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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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durch eine ausgedehnte, gut organisirte Polizei bis in das Familienleben hinein über¬
wachen läßt, sondern dadurch, daß sie sich die Möglichkeit offen läßt, mit den Völ¬
kern das Unvermeidliche zu vereinbaren, und an die Stelle polizeilicher Bevormun¬
dung allmälig, mo dies irgend möglich, eine freiere Bewegung der Korporationen
und Gemeinden treten läßt, ES ist wahr, daß ein solcher Fortschritt in diesem
Staate die allergrößten Schwierigkeiten hat, weil jedes Selbstregiment der Völker
auch in den kleinsten Kreisen antikaiserlich zu werden droht, denn der Patriotis¬
mus der meisten Völker ist gegenwärtig immer noch in erster Linie ein provin¬
zieller, und Liebe und Verständniß für den Staat der Habsburger sind noch durch¬
aus uicht in den Herzen der Völker herausgebildet. Auch deshalb erscheint es
der östreichischen Regierung als ungereimte Forderung, daß sie den Stämmen, welche
sie durch Diplomatie oder Waffengewalt sich vou neuem unterworfen hat, irgend¬
welche Selbstständigkeit geben soll. So wirken Haß und Verachtung gegen die
besiegten Revolutionäre und deren politische Tendenzen und Furcht vor Re¬
volutionen selbst zusammen, die Negierung des ' Staates in ihrem Wege,
und die Gefahren der Zukunft unvermindert zu erhalten. Diese Gefahren werden
sich anch durch die großen und weisen Finauzmaßrcgelu der Regierung, die Verän¬
derung der Zollgesetzgebung und die Reduction der Armee uicht beseitigen lassen.
Es ist sicher, daß die Annäherung an den Zollverein der östreichischen Industrie
in vielen Branchen einen jetzt ungeahnten Aufschwung geben wird, aber das schnelle
Neichwerden einer Anzahl vou Einzelnen ist für den Staat noch kein großer Vor¬
theil. Im ganzen betrachtet wird es der Intelligenz und Productivität des Lan¬
des trotz allen natürlichen Hilfsgnellen des Bodens, der Lage n. f. w., schwer
werden, die Concurrenz mit dem Zollverein auszuhalten. Denn der Steuerdruck,
unter welchem das Land producirt, ist un'verhältnißmäßig stark. Wenn der Erwer¬
bende von seiner Einnahme 2V, ja über 30 pCt. sür Staats- und Communal-
zwecke abgeben muß, wird es ihm auf die Länge unmöglich, bei dem billigsten
Einkauf und der besten Handelslage mit Energie und Erfolg, zu arbeiten. Selbst
die Reduction der Armee, so großartig und geschickt dieser Entschluß kam, wird
den gehofften Erfolg, Ausgabe und Einnahme in Einklang zu bringen, nicht
durchsetze". Der Staat hat in den letzten Friedensjahren ein jährliches Deficit
vou wenigstens 40 Millionen Gulden gehabt, er scheint in diesem Augenblick wieder
in der Lage, diese Summe durch eine Anleihe decke" zu müssen. Eine Reduction
des Heeres um 100,000 Ma"u kau" allerdings gegen W, vielleicht 30 M. Gulden
ersparen. Aber t'el" Staat i" Europa hat weniger Garantie, daß er die Früchte
dieser Reduction auch nur ans ein Jahr genießen wird. ES ist die Aufgabe
des jetzigen Oestreichs, stets geharnischt und in Waffen dazustehn. Und solange
das gegenwärtige System dauert, wird sich das schwerlich ändern.

Wenn es bei diesen großen innern Schwierigkeiten, mit denen die östreichische
Negierung zu kämpfen hat, derselben doch gelungen ist, durch eine zu gleicher Zeit


durch eine ausgedehnte, gut organisirte Polizei bis in das Familienleben hinein über¬
wachen läßt, sondern dadurch, daß sie sich die Möglichkeit offen läßt, mit den Völ¬
kern das Unvermeidliche zu vereinbaren, und an die Stelle polizeilicher Bevormun¬
dung allmälig, mo dies irgend möglich, eine freiere Bewegung der Korporationen
und Gemeinden treten läßt, ES ist wahr, daß ein solcher Fortschritt in diesem
Staate die allergrößten Schwierigkeiten hat, weil jedes Selbstregiment der Völker
auch in den kleinsten Kreisen antikaiserlich zu werden droht, denn der Patriotis¬
mus der meisten Völker ist gegenwärtig immer noch in erster Linie ein provin¬
zieller, und Liebe und Verständniß für den Staat der Habsburger sind noch durch¬
aus uicht in den Herzen der Völker herausgebildet. Auch deshalb erscheint es
der östreichischen Regierung als ungereimte Forderung, daß sie den Stämmen, welche
sie durch Diplomatie oder Waffengewalt sich vou neuem unterworfen hat, irgend¬
welche Selbstständigkeit geben soll. So wirken Haß und Verachtung gegen die
besiegten Revolutionäre und deren politische Tendenzen und Furcht vor Re¬
volutionen selbst zusammen, die Negierung des ' Staates in ihrem Wege,
und die Gefahren der Zukunft unvermindert zu erhalten. Diese Gefahren werden
sich anch durch die großen und weisen Finauzmaßrcgelu der Regierung, die Verän¬
derung der Zollgesetzgebung und die Reduction der Armee uicht beseitigen lassen.
Es ist sicher, daß die Annäherung an den Zollverein der östreichischen Industrie
in vielen Branchen einen jetzt ungeahnten Aufschwung geben wird, aber das schnelle
Neichwerden einer Anzahl vou Einzelnen ist für den Staat noch kein großer Vor¬
theil. Im ganzen betrachtet wird es der Intelligenz und Productivität des Lan¬
des trotz allen natürlichen Hilfsgnellen des Bodens, der Lage n. f. w., schwer
werden, die Concurrenz mit dem Zollverein auszuhalten. Denn der Steuerdruck,
unter welchem das Land producirt, ist un'verhältnißmäßig stark. Wenn der Erwer¬
bende von seiner Einnahme 2V, ja über 30 pCt. sür Staats- und Communal-
zwecke abgeben muß, wird es ihm auf die Länge unmöglich, bei dem billigsten
Einkauf und der besten Handelslage mit Energie und Erfolg, zu arbeiten. Selbst
die Reduction der Armee, so großartig und geschickt dieser Entschluß kam, wird
den gehofften Erfolg, Ausgabe und Einnahme in Einklang zu bringen, nicht
durchsetze». Der Staat hat in den letzten Friedensjahren ein jährliches Deficit
vou wenigstens 40 Millionen Gulden gehabt, er scheint in diesem Augenblick wieder
in der Lage, diese Summe durch eine Anleihe decke» zu müssen. Eine Reduction
des Heeres um 100,000 Ma»u kau» allerdings gegen W, vielleicht 30 M. Gulden
ersparen. Aber t'el» Staat i» Europa hat weniger Garantie, daß er die Früchte
dieser Reduction auch nur ans ein Jahr genießen wird. ES ist die Aufgabe
des jetzigen Oestreichs, stets geharnischt und in Waffen dazustehn. Und solange
das gegenwärtige System dauert, wird sich das schwerlich ändern.

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Negierung zu kämpfen hat, derselben doch gelungen ist, durch eine zu gleicher Zeit


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[0309] durch eine ausgedehnte, gut organisirte Polizei bis in das Familienleben hinein über¬ wachen läßt, sondern dadurch, daß sie sich die Möglichkeit offen läßt, mit den Völ¬ kern das Unvermeidliche zu vereinbaren, und an die Stelle polizeilicher Bevormun¬ dung allmälig, mo dies irgend möglich, eine freiere Bewegung der Korporationen und Gemeinden treten läßt, ES ist wahr, daß ein solcher Fortschritt in diesem Staate die allergrößten Schwierigkeiten hat, weil jedes Selbstregiment der Völker auch in den kleinsten Kreisen antikaiserlich zu werden droht, denn der Patriotis¬ mus der meisten Völker ist gegenwärtig immer noch in erster Linie ein provin¬ zieller, und Liebe und Verständniß für den Staat der Habsburger sind noch durch¬ aus uicht in den Herzen der Völker herausgebildet. Auch deshalb erscheint es der östreichischen Regierung als ungereimte Forderung, daß sie den Stämmen, welche sie durch Diplomatie oder Waffengewalt sich vou neuem unterworfen hat, irgend¬ welche Selbstständigkeit geben soll. So wirken Haß und Verachtung gegen die besiegten Revolutionäre und deren politische Tendenzen und Furcht vor Re¬ volutionen selbst zusammen, die Negierung des ' Staates in ihrem Wege, und die Gefahren der Zukunft unvermindert zu erhalten. Diese Gefahren werden sich anch durch die großen und weisen Finauzmaßrcgelu der Regierung, die Verän¬ derung der Zollgesetzgebung und die Reduction der Armee uicht beseitigen lassen. Es ist sicher, daß die Annäherung an den Zollverein der östreichischen Industrie in vielen Branchen einen jetzt ungeahnten Aufschwung geben wird, aber das schnelle Neichwerden einer Anzahl vou Einzelnen ist für den Staat noch kein großer Vor¬ theil. Im ganzen betrachtet wird es der Intelligenz und Productivität des Lan¬ des trotz allen natürlichen Hilfsgnellen des Bodens, der Lage n. f. w., schwer werden, die Concurrenz mit dem Zollverein auszuhalten. Denn der Steuerdruck, unter welchem das Land producirt, ist un'verhältnißmäßig stark. Wenn der Erwer¬ bende von seiner Einnahme 2V, ja über 30 pCt. sür Staats- und Communal- zwecke abgeben muß, wird es ihm auf die Länge unmöglich, bei dem billigsten Einkauf und der besten Handelslage mit Energie und Erfolg, zu arbeiten. Selbst die Reduction der Armee, so großartig und geschickt dieser Entschluß kam, wird den gehofften Erfolg, Ausgabe und Einnahme in Einklang zu bringen, nicht durchsetze». Der Staat hat in den letzten Friedensjahren ein jährliches Deficit vou wenigstens 40 Millionen Gulden gehabt, er scheint in diesem Augenblick wieder in der Lage, diese Summe durch eine Anleihe decke» zu müssen. Eine Reduction des Heeres um 100,000 Ma»u kau» allerdings gegen W, vielleicht 30 M. Gulden ersparen. Aber t'el» Staat i» Europa hat weniger Garantie, daß er die Früchte dieser Reduction auch nur ans ein Jahr genießen wird. ES ist die Aufgabe des jetzigen Oestreichs, stets geharnischt und in Waffen dazustehn. Und solange das gegenwärtige System dauert, wird sich das schwerlich ändern. Wenn es bei diesen großen innern Schwierigkeiten, mit denen die östreichische Negierung zu kämpfen hat, derselben doch gelungen ist, durch eine zu gleicher Zeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/309>, abgerufen am 06.02.2025.