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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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die christliche Volksbewegung, welche jetzt in den türkischen Slawenländern unauf¬
haltsam gegen das Leben der Pforte arbeitet, und endlich, weil die Herrschaft über diese
Berge, welche naturgemäß nutcrOestrcichS Einfluß stehen müßten, in einer nicht fernen
Zukunft die Möglichkeit gefährlicher Conflicte auch mit Nußland darbietet; denn
obgleich nicht zu zweifeln ist, daß Rußland jetzt die Montenegriner, die Herzego¬
wina und vielleicht Bosnien nud Albanien dem östreichischen Adler als Beute
überlassen würde, wenn ihm Oestreich den Besitz von Konstantinopel als Bundes¬
genosse durchsetzen Hälse, so ist doch selbst in diesem Falle die enge, mehr als
100jährige Verbindung Montenegros mit Rußland, welche durch die griechische
Religion und slawische Traditionen auch in der Zukunft erhalten werden würde,
keine augenehme Aussicht für die östreichische Politik.

Es ist gegenwärtig schwer für die östreichische Politik, mit der Sicherheit
und Consequenz zu Werke zu gehe", welche einem alten System, wie dem
russischen, möglich ist. Durch die Ereignisse der letzten Jahre ist ein neues Leben
und sind neue Grundsätze in die östreichische Politik gekommen, welche die
inneren und äußeren Verhältnisse des Staates vollständig umgestalten -- eine
Menge neuer Schwierigkeiten bereite". Es sei erlaubt, diese Veränderungen hier
kurz anzudeuten.

Seit Oestreich durch die Revolution und durch die Reformen von Alexander
Bach seine mittelalterlichen Königreiche in Provinzen eines centralisirten Beamten¬
staates verwandelt hat, sind große Fortschritte in der Entwicklung seiner natio¬
nalen Kraft möglich geworden. Die alten Provinzialstände, in denen wenig
Möglichkeit einer heilbringenden Thätigkeit vorhanden war, sind über den Hau¬
sen geworfen worden, die Privilegien des Adels sind zum größten Theile ver¬
nichtet, die Hörigkeit, der Landbewohner ist aufgehoben, Frohnen, Servitutcu und
Dienste mit radicaler Energie annllirt worden, die Eigenthumsrechte des Landes
klar gemacht, die Aviticität abgeschafft, Grund und Boden vermessen, die Gerichte
neu organisirt, die Verwaltungsbeamten und der Mechanismus der Negieruugs-
maschine gekräftigt worden, die mercantilische Abgeschlossenheit gegen das Aus¬
land, sowie die der einzelnen Provinzen gegeneinander verringert. Daneben hat
das Heer durch seine Erfolge nicht nur selbst einen höchst kriegerischen und im-
ponirenden Aplomb bekommen, sondern auch den Völkern ist dnrch die Erfolge der
östreichischen Diplomatie und Geschütze etwas gegeben worden, was sie bis dahin
wenig gekannt hatten: die Anfänge eines staatlichen Selbstgefühls.

Ob es nothwendig war, das viele Gute, welches dnrch die Bachschen Re¬
formen für Oestreich gewonnen worden ist, grade ans diesem Wege zu erreichen,
ist vielfach bezweifelt worden. Auch dies Blatt gehörte zu den Zweiflern. Viel¬
fach wurde von der Opposition die Ansicht geltend gemacht, daß eine dauerhaf¬
tere Verjüngung des Staates möglich gewesen wäre, wenn man weniger centra-
lisirt und mehr der Selbstthätigkeit der einzelnen Völker überlassen hätte. Bis


die christliche Volksbewegung, welche jetzt in den türkischen Slawenländern unauf¬
haltsam gegen das Leben der Pforte arbeitet, und endlich, weil die Herrschaft über diese
Berge, welche naturgemäß nutcrOestrcichS Einfluß stehen müßten, in einer nicht fernen
Zukunft die Möglichkeit gefährlicher Conflicte auch mit Nußland darbietet; denn
obgleich nicht zu zweifeln ist, daß Rußland jetzt die Montenegriner, die Herzego¬
wina und vielleicht Bosnien nud Albanien dem östreichischen Adler als Beute
überlassen würde, wenn ihm Oestreich den Besitz von Konstantinopel als Bundes¬
genosse durchsetzen Hälse, so ist doch selbst in diesem Falle die enge, mehr als
100jährige Verbindung Montenegros mit Rußland, welche durch die griechische
Religion und slawische Traditionen auch in der Zukunft erhalten werden würde,
keine augenehme Aussicht für die östreichische Politik.

Es ist gegenwärtig schwer für die östreichische Politik, mit der Sicherheit
und Consequenz zu Werke zu gehe», welche einem alten System, wie dem
russischen, möglich ist. Durch die Ereignisse der letzten Jahre ist ein neues Leben
und sind neue Grundsätze in die östreichische Politik gekommen, welche die
inneren und äußeren Verhältnisse des Staates vollständig umgestalten — eine
Menge neuer Schwierigkeiten bereite». Es sei erlaubt, diese Veränderungen hier
kurz anzudeuten.

Seit Oestreich durch die Revolution und durch die Reformen von Alexander
Bach seine mittelalterlichen Königreiche in Provinzen eines centralisirten Beamten¬
staates verwandelt hat, sind große Fortschritte in der Entwicklung seiner natio¬
nalen Kraft möglich geworden. Die alten Provinzialstände, in denen wenig
Möglichkeit einer heilbringenden Thätigkeit vorhanden war, sind über den Hau¬
sen geworfen worden, die Privilegien des Adels sind zum größten Theile ver¬
nichtet, die Hörigkeit, der Landbewohner ist aufgehoben, Frohnen, Servitutcu und
Dienste mit radicaler Energie annllirt worden, die Eigenthumsrechte des Landes
klar gemacht, die Aviticität abgeschafft, Grund und Boden vermessen, die Gerichte
neu organisirt, die Verwaltungsbeamten und der Mechanismus der Negieruugs-
maschine gekräftigt worden, die mercantilische Abgeschlossenheit gegen das Aus¬
land, sowie die der einzelnen Provinzen gegeneinander verringert. Daneben hat
das Heer durch seine Erfolge nicht nur selbst einen höchst kriegerischen und im-
ponirenden Aplomb bekommen, sondern auch den Völkern ist dnrch die Erfolge der
östreichischen Diplomatie und Geschütze etwas gegeben worden, was sie bis dahin
wenig gekannt hatten: die Anfänge eines staatlichen Selbstgefühls.

Ob es nothwendig war, das viele Gute, welches dnrch die Bachschen Re¬
formen für Oestreich gewonnen worden ist, grade ans diesem Wege zu erreichen,
ist vielfach bezweifelt worden. Auch dies Blatt gehörte zu den Zweiflern. Viel¬
fach wurde von der Opposition die Ansicht geltend gemacht, daß eine dauerhaf¬
tere Verjüngung des Staates möglich gewesen wäre, wenn man weniger centra-
lisirt und mehr der Selbstthätigkeit der einzelnen Völker überlassen hätte. Bis


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[0306] die christliche Volksbewegung, welche jetzt in den türkischen Slawenländern unauf¬ haltsam gegen das Leben der Pforte arbeitet, und endlich, weil die Herrschaft über diese Berge, welche naturgemäß nutcrOestrcichS Einfluß stehen müßten, in einer nicht fernen Zukunft die Möglichkeit gefährlicher Conflicte auch mit Nußland darbietet; denn obgleich nicht zu zweifeln ist, daß Rußland jetzt die Montenegriner, die Herzego¬ wina und vielleicht Bosnien nud Albanien dem östreichischen Adler als Beute überlassen würde, wenn ihm Oestreich den Besitz von Konstantinopel als Bundes¬ genosse durchsetzen Hälse, so ist doch selbst in diesem Falle die enge, mehr als 100jährige Verbindung Montenegros mit Rußland, welche durch die griechische Religion und slawische Traditionen auch in der Zukunft erhalten werden würde, keine augenehme Aussicht für die östreichische Politik. Es ist gegenwärtig schwer für die östreichische Politik, mit der Sicherheit und Consequenz zu Werke zu gehe», welche einem alten System, wie dem russischen, möglich ist. Durch die Ereignisse der letzten Jahre ist ein neues Leben und sind neue Grundsätze in die östreichische Politik gekommen, welche die inneren und äußeren Verhältnisse des Staates vollständig umgestalten — eine Menge neuer Schwierigkeiten bereite». Es sei erlaubt, diese Veränderungen hier kurz anzudeuten. Seit Oestreich durch die Revolution und durch die Reformen von Alexander Bach seine mittelalterlichen Königreiche in Provinzen eines centralisirten Beamten¬ staates verwandelt hat, sind große Fortschritte in der Entwicklung seiner natio¬ nalen Kraft möglich geworden. Die alten Provinzialstände, in denen wenig Möglichkeit einer heilbringenden Thätigkeit vorhanden war, sind über den Hau¬ sen geworfen worden, die Privilegien des Adels sind zum größten Theile ver¬ nichtet, die Hörigkeit, der Landbewohner ist aufgehoben, Frohnen, Servitutcu und Dienste mit radicaler Energie annllirt worden, die Eigenthumsrechte des Landes klar gemacht, die Aviticität abgeschafft, Grund und Boden vermessen, die Gerichte neu organisirt, die Verwaltungsbeamten und der Mechanismus der Negieruugs- maschine gekräftigt worden, die mercantilische Abgeschlossenheit gegen das Aus¬ land, sowie die der einzelnen Provinzen gegeneinander verringert. Daneben hat das Heer durch seine Erfolge nicht nur selbst einen höchst kriegerischen und im- ponirenden Aplomb bekommen, sondern auch den Völkern ist dnrch die Erfolge der östreichischen Diplomatie und Geschütze etwas gegeben worden, was sie bis dahin wenig gekannt hatten: die Anfänge eines staatlichen Selbstgefühls. Ob es nothwendig war, das viele Gute, welches dnrch die Bachschen Re¬ formen für Oestreich gewonnen worden ist, grade ans diesem Wege zu erreichen, ist vielfach bezweifelt worden. Auch dies Blatt gehörte zu den Zweiflern. Viel¬ fach wurde von der Opposition die Ansicht geltend gemacht, daß eine dauerhaf¬ tere Verjüngung des Staates möglich gewesen wäre, wenn man weniger centra- lisirt und mehr der Selbstthätigkeit der einzelnen Völker überlassen hätte. Bis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/306>, abgerufen am 06.02.2025.