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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Soviel kann man der walachischen Regierung nachsagen, es ist viel Böses im
Verhältniß zu andern Ländern unterlassen, nichts Gutes gehindert, manches sogar
befördert und einiges wenige gethan worden.

Wenn die in jeder Richtung gestattete freie Bewegung, wenn die reichen
Hilfsquellen des Landes unbenutzt blieben --so liegt die Schuld fast ausschließlich
an der Bevölkerung. Der Bojar, der Pope, der Bauer und der Zigeuner wett¬
eifern miteinander an Trägheit, Unwissenheit, Aberglauben und Ausschweifung.
Einem Wiener Arzte, der eine Anstellung in einem walachischen Dorfe an der
Donau bei der Quarantäne erhalten hatte, trug in den ersten Monaten, die
nach der Göttin von Paphos benannte traurige Krankheit -- in anderen
Krankheiten wird selten ein Arzt befragt -- 30 Dukaten ein. Die ehelichen
Verbindungen sind sehr lax; Ehescheidungen an der Tagesordnung. Ich wohnte
einst einem Proceß bei, wo ein Ehemann seine Frau verklagte, sie komme erst
gegen Morgen nach Hause. "Seit wie lauge geht das so?" frug der
Richter. "Seit unserer Verheirathung." Und warum haben Sie nicht früher
geklagt?" Früher pflegte sie mir Geld zu geben, jetzt aber kauft sie sich lauter
Duhassen (türkische Leckereien). -- Und das ist keine Ausnahme.

Der große Mangel an Moralität und Charakter ist Schuld daran, daß
die an 2000 Geviertmeilen umfassenden Donaufürstenthümer selbst so ganz und gar
keine Stimme in dem russisch-türkischen Conflicte haben. Der Bojar hat ebenso¬
wenig Freiheitsgefühl als der Pope und Bauer. Jener kümmert sich nur um
sein Privatinteresse, den Tschibuk, die Karten, Parteiumtriebe und Intriguen.
Der Pope ist russisch gesinnt, weil es seinem Stolze mehr schmeichelt, einer gro¬
ßen Kirche anzugehören, und der Bauer läßt sich vom Popen lenken. Die
Hoffnung auf Erhaltung einiger Selbstständigkeit ist im Lande längst aufgegeben.
"Warum verwendet ihr den größten Theil des Landeseinkommens auf Verschö-
nerung der Hauptstadt?" frug ich einen Bojaren. "Die Hauptstadt bleibt immer
unser; sür das Land mögen die sorgen, die nach uns kommen und den Nutze"
haben werden." Wenn unter den Gebildeteren der Hauptstadt, Kaufleuten, Gelehrten^
Beamten, den verständigeren Bürgern von einer Parteinahme die Rede sein kann^
so ist es sür die Türkei, gegen Rußland. Bezeichnend dafür ist das Urtheil des
Bukarester Publicums über die Kriegstüchtigkeit des russischen und türkischen Sol¬
daten, welches entschieden günstig für den letztern ist. Er ist bei weitem beweg¬
licher nud flinker als der russische Soldat. Man hat im Jahre -I8i9 Gelegen¬
heit gehabt Vergleiche anzustellen; der türkische Soldat ladet fünfmal, während
der Russe kaum mit drei Ladungen fertig wird.

Der russische Generalconsul, Staatsrath Chalcinski, ein jäher, aufbrausen¬
der, herrischer Mann, war längst factischer Gebieter im Lande, ehe noch Fürst
Menschikoff nach Konstantinopel gekommen war. Gegen Ende vorigen Jahres hatte
der Redacteur der deutschen Bukarestcr Zeitung, Hr. Schweder, in einem denk-


Soviel kann man der walachischen Regierung nachsagen, es ist viel Böses im
Verhältniß zu andern Ländern unterlassen, nichts Gutes gehindert, manches sogar
befördert und einiges wenige gethan worden.

Wenn die in jeder Richtung gestattete freie Bewegung, wenn die reichen
Hilfsquellen des Landes unbenutzt blieben —so liegt die Schuld fast ausschließlich
an der Bevölkerung. Der Bojar, der Pope, der Bauer und der Zigeuner wett¬
eifern miteinander an Trägheit, Unwissenheit, Aberglauben und Ausschweifung.
Einem Wiener Arzte, der eine Anstellung in einem walachischen Dorfe an der
Donau bei der Quarantäne erhalten hatte, trug in den ersten Monaten, die
nach der Göttin von Paphos benannte traurige Krankheit — in anderen
Krankheiten wird selten ein Arzt befragt — 30 Dukaten ein. Die ehelichen
Verbindungen sind sehr lax; Ehescheidungen an der Tagesordnung. Ich wohnte
einst einem Proceß bei, wo ein Ehemann seine Frau verklagte, sie komme erst
gegen Morgen nach Hause. „Seit wie lauge geht das so?" frug der
Richter. „Seit unserer Verheirathung." Und warum haben Sie nicht früher
geklagt?" Früher pflegte sie mir Geld zu geben, jetzt aber kauft sie sich lauter
Duhassen (türkische Leckereien). — Und das ist keine Ausnahme.

Der große Mangel an Moralität und Charakter ist Schuld daran, daß
die an 2000 Geviertmeilen umfassenden Donaufürstenthümer selbst so ganz und gar
keine Stimme in dem russisch-türkischen Conflicte haben. Der Bojar hat ebenso¬
wenig Freiheitsgefühl als der Pope und Bauer. Jener kümmert sich nur um
sein Privatinteresse, den Tschibuk, die Karten, Parteiumtriebe und Intriguen.
Der Pope ist russisch gesinnt, weil es seinem Stolze mehr schmeichelt, einer gro¬
ßen Kirche anzugehören, und der Bauer läßt sich vom Popen lenken. Die
Hoffnung auf Erhaltung einiger Selbstständigkeit ist im Lande längst aufgegeben.
„Warum verwendet ihr den größten Theil des Landeseinkommens auf Verschö-
nerung der Hauptstadt?" frug ich einen Bojaren. „Die Hauptstadt bleibt immer
unser; sür das Land mögen die sorgen, die nach uns kommen und den Nutze»
haben werden." Wenn unter den Gebildeteren der Hauptstadt, Kaufleuten, Gelehrten^
Beamten, den verständigeren Bürgern von einer Parteinahme die Rede sein kann^
so ist es sür die Türkei, gegen Rußland. Bezeichnend dafür ist das Urtheil des
Bukarester Publicums über die Kriegstüchtigkeit des russischen und türkischen Sol¬
daten, welches entschieden günstig für den letztern ist. Er ist bei weitem beweg¬
licher nud flinker als der russische Soldat. Man hat im Jahre -I8i9 Gelegen¬
heit gehabt Vergleiche anzustellen; der türkische Soldat ladet fünfmal, während
der Russe kaum mit drei Ladungen fertig wird.

Der russische Generalconsul, Staatsrath Chalcinski, ein jäher, aufbrausen¬
der, herrischer Mann, war längst factischer Gebieter im Lande, ehe noch Fürst
Menschikoff nach Konstantinopel gekommen war. Gegen Ende vorigen Jahres hatte
der Redacteur der deutschen Bukarestcr Zeitung, Hr. Schweder, in einem denk-


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[0334] Soviel kann man der walachischen Regierung nachsagen, es ist viel Böses im Verhältniß zu andern Ländern unterlassen, nichts Gutes gehindert, manches sogar befördert und einiges wenige gethan worden. Wenn die in jeder Richtung gestattete freie Bewegung, wenn die reichen Hilfsquellen des Landes unbenutzt blieben —so liegt die Schuld fast ausschließlich an der Bevölkerung. Der Bojar, der Pope, der Bauer und der Zigeuner wett¬ eifern miteinander an Trägheit, Unwissenheit, Aberglauben und Ausschweifung. Einem Wiener Arzte, der eine Anstellung in einem walachischen Dorfe an der Donau bei der Quarantäne erhalten hatte, trug in den ersten Monaten, die nach der Göttin von Paphos benannte traurige Krankheit — in anderen Krankheiten wird selten ein Arzt befragt — 30 Dukaten ein. Die ehelichen Verbindungen sind sehr lax; Ehescheidungen an der Tagesordnung. Ich wohnte einst einem Proceß bei, wo ein Ehemann seine Frau verklagte, sie komme erst gegen Morgen nach Hause. „Seit wie lauge geht das so?" frug der Richter. „Seit unserer Verheirathung." Und warum haben Sie nicht früher geklagt?" Früher pflegte sie mir Geld zu geben, jetzt aber kauft sie sich lauter Duhassen (türkische Leckereien). — Und das ist keine Ausnahme. Der große Mangel an Moralität und Charakter ist Schuld daran, daß die an 2000 Geviertmeilen umfassenden Donaufürstenthümer selbst so ganz und gar keine Stimme in dem russisch-türkischen Conflicte haben. Der Bojar hat ebenso¬ wenig Freiheitsgefühl als der Pope und Bauer. Jener kümmert sich nur um sein Privatinteresse, den Tschibuk, die Karten, Parteiumtriebe und Intriguen. Der Pope ist russisch gesinnt, weil es seinem Stolze mehr schmeichelt, einer gro¬ ßen Kirche anzugehören, und der Bauer läßt sich vom Popen lenken. Die Hoffnung auf Erhaltung einiger Selbstständigkeit ist im Lande längst aufgegeben. „Warum verwendet ihr den größten Theil des Landeseinkommens auf Verschö- nerung der Hauptstadt?" frug ich einen Bojaren. „Die Hauptstadt bleibt immer unser; sür das Land mögen die sorgen, die nach uns kommen und den Nutze» haben werden." Wenn unter den Gebildeteren der Hauptstadt, Kaufleuten, Gelehrten^ Beamten, den verständigeren Bürgern von einer Parteinahme die Rede sein kann^ so ist es sür die Türkei, gegen Rußland. Bezeichnend dafür ist das Urtheil des Bukarester Publicums über die Kriegstüchtigkeit des russischen und türkischen Sol¬ daten, welches entschieden günstig für den letztern ist. Er ist bei weitem beweg¬ licher nud flinker als der russische Soldat. Man hat im Jahre -I8i9 Gelegen¬ heit gehabt Vergleiche anzustellen; der türkische Soldat ladet fünfmal, während der Russe kaum mit drei Ladungen fertig wird. Der russische Generalconsul, Staatsrath Chalcinski, ein jäher, aufbrausen¬ der, herrischer Mann, war längst factischer Gebieter im Lande, ehe noch Fürst Menschikoff nach Konstantinopel gekommen war. Gegen Ende vorigen Jahres hatte der Redacteur der deutschen Bukarestcr Zeitung, Hr. Schweder, in einem denk-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/334>, abgerufen am 06.02.2025.