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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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scheu Consulate eine Nachricht erhalten, die er in sein Blatt aufnahm. Der
russische Consul lud ihn vor sich, und zog ihn darüber barsch zur Rechenschaft.

Noch gäbe es eine Hoffnung für die Donaufürstenthümer, wenn man sie
auf einige Jahrzehnte von fremdem Einfluß frei halten könnte, da unter den
jüngeren Bojaren sich ein viel besserer Geist zu regen anfängt. Aber seit Er¬
findung der Solidarität der conservativen Interessen gehören Hoffnungen aufs
Eonserviren ins Reich der Träume. Glücklich jene Länder des europäischen
Südost, wo der Türke schon keine und Rußland noch keine Macht besitzt, wie Ser¬
bien und Griechenland. Eine ähnliche Stellung aller europäisch-türkischen Pro¬
vinzen wäre die einzige Lösung, die Beruhigung und gute Hoffnung für die Zu¬
kunft geben könnte, wenn Rußland nicht immer ihr unmittelbarer Nachbar bliebe.

So aber ist die Walachei ihrem Schicksal verfalle", gleichviel ob Rußland
sie diesmal behält, oder -- wie mau hoffen muß -- wieder herausgibt. Schon
seine Nähe tödtet.

Alle Bewohner der Länder zwischen den Karpaten, dem schwarzen, ägäischen
und mittelländischen Meere haben das Gemeinschaftliche, daß sie aus Trümmern
großer Völkerstämme zusammengesetzt sind, welche sich bis heut nicht vollständig
vereinigen und zu großen neuen Völkern, wie etwa die Engländer, die Spanier
und zum Theil die Deutschen verschmelze" konnten. Ein solch auseinanderge¬
rissener, in zahllose Trümmer zersplitterter Stamm ist der walachisch-romanische.
Obwol stärker als die magyarische Race, da er über 8 Millionen Seelen zählt,
hat er doch seit Trajan keine andere Bedeutung in der Geschichte gehabt, als zu
vegetiren. Die zersprengten Glieder haben das Bewußtsein ihrer Zusammen¬
gehörigkeit verloren, und selbst in der Neuzeit haben die vier Hauptgruppen des
Volkes, Walachen, Moldauer, stebenbürger und bnkowinaer Romanen, statt eine
Gleichheit in Schrift und Sprache anzustreben, die zwischen ihnen bestehende
Kluft durch Feststellung verschiedener Schriftarten und grammatischer Normen noch
erweitert. Die Verschiedenheit wurde durch die mannigfaltigen Einflüsse der
Umgebungen und durch die verschiedene Mischung der Bestandtheile hervorgebracht,
ans denen der romanische Stamm erwachsen ist, als alte Daler, römische Colo-
nisten, Zigeuner, Slawen und kleinere Völkerbruchtheile. Erst in der letzten
Zeit ist der Versuch gemacht worden, Bukarest zum Brennpunkt und zur Capitale
des Nomanenthums dadurch zu machen, daß mau ein romanisches Lyceum stiftete,
das zu einer Nationaluniversttät erwachse" sollte. Bukarest, als Hauptstadt des
Landes, welches de" compactesten Theil der Ratio" enthält, als Sitz des Adels
und große Handelsstadt mit wenigstens 200,000 Einwohnern*) wäre der geeignetste



*) Die Sterb-iisdem weisen im Durchschnitte 160 Todte wöchentlich nach. Dies gäbe für
ein Jahr 8000 Todte und nach dem allgemeinen Sterbeverhältuiß von 1 : Z0 eine Bevvlkcnmg
von Zi'0,000 Seelen. Allein es muß in Abzug gebracht werden, daß die Stadt viele Spitäler
zählt, in denen Kranke vom Lande aufgenommen werden, und daß Wechselfieber und Syphilis
die Sterblichkeit das gewöhnliche Maß überschreiten lassen.

scheu Consulate eine Nachricht erhalten, die er in sein Blatt aufnahm. Der
russische Consul lud ihn vor sich, und zog ihn darüber barsch zur Rechenschaft.

Noch gäbe es eine Hoffnung für die Donaufürstenthümer, wenn man sie
auf einige Jahrzehnte von fremdem Einfluß frei halten könnte, da unter den
jüngeren Bojaren sich ein viel besserer Geist zu regen anfängt. Aber seit Er¬
findung der Solidarität der conservativen Interessen gehören Hoffnungen aufs
Eonserviren ins Reich der Träume. Glücklich jene Länder des europäischen
Südost, wo der Türke schon keine und Rußland noch keine Macht besitzt, wie Ser¬
bien und Griechenland. Eine ähnliche Stellung aller europäisch-türkischen Pro¬
vinzen wäre die einzige Lösung, die Beruhigung und gute Hoffnung für die Zu¬
kunft geben könnte, wenn Rußland nicht immer ihr unmittelbarer Nachbar bliebe.

So aber ist die Walachei ihrem Schicksal verfalle», gleichviel ob Rußland
sie diesmal behält, oder — wie mau hoffen muß — wieder herausgibt. Schon
seine Nähe tödtet.

Alle Bewohner der Länder zwischen den Karpaten, dem schwarzen, ägäischen
und mittelländischen Meere haben das Gemeinschaftliche, daß sie aus Trümmern
großer Völkerstämme zusammengesetzt sind, welche sich bis heut nicht vollständig
vereinigen und zu großen neuen Völkern, wie etwa die Engländer, die Spanier
und zum Theil die Deutschen verschmelze» konnten. Ein solch auseinanderge¬
rissener, in zahllose Trümmer zersplitterter Stamm ist der walachisch-romanische.
Obwol stärker als die magyarische Race, da er über 8 Millionen Seelen zählt,
hat er doch seit Trajan keine andere Bedeutung in der Geschichte gehabt, als zu
vegetiren. Die zersprengten Glieder haben das Bewußtsein ihrer Zusammen¬
gehörigkeit verloren, und selbst in der Neuzeit haben die vier Hauptgruppen des
Volkes, Walachen, Moldauer, stebenbürger und bnkowinaer Romanen, statt eine
Gleichheit in Schrift und Sprache anzustreben, die zwischen ihnen bestehende
Kluft durch Feststellung verschiedener Schriftarten und grammatischer Normen noch
erweitert. Die Verschiedenheit wurde durch die mannigfaltigen Einflüsse der
Umgebungen und durch die verschiedene Mischung der Bestandtheile hervorgebracht,
ans denen der romanische Stamm erwachsen ist, als alte Daler, römische Colo-
nisten, Zigeuner, Slawen und kleinere Völkerbruchtheile. Erst in der letzten
Zeit ist der Versuch gemacht worden, Bukarest zum Brennpunkt und zur Capitale
des Nomanenthums dadurch zu machen, daß mau ein romanisches Lyceum stiftete,
das zu einer Nationaluniversttät erwachse» sollte. Bukarest, als Hauptstadt des
Landes, welches de» compactesten Theil der Ratio» enthält, als Sitz des Adels
und große Handelsstadt mit wenigstens 200,000 Einwohnern*) wäre der geeignetste



*) Die Sterb-iisdem weisen im Durchschnitte 160 Todte wöchentlich nach. Dies gäbe für
ein Jahr 8000 Todte und nach dem allgemeinen Sterbeverhältuiß von 1 : Z0 eine Bevvlkcnmg
von Zi'0,000 Seelen. Allein es muß in Abzug gebracht werden, daß die Stadt viele Spitäler
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die Sterblichkeit das gewöhnliche Maß überschreiten lassen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/335>, abgerufen am 06.02.2025.