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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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ist nicht mehr durch das Hervorheben Einzelner ans der Masse zu befriedigen.
Auch für Oestreich wird der Tag kommen, wo Reichthum und praktische Intelli¬
genz von unten heraus gegen die Regierung arbeiten werde", und so unwahr¬
scheinlich grade jetzt dem Oestreicher eine solche Annahme erscheinen mag, der
Tag ist nicht so fern, daß eine Regierung das Recht hätte, ihn als eine Even¬
tualität ungewisser Zukunft zu betrachten. Wie jede radicale That ungeahnte
Folgen nach sich zieht, so auch die reformatorische Thätigkeit der Regierung.
Sie hat mit einem Schlag die Eigentumsverhältnisse von vielen Millionen um¬
geändert, hat sie aus dem alten Gleise des gewohnten Lebens herausgedrängt,
und hat ihnen den Zwang aufgelegt, eine neue energische Thätigkeit zu entwickeln,
das alles wird seine Folgen auf den Charakter, die politischen Ansichten der
Massen still, aber mit unwiderstehlicher Kraft ausüben. Die Regierung ist im
Irrthum, wenn sie in ihren Verhältnissen ans Dank der Völker rechnet. Die
großen Maßregeln, durch welche die Einzelnen zu selbstständiger Kraft gekommen
sind, werden sehr bald von der ganzen Nation als etwas sich von selbst Verste¬
hendes, Nothwendiges betrachtet werden, n"d mir die Erinnerung wird bleiben,
daß die Regierung diese Reformen in peinlichen Krisen, im Drange der Begeben¬
heiten, nicht um das Volk zu befreie", sondern um sich selbst zu erhalte", gegeben
hat. U"d doch ist es eine merkwürdige Thatsache, daß anch die verständigsten
und kräftigsten unter den östreichischen Staatsmänner", selbst Bach, diese Gefahr
für sich und den Staat nicht sehen oder viel zu gering anschlagen. Weil die ge¬
genwärtige Opposition in Oestreich, wo sie sich etwa uoch zeigt, beschränkt, schwach
und unfähig erscheint, sind sie geneigt, ihr Kraft und Berechtigung anch für die
Zukunft abzusprechen, und weil gegenwärtig aus dem Bürger- und Bauernstand
so zahlreiche Klänge gemüthlicher Loyalität und frommes Zutrauens in ihr Ohr
tönen, sind sie in der Gefahr, auf eine vollständige und dauerhafte Ergebenheit
der Massen zu vertraue". Es ist dies el"e verba"g"ißvolle Folge ihres Systems.
Sie werden mit Zwang und Kraft fortrcgicren, vielleicht noch viele gute Insti¬
tutionen i"S Leben rufen, sicher aber für ihre Principien ein Beamte"- und Svl-
dateuheer gebrauchen, welches eine vernünftige Balance der Einnahmen und Aus¬
gaben im Staatshaushalte unmöglich macht, sie werden dadurch die wohlhabender,
strebsamer und eigenwilliger gewordene Bevölkerung fortwährend leiten, reize",
endlich aufregen, und die Augriffe der Opposition werden wahrscheinlich zuerst bei
dem wundesten Fleck des Staates, seinen Finanzen, sichtbar werden und von da
alle übrige Thätigkeit der Negierung erfassen.

Eine vorsichtige Regierung müßte solche Erscheinungen als unvermeidlich betrach¬
ten und ihre Maßregeln treffen, die Herrschaft über dieselbe" zu behalten, uicht
durch ein schlagfertiges Heer, uicht dadurch, daß sie dem Unzufriedenen die Mög¬
lichkeit abschneidet, sich in der Presse zu äußern und das Feld parlamentarischer
Thätigkeit verschlossen hält, auch nicht dadurch, daß sie die einzelnen Lebensäußerungen


ist nicht mehr durch das Hervorheben Einzelner ans der Masse zu befriedigen.
Auch für Oestreich wird der Tag kommen, wo Reichthum und praktische Intelli¬
genz von unten heraus gegen die Regierung arbeiten werde», und so unwahr¬
scheinlich grade jetzt dem Oestreicher eine solche Annahme erscheinen mag, der
Tag ist nicht so fern, daß eine Regierung das Recht hätte, ihn als eine Even¬
tualität ungewisser Zukunft zu betrachten. Wie jede radicale That ungeahnte
Folgen nach sich zieht, so auch die reformatorische Thätigkeit der Regierung.
Sie hat mit einem Schlag die Eigentumsverhältnisse von vielen Millionen um¬
geändert, hat sie aus dem alten Gleise des gewohnten Lebens herausgedrängt,
und hat ihnen den Zwang aufgelegt, eine neue energische Thätigkeit zu entwickeln,
das alles wird seine Folgen auf den Charakter, die politischen Ansichten der
Massen still, aber mit unwiderstehlicher Kraft ausüben. Die Regierung ist im
Irrthum, wenn sie in ihren Verhältnissen ans Dank der Völker rechnet. Die
großen Maßregeln, durch welche die Einzelnen zu selbstständiger Kraft gekommen
sind, werden sehr bald von der ganzen Nation als etwas sich von selbst Verste¬
hendes, Nothwendiges betrachtet werden, n»d mir die Erinnerung wird bleiben,
daß die Regierung diese Reformen in peinlichen Krisen, im Drange der Begeben¬
heiten, nicht um das Volk zu befreie», sondern um sich selbst zu erhalte», gegeben
hat. U»d doch ist es eine merkwürdige Thatsache, daß anch die verständigsten
und kräftigsten unter den östreichischen Staatsmänner», selbst Bach, diese Gefahr
für sich und den Staat nicht sehen oder viel zu gering anschlagen. Weil die ge¬
genwärtige Opposition in Oestreich, wo sie sich etwa uoch zeigt, beschränkt, schwach
und unfähig erscheint, sind sie geneigt, ihr Kraft und Berechtigung anch für die
Zukunft abzusprechen, und weil gegenwärtig aus dem Bürger- und Bauernstand
so zahlreiche Klänge gemüthlicher Loyalität und frommes Zutrauens in ihr Ohr
tönen, sind sie in der Gefahr, auf eine vollständige und dauerhafte Ergebenheit
der Massen zu vertraue». Es ist dies el»e verba»g»ißvolle Folge ihres Systems.
Sie werden mit Zwang und Kraft fortrcgicren, vielleicht noch viele gute Insti¬
tutionen i»S Leben rufen, sicher aber für ihre Principien ein Beamte»- und Svl-
dateuheer gebrauchen, welches eine vernünftige Balance der Einnahmen und Aus¬
gaben im Staatshaushalte unmöglich macht, sie werden dadurch die wohlhabender,
strebsamer und eigenwilliger gewordene Bevölkerung fortwährend leiten, reize»,
endlich aufregen, und die Augriffe der Opposition werden wahrscheinlich zuerst bei
dem wundesten Fleck des Staates, seinen Finanzen, sichtbar werden und von da
alle übrige Thätigkeit der Negierung erfassen.

Eine vorsichtige Regierung müßte solche Erscheinungen als unvermeidlich betrach¬
ten und ihre Maßregeln treffen, die Herrschaft über dieselbe» zu behalten, uicht
durch ein schlagfertiges Heer, uicht dadurch, daß sie dem Unzufriedenen die Mög¬
lichkeit abschneidet, sich in der Presse zu äußern und das Feld parlamentarischer
Thätigkeit verschlossen hält, auch nicht dadurch, daß sie die einzelnen Lebensäußerungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/308>, abgerufen am 06.02.2025.