", muß das sein: daß er
in bewunderungswürdiger Weise sein organisirt ist, das poetisch Schone in alle"
Formen zu erkennen und charakteristisch zu reproduciren, daß seine Kraft zu er¬
finden aber und das Einzelne zu combiniren noch nicht in gleichem Maße vor¬
handen oder entwickelt ist.




Nnßlmlds baltische Seemacht.

Im gegenwärtigen Augenblicke beschäftigt man sich fast ausschließlich mit der
russischen Seemacht ans dem schwarzen und asowschen Meere. Wir haben hier nicht
die Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten abzuwägen, ob die baltische Seemacht
Rußlands in der nächsten Zeit ebenso wichtig zu werden bestimmt ist, wie gegen- ,
wärtig die des schwarzen Meeres. Je ungewisser aber diese Zukunft, desto un-


durch entsteht eine Malerei der Staffage, welche leicht mächtiger wird, als die ei¬
gentliche Begebenheit. Und ferner erhalten die Helden und ihre Thaten leicht
dadurch etwas Unwahres, daß der fremde Dichter sie zum Theil genau nach der
Wirklichkeit zu porträtiren sucht, zum Theil ihr Wesen und ihre Begebenheiten
nach seinem eigenen Ermessen aus seiner Persönlichkeit herausarbeiten muß. Er
wird demnach in dringender Gefahr sein, entweder unwahr zu werden dadurch,
daß er nicht Zusammengehöriges miteinander verbindet, z. B. tscherkessische
Wildheit nud deutsche Seutimenralität, chinesische Zöpfe und deutsche Gemüthlich¬
keit, oder er wird im Bestreben, diese Verbindung zu vermeide«, ans einem
schönfarbigen, stark ausgeführten Hintergründe schattenhafte Menschen, eine wenig
detaillirte Handlung heraufmalen. Den letzteren Uebelstand hat auch Bodenstedt
nicht vermeiden können, er ist immer noch der bessere unter den beiden angegebenen.

Das Bestreben, treu das Land und die Menschen zu schildern, ist in dem
Gedicht „Ada" überall sichtbar und viele Einzelnheiten sind von diesem Stand¬
punkte aus vortrefflich gezeichnet. In den Versen hat der Dichter sich die Frei¬
heit genommen, das Maß zuweilen charakteristisch zu ändern, Lieder einzuflechten
u. s. w. Es ist bereits früher in diesen Blättern ausgeführt worden, weshalb ein
solches Wechseln des Versmaßes bei einem Gedicht von epischer Einheit nicht
vorteilhaft für die Wirkung und Erzählung sei. Bodenstedt ist übrigens ge¬
schmackvoll in der Wahl seiner Maße und sorgfältig in der poetischen Form.
Dies Talent hat er auch hier bewährt.

So wird das Endurtheil über das vorliegende epische Gedicht sei«: daß seine
Schwächen in unvollständiger Composition, seine Vorzüge in lebhafter Reproduc-
tion schöner Eindrücke beruhen, welche Landschaft nud Menschen in der Seele des
Dichters hervorbrachten, und unser Urtheil über das Talent des Dichters, soweit
man aus seinen gedruckten Werken darüber urtheile» kau», muß das sein: daß er
in bewunderungswürdiger Weise sein organisirt ist, das poetisch Schone in alle»
Formen zu erkennen und charakteristisch zu reproduciren, daß seine Kraft zu er¬
finden aber und das Einzelne zu combiniren noch nicht in gleichem Maße vor¬
handen oder entwickelt ist.




Nnßlmlds baltische Seemacht.

Im gegenwärtigen Augenblicke beschäftigt man sich fast ausschließlich mit der
russischen Seemacht ans dem schwarzen und asowschen Meere. Wir haben hier nicht
die Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten abzuwägen, ob die baltische Seemacht
Rußlands in der nächsten Zeit ebenso wichtig zu werden bestimmt ist, wie gegen- ,
wärtig die des schwarzen Meeres. Je ungewisser aber diese Zukunft, desto un-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0376" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97081"/>
          <p xml:id="ID_1147" prev="#ID_1146"> durch entsteht eine Malerei der Staffage, welche leicht mächtiger wird, als die ei¬<lb/>
gentliche Begebenheit. Und ferner erhalten die Helden und ihre Thaten leicht<lb/>
dadurch etwas Unwahres, daß der fremde Dichter sie zum Theil genau nach der<lb/>
Wirklichkeit zu porträtiren sucht, zum Theil ihr Wesen und ihre Begebenheiten<lb/>
nach seinem eigenen Ermessen aus seiner Persönlichkeit herausarbeiten muß. Er<lb/>
wird demnach in dringender Gefahr sein, entweder unwahr zu werden dadurch,<lb/>
daß er nicht Zusammengehöriges miteinander verbindet, z. B. tscherkessische<lb/>
Wildheit nud deutsche Seutimenralität, chinesische Zöpfe und deutsche Gemüthlich¬<lb/>
keit, oder er wird im Bestreben, diese Verbindung zu vermeide«, ans einem<lb/>
schönfarbigen, stark ausgeführten Hintergründe schattenhafte Menschen, eine wenig<lb/>
detaillirte Handlung heraufmalen. Den letzteren Uebelstand hat auch Bodenstedt<lb/>
nicht vermeiden können, er ist immer noch der bessere unter den beiden angegebenen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1148"> Das Bestreben, treu das Land und die Menschen zu schildern, ist in dem<lb/>
Gedicht &#x201E;Ada" überall sichtbar und viele Einzelnheiten sind von diesem Stand¬<lb/>
punkte aus vortrefflich gezeichnet. In den Versen hat der Dichter sich die Frei¬<lb/>
heit genommen, das Maß zuweilen charakteristisch zu ändern, Lieder einzuflechten<lb/>
u. s. w. Es ist bereits früher in diesen Blättern ausgeführt worden, weshalb ein<lb/>
solches Wechseln des Versmaßes bei einem Gedicht von epischer Einheit nicht<lb/>
vorteilhaft für die Wirkung und Erzählung sei. Bodenstedt ist übrigens ge¬<lb/>
schmackvoll in der Wahl seiner Maße und sorgfältig in der poetischen Form.<lb/>
Dies Talent hat er auch hier bewährt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1149"> So wird das Endurtheil über das vorliegende epische Gedicht sei«: daß seine<lb/>
Schwächen in unvollständiger Composition, seine Vorzüge in lebhafter Reproduc-<lb/>
tion schöner Eindrücke beruhen, welche Landschaft nud Menschen in der Seele des<lb/>
Dichters hervorbrachten, und unser Urtheil über das Talent des Dichters, soweit<lb/>
man aus seinen gedruckten Werken darüber urtheile» kau», muß das sein: daß er<lb/>
in bewunderungswürdiger Weise sein organisirt ist, das poetisch Schone in alle»<lb/>
Formen zu erkennen und charakteristisch zu reproduciren, daß seine Kraft zu er¬<lb/>
finden aber und das Einzelne zu combiniren noch nicht in gleichem Maße vor¬<lb/>
handen oder entwickelt ist.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Nnßlmlds baltische Seemacht.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1150" next="#ID_1151"> Im gegenwärtigen Augenblicke beschäftigt man sich fast ausschließlich mit der<lb/>
russischen Seemacht ans dem schwarzen und asowschen Meere. Wir haben hier nicht<lb/>
die Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten abzuwägen, ob die baltische Seemacht<lb/>
Rußlands in der nächsten Zeit ebenso wichtig zu werden bestimmt ist, wie gegen- ,<lb/>
wärtig die des schwarzen Meeres.  Je ungewisser aber diese Zukunft, desto un-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0376] durch entsteht eine Malerei der Staffage, welche leicht mächtiger wird, als die ei¬ gentliche Begebenheit. Und ferner erhalten die Helden und ihre Thaten leicht dadurch etwas Unwahres, daß der fremde Dichter sie zum Theil genau nach der Wirklichkeit zu porträtiren sucht, zum Theil ihr Wesen und ihre Begebenheiten nach seinem eigenen Ermessen aus seiner Persönlichkeit herausarbeiten muß. Er wird demnach in dringender Gefahr sein, entweder unwahr zu werden dadurch, daß er nicht Zusammengehöriges miteinander verbindet, z. B. tscherkessische Wildheit nud deutsche Seutimenralität, chinesische Zöpfe und deutsche Gemüthlich¬ keit, oder er wird im Bestreben, diese Verbindung zu vermeide«, ans einem schönfarbigen, stark ausgeführten Hintergründe schattenhafte Menschen, eine wenig detaillirte Handlung heraufmalen. Den letzteren Uebelstand hat auch Bodenstedt nicht vermeiden können, er ist immer noch der bessere unter den beiden angegebenen. Das Bestreben, treu das Land und die Menschen zu schildern, ist in dem Gedicht „Ada" überall sichtbar und viele Einzelnheiten sind von diesem Stand¬ punkte aus vortrefflich gezeichnet. In den Versen hat der Dichter sich die Frei¬ heit genommen, das Maß zuweilen charakteristisch zu ändern, Lieder einzuflechten u. s. w. Es ist bereits früher in diesen Blättern ausgeführt worden, weshalb ein solches Wechseln des Versmaßes bei einem Gedicht von epischer Einheit nicht vorteilhaft für die Wirkung und Erzählung sei. Bodenstedt ist übrigens ge¬ schmackvoll in der Wahl seiner Maße und sorgfältig in der poetischen Form. Dies Talent hat er auch hier bewährt. So wird das Endurtheil über das vorliegende epische Gedicht sei«: daß seine Schwächen in unvollständiger Composition, seine Vorzüge in lebhafter Reproduc- tion schöner Eindrücke beruhen, welche Landschaft nud Menschen in der Seele des Dichters hervorbrachten, und unser Urtheil über das Talent des Dichters, soweit man aus seinen gedruckten Werken darüber urtheile» kau», muß das sein: daß er in bewunderungswürdiger Weise sein organisirt ist, das poetisch Schone in alle» Formen zu erkennen und charakteristisch zu reproduciren, daß seine Kraft zu er¬ finden aber und das Einzelne zu combiniren noch nicht in gleichem Maße vor¬ handen oder entwickelt ist. Nnßlmlds baltische Seemacht. Im gegenwärtigen Augenblicke beschäftigt man sich fast ausschließlich mit der russischen Seemacht ans dem schwarzen und asowschen Meere. Wir haben hier nicht die Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten abzuwägen, ob die baltische Seemacht Rußlands in der nächsten Zeit ebenso wichtig zu werden bestimmt ist, wie gegen- , wärtig die des schwarzen Meeres. Je ungewisser aber diese Zukunft, desto un-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/376
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/376>, abgerufen am 05.02.2025.