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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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mäßige und energische Politik ihr Ansehn bei den Südslawen und in der Türkei
zu steigern, sich bei den Serbenstämmcn in Respect zu setzen, und der Pforte
zu gleicher Zeit zu imponiren und Zutrauen einzuflößen, so ist das ein großer und
sehr ehrenwerther Erfolg, der größten Anerkennung würdig. Und man darf
sich in dieser Anerkennung nicht irren lassen, wenn hier und da die würdige
Consequenz dnrch einen gelegentlichen Einfall, eine kleine Lanne, auf kurze Zeit
unterbrochen würde. Dergleichen kommt überall vor.

Für das gegenwärtige Oestreich wäre der Besitz der Vorländer Dalma-
tiens, die Herrschaft über Serbien, Bosnien, die Herzegowina und vielleicht Al¬
banien der Anfang einer Reihe von großen Berlegenheiten. Wenn es noch
möglich ist, Serbien bei seiner freien Cvmmunalverfassnng und verhältnißmäßig
guten Organisation mit geringen Kosten zu verwalten, so würde dagegen das dc-
pravirte Bosnien und noch mehr Albanien ans viele Jahre wahrscheinlich mehr Ad¬
ministrationskosten verursachen, als es einbrächte. Schon jetzt leidet Oestreich an
einem großen Mangel zuverlässiger Beamten und dieser Mangel erscheint häufig
seinen reformirenden Staatsmännern als das größte Leiden. Für Bosnien aber
müßte alles neu geschaffen werden, Communen, Gesetze, Behörden, Abgaben,
denn dies merkwürdige Land besitzt nichts von alle dem, was nach europäischem
Maßstab brauchbar ist. Da nun Oestreich jetzt alle Hände voll zu thun hat, in
seinem Terrain einen autokratischen Beamtenstaat man zu schaffen, so müßte es
mit Recht in dem neuen Erwerb zunächst eine Zersplitterung seiner Kräfte, eine
Quelle für Beamtencorruption und Verwilderung fürchten, die ihm grade jetzt
verderblich sein könnte. -- Auf der andern Seite ist es für Oestreich unmöglich,
diese Länder in der Hand einer fremden Negierung zu sehen, welche Kraft und
Lust hat, sich auszubreiten. Denn sie werden nur durch den schmalen Küstenstreif
des östreichischen Dalmatiens vom Meere getrennt, von dem ihre ganze Entwick¬
lung, ihre schnelle Civilisation abhängt. Sie berühren an einzelnen Punkten fast
die See, und ein einziger Schritt macht sie zu Theilhabern des adriatischen Meers,
zu Nachbarn Italiens-, zu Rivalen Oestreichs in seiner Lieblingspolitik. Am we¬
nigsten aber darf Oestreich den Russen die Herrschaft darüber gestatten, denn die¬
ser griechische Staat würde, abgesehen von seinem furchtbaren Wachsthum über
Europa, auch auflösend auf die griechisch-slawischen Theile des gegenwärtigen
östreichischen Grenzgebietes wirken.

So ist die natürliche und vernünftige Politik Oestreichs: die gegenwärtige
Herrschaft der Türken über die Südslawen zu erhalten, und dem Überhandneh¬
men russischen Einflusses auf die Serbeustämme dadurch entgegenzuarbeiten, daß
es sich selbst den Serben von Zeit zu Zeit als mächtig, gebietend, einflußreich
zeigt, und dadurch die in irgend einer Zukunft vielleicht nöthige Occupation dieser
Länder vorbereitet.

Es läßt sich nicht leugnen, daß die östreichische Diplomatie für diese Zwecke


mäßige und energische Politik ihr Ansehn bei den Südslawen und in der Türkei
zu steigern, sich bei den Serbenstämmcn in Respect zu setzen, und der Pforte
zu gleicher Zeit zu imponiren und Zutrauen einzuflößen, so ist das ein großer und
sehr ehrenwerther Erfolg, der größten Anerkennung würdig. Und man darf
sich in dieser Anerkennung nicht irren lassen, wenn hier und da die würdige
Consequenz dnrch einen gelegentlichen Einfall, eine kleine Lanne, auf kurze Zeit
unterbrochen würde. Dergleichen kommt überall vor.

Für das gegenwärtige Oestreich wäre der Besitz der Vorländer Dalma-
tiens, die Herrschaft über Serbien, Bosnien, die Herzegowina und vielleicht Al¬
banien der Anfang einer Reihe von großen Berlegenheiten. Wenn es noch
möglich ist, Serbien bei seiner freien Cvmmunalverfassnng und verhältnißmäßig
guten Organisation mit geringen Kosten zu verwalten, so würde dagegen das dc-
pravirte Bosnien und noch mehr Albanien ans viele Jahre wahrscheinlich mehr Ad¬
ministrationskosten verursachen, als es einbrächte. Schon jetzt leidet Oestreich an
einem großen Mangel zuverlässiger Beamten und dieser Mangel erscheint häufig
seinen reformirenden Staatsmännern als das größte Leiden. Für Bosnien aber
müßte alles neu geschaffen werden, Communen, Gesetze, Behörden, Abgaben,
denn dies merkwürdige Land besitzt nichts von alle dem, was nach europäischem
Maßstab brauchbar ist. Da nun Oestreich jetzt alle Hände voll zu thun hat, in
seinem Terrain einen autokratischen Beamtenstaat man zu schaffen, so müßte es
mit Recht in dem neuen Erwerb zunächst eine Zersplitterung seiner Kräfte, eine
Quelle für Beamtencorruption und Verwilderung fürchten, die ihm grade jetzt
verderblich sein könnte. — Auf der andern Seite ist es für Oestreich unmöglich,
diese Länder in der Hand einer fremden Negierung zu sehen, welche Kraft und
Lust hat, sich auszubreiten. Denn sie werden nur durch den schmalen Küstenstreif
des östreichischen Dalmatiens vom Meere getrennt, von dem ihre ganze Entwick¬
lung, ihre schnelle Civilisation abhängt. Sie berühren an einzelnen Punkten fast
die See, und ein einziger Schritt macht sie zu Theilhabern des adriatischen Meers,
zu Nachbarn Italiens-, zu Rivalen Oestreichs in seiner Lieblingspolitik. Am we¬
nigsten aber darf Oestreich den Russen die Herrschaft darüber gestatten, denn die¬
ser griechische Staat würde, abgesehen von seinem furchtbaren Wachsthum über
Europa, auch auflösend auf die griechisch-slawischen Theile des gegenwärtigen
östreichischen Grenzgebietes wirken.

So ist die natürliche und vernünftige Politik Oestreichs: die gegenwärtige
Herrschaft der Türken über die Südslawen zu erhalten, und dem Überhandneh¬
men russischen Einflusses auf die Serbeustämme dadurch entgegenzuarbeiten, daß
es sich selbst den Serben von Zeit zu Zeit als mächtig, gebietend, einflußreich
zeigt, und dadurch die in irgend einer Zukunft vielleicht nöthige Occupation dieser
Länder vorbereitet.

Es läßt sich nicht leugnen, daß die östreichische Diplomatie für diese Zwecke


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/310>, abgerufen am 06.02.2025.