Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.etzt ist diese Ansicht durch die Praxis nicht widerlegt. Es ist wahr, sehr nöthige, 38"-
etzt ist diese Ansicht durch die Praxis nicht widerlegt. Es ist wahr, sehr nöthige, 38"-
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97012"/> <p xml:id="ID_916" prev="#ID_915" next="#ID_917"> etzt ist diese Ansicht durch die Praxis nicht widerlegt. Es ist wahr, sehr nöthige,<lb/> durch viele Jahrzehnte versäumte Verbesserungen sind durch die Energie eines<lb/> Einzelnen bewirkt worden; es ist wahr, daß der Werth des Landbesitzes sich in<lb/> manchen Gegenden verdoppelt hat, daß Handel und Industrie bereits jetzt einen<lb/> unerhörten Aufschwung nehmen, aber es darf doch noch gefragt werden, ob diese<lb/> mächtigen Fortschritte, weniger schnell auf weniger radicalen Wege>erreicht, nicht bes¬<lb/> sere Garantien für die Consistenz des Staates gegeben hätten. Denn das gegen¬<lb/> wärtige System ist immerhin für Oestreich theuer erkauft, es war nur durchzusetzen<lb/> dnrch einen Ausgabeetat des Staates, welcher selbst bei der furchtbar hochgespannter<lb/> Besteuerung der Unterthanen dnrch die Einnahmen noch auf viele Jahre nicht ge¬<lb/> deckt werden kann. Es war serner nur durchzusetzen durch ein vollständiges Vernichten<lb/> alles politischen Lebens in den Völkern, durch die größte polizeiliche Bevormundung,<lb/> durch einen militärischen und BeamtcndcSpotiSmus, wie er in Deutschland seit einzelnen<lb/> Erscheinungen des vorigen Jahrhunderts nicht stattgefunden hat. Es ist gelungen,<lb/> jede laute Opposition zum Schweigen zu bringen, ja auch die Stimmung der<lb/> Gemüther ist in diesem Augenblicke wenig zu fürchten. Der Adel grollt und<lb/> haßt einzelne Persönlichkeiten, aber seine Existenz ist zum Theil mit der des Kai¬<lb/> serhauses verbunden, zum andern Theil sein Wohlstand mit den verhaßten Re¬<lb/> formen. Widerwillig, aber gehorsam muß er sich der Willenskraft des bürgerlichen<lb/> Advocaten fügen. Der großen Masse in den Völkern ist so gründlich impo-<lb/> nirt, die sichtlichen Erfolge des gegenwärtigen Systems haben soviele Privat¬<lb/> interessen begünstigt, und das weiche, leicht bewegliche Gemüth der deutschen Oestrei¬<lb/> chs ist so sehr durch die geschickt zur Schau getragene Macht des neuen Krieger¬<lb/> staates angezogen, daß die einzelnen Unzufriedenen in den dentschen, ungarischen<lb/> nud slawischen Provinzen kaum »och irgend eine politische Bedeutung haben, um-<lb/> soweniger, da ihr eigener Standpunkt häufig geringere Berechtigung hat, als die<lb/> Handlungen der Regierenden. Aber alle die gegenwärtige Loyalität und Fügsam¬<lb/> keit wird die Regierung nicht schützen vor einer Erscheinung, welche überall und<lb/> zu allen Zeiten im Leben der Völker nach bestimmten, für uns erkennbaren Ge¬<lb/> setzen hervortritt, vor der Thatsache, daß vermehrter Wohlstand und vergrößerte<lb/> Ausdehnung der einzelnen praktischen Lebenskreise die entsprechende Extensio« po¬<lb/> litischer Wünsche und idealer Interessen zur Folge haben. Jemehr Wohlstand<lb/> und Selbstgefühl die Einzelnen einer Nation in ihrem Haushalt entwickeln, desto-<lb/> mehr Antheil am Staate verlangen sie. Ein reicher Adel ist noch durch Theil¬<lb/> nahme an der Prärogativen des Hofes und der Administration zu befriedigen, und<lb/> wenn er so zahlreich ist, wie z. B. in Ungarn, so bereitet schon er der Regierung<lb/> Verlegenheit. Der reiche Bürger und Bauer aber, welcher gelernt hat, dnrch<lb/> eigne Thätigkeit, und Speculation seinen Reichthum zu vermehren, macht den<lb/> Staat im Lause der Zeit unaufhaltsam konstitutionell, deun er verlangt mit im¬<lb/> mer gesteigerter Energie einen Antheil an der Staatsregierung; und dieser Wunsch</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 38"-</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0307]
etzt ist diese Ansicht durch die Praxis nicht widerlegt. Es ist wahr, sehr nöthige,
durch viele Jahrzehnte versäumte Verbesserungen sind durch die Energie eines
Einzelnen bewirkt worden; es ist wahr, daß der Werth des Landbesitzes sich in
manchen Gegenden verdoppelt hat, daß Handel und Industrie bereits jetzt einen
unerhörten Aufschwung nehmen, aber es darf doch noch gefragt werden, ob diese
mächtigen Fortschritte, weniger schnell auf weniger radicalen Wege>erreicht, nicht bes¬
sere Garantien für die Consistenz des Staates gegeben hätten. Denn das gegen¬
wärtige System ist immerhin für Oestreich theuer erkauft, es war nur durchzusetzen
dnrch einen Ausgabeetat des Staates, welcher selbst bei der furchtbar hochgespannter
Besteuerung der Unterthanen dnrch die Einnahmen noch auf viele Jahre nicht ge¬
deckt werden kann. Es war serner nur durchzusetzen durch ein vollständiges Vernichten
alles politischen Lebens in den Völkern, durch die größte polizeiliche Bevormundung,
durch einen militärischen und BeamtcndcSpotiSmus, wie er in Deutschland seit einzelnen
Erscheinungen des vorigen Jahrhunderts nicht stattgefunden hat. Es ist gelungen,
jede laute Opposition zum Schweigen zu bringen, ja auch die Stimmung der
Gemüther ist in diesem Augenblicke wenig zu fürchten. Der Adel grollt und
haßt einzelne Persönlichkeiten, aber seine Existenz ist zum Theil mit der des Kai¬
serhauses verbunden, zum andern Theil sein Wohlstand mit den verhaßten Re¬
formen. Widerwillig, aber gehorsam muß er sich der Willenskraft des bürgerlichen
Advocaten fügen. Der großen Masse in den Völkern ist so gründlich impo-
nirt, die sichtlichen Erfolge des gegenwärtigen Systems haben soviele Privat¬
interessen begünstigt, und das weiche, leicht bewegliche Gemüth der deutschen Oestrei¬
chs ist so sehr durch die geschickt zur Schau getragene Macht des neuen Krieger¬
staates angezogen, daß die einzelnen Unzufriedenen in den dentschen, ungarischen
nud slawischen Provinzen kaum »och irgend eine politische Bedeutung haben, um-
soweniger, da ihr eigener Standpunkt häufig geringere Berechtigung hat, als die
Handlungen der Regierenden. Aber alle die gegenwärtige Loyalität und Fügsam¬
keit wird die Regierung nicht schützen vor einer Erscheinung, welche überall und
zu allen Zeiten im Leben der Völker nach bestimmten, für uns erkennbaren Ge¬
setzen hervortritt, vor der Thatsache, daß vermehrter Wohlstand und vergrößerte
Ausdehnung der einzelnen praktischen Lebenskreise die entsprechende Extensio« po¬
litischer Wünsche und idealer Interessen zur Folge haben. Jemehr Wohlstand
und Selbstgefühl die Einzelnen einer Nation in ihrem Haushalt entwickeln, desto-
mehr Antheil am Staate verlangen sie. Ein reicher Adel ist noch durch Theil¬
nahme an der Prärogativen des Hofes und der Administration zu befriedigen, und
wenn er so zahlreich ist, wie z. B. in Ungarn, so bereitet schon er der Regierung
Verlegenheit. Der reiche Bürger und Bauer aber, welcher gelernt hat, dnrch
eigne Thätigkeit, und Speculation seinen Reichthum zu vermehren, macht den
Staat im Lause der Zeit unaufhaltsam konstitutionell, deun er verlangt mit im¬
mer gesteigerter Energie einen Antheil an der Staatsregierung; und dieser Wunsch
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