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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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auf Shakespeare zu übertragen, wenn man den Accent seiner Stücke ver¬
ändert.

Der glänzendste Gebrauch, den Schiller von dem Dämonischen gemacht hat,
ist unstreitig im "Wallenstein". Bei diesem, wie bei den übrigen Stücken Schillers,
müssen wir daran erinnern, daß der Hauptvorzug des Dichters, in dem ihm in Deutsch¬
land kein andrer Dichter, in der gesammten Weltliteratur mir Shakespeare gleich¬
kommt, in der idealen poetischen Darstellung des wirklichen geschichtlichen Lebens
besteht. Aber auch in der Auffassung Wallensteins als einer dämonischen Natur
liegt eine bewundernswürdige Genialität, die leider nur dadurch etwas verkümmert
wird, daß der Dichter vou Zeit zu Zeit in seinem Streben nach allgemein
menschlicher Idealität zu sehr humanisirt und modernisirt. So kommt uns hier
von Zeit zu Zeit der Charakter Wallensteins gar zu gemüthlich vor, und die
übrigens ganz poetische Auslegung, die Max von der Sternkunde gibt, stört uns
in dem Schänder vor jener dunklen Nacht, die den Helden in sein Verhängnis;
treibt. Allerdings ist diese Macht keine äußerliche. Die Astrologie oder der
Glaube, daß selbst die Natur nichts Anderes zu thun habe, als das Geschick der
Menschen symbolisch darzustellen, ist eigentlich nur die Mystik des alle Schranken
übersteigenden Ehrgeizes, der selbst das Glück steh dienstbar zu machen wähnt,
und doch zu sehr seine unmittelbare Einwirkung empfindet, "in nicht durch die
allerroheste Symbolik einem stetigen Zusammenhang zwischen den Mächten des
Schicksals und seinem eigenen Ehrgeiz nachzustreben. Die ganze Komposition, in
der wir selber das Verhängniß von allen Seiten über Wallenstein hereinbrechen
sehen, während der sonst so planvolle, tiefschauende, seinen Umgebungen durchaus
überlegene Manu allein blind dagegen ist, und sogar in seinem Aberglauben wähnt,
der einzige klar Sehende unter lauter Thoren zu sein, ist von einer tragischen
Ironie, die kaum ihres Gleichen in der dramatischen Kunst findet.

In der "Maria Stuart" zeigt sich der Einfluß der Schicksalsidee schon in
der Wahl der Heldin. Eigentlich sollte Elisabeth die dramatische Hauptperson sein,
denn sie ist es, die handelt, die eine Schuld begeht, und die infolge dessen das Ver¬
hängniß trifft, von allen Menschen, die sie achtet, verlassen zu werden, während
Maria nur ein Schlachtopfer ist, und eigentlich nichts dazu beiträgt, ihr Schicksal
herbeizuführen oder nnr zu beschleunigen. Daß sie früher eine Schuld begangen
hat, kann an der Sache nichts ändern, den" diese Schuld hat zu ihrem nach¬
folgenden Schicksal kein rechtliches Verhältniß. Sie wird uns auch ganz im
Dunkeln gelassen; wir begreifen nicht, wie die Maria, die wir anf dem Theater
sehen, jemals eine Unthat habe begehen können, und sie begreift es eigentlich
selber nicht. Der Dichter hat, um das Verhältniß einigermaßen wiederherzustellen,
zur Idee des Katholicismus greifen müssen, daß man durch ein ungerechtes
Leiden eine andere Schuld, die damit nicht im Zusammenhang steht, büßen könne,
und er hat eben darum den Katholicismus mit einer Wärme und mit einem Farben-


auf Shakespeare zu übertragen, wenn man den Accent seiner Stücke ver¬
ändert.

Der glänzendste Gebrauch, den Schiller von dem Dämonischen gemacht hat,
ist unstreitig im „Wallenstein". Bei diesem, wie bei den übrigen Stücken Schillers,
müssen wir daran erinnern, daß der Hauptvorzug des Dichters, in dem ihm in Deutsch¬
land kein andrer Dichter, in der gesammten Weltliteratur mir Shakespeare gleich¬
kommt, in der idealen poetischen Darstellung des wirklichen geschichtlichen Lebens
besteht. Aber auch in der Auffassung Wallensteins als einer dämonischen Natur
liegt eine bewundernswürdige Genialität, die leider nur dadurch etwas verkümmert
wird, daß der Dichter vou Zeit zu Zeit in seinem Streben nach allgemein
menschlicher Idealität zu sehr humanisirt und modernisirt. So kommt uns hier
von Zeit zu Zeit der Charakter Wallensteins gar zu gemüthlich vor, und die
übrigens ganz poetische Auslegung, die Max von der Sternkunde gibt, stört uns
in dem Schänder vor jener dunklen Nacht, die den Helden in sein Verhängnis;
treibt. Allerdings ist diese Macht keine äußerliche. Die Astrologie oder der
Glaube, daß selbst die Natur nichts Anderes zu thun habe, als das Geschick der
Menschen symbolisch darzustellen, ist eigentlich nur die Mystik des alle Schranken
übersteigenden Ehrgeizes, der selbst das Glück steh dienstbar zu machen wähnt,
und doch zu sehr seine unmittelbare Einwirkung empfindet, »in nicht durch die
allerroheste Symbolik einem stetigen Zusammenhang zwischen den Mächten des
Schicksals und seinem eigenen Ehrgeiz nachzustreben. Die ganze Komposition, in
der wir selber das Verhängniß von allen Seiten über Wallenstein hereinbrechen
sehen, während der sonst so planvolle, tiefschauende, seinen Umgebungen durchaus
überlegene Manu allein blind dagegen ist, und sogar in seinem Aberglauben wähnt,
der einzige klar Sehende unter lauter Thoren zu sein, ist von einer tragischen
Ironie, die kaum ihres Gleichen in der dramatischen Kunst findet.

In der „Maria Stuart" zeigt sich der Einfluß der Schicksalsidee schon in
der Wahl der Heldin. Eigentlich sollte Elisabeth die dramatische Hauptperson sein,
denn sie ist es, die handelt, die eine Schuld begeht, und die infolge dessen das Ver¬
hängniß trifft, von allen Menschen, die sie achtet, verlassen zu werden, während
Maria nur ein Schlachtopfer ist, und eigentlich nichts dazu beiträgt, ihr Schicksal
herbeizuführen oder nnr zu beschleunigen. Daß sie früher eine Schuld begangen
hat, kann an der Sache nichts ändern, den» diese Schuld hat zu ihrem nach¬
folgenden Schicksal kein rechtliches Verhältniß. Sie wird uns auch ganz im
Dunkeln gelassen; wir begreifen nicht, wie die Maria, die wir anf dem Theater
sehen, jemals eine Unthat habe begehen können, und sie begreift es eigentlich
selber nicht. Der Dichter hat, um das Verhältniß einigermaßen wiederherzustellen,
zur Idee des Katholicismus greifen müssen, daß man durch ein ungerechtes
Leiden eine andere Schuld, die damit nicht im Zusammenhang steht, büßen könne,
und er hat eben darum den Katholicismus mit einer Wärme und mit einem Farben-


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[0029] auf Shakespeare zu übertragen, wenn man den Accent seiner Stücke ver¬ ändert. Der glänzendste Gebrauch, den Schiller von dem Dämonischen gemacht hat, ist unstreitig im „Wallenstein". Bei diesem, wie bei den übrigen Stücken Schillers, müssen wir daran erinnern, daß der Hauptvorzug des Dichters, in dem ihm in Deutsch¬ land kein andrer Dichter, in der gesammten Weltliteratur mir Shakespeare gleich¬ kommt, in der idealen poetischen Darstellung des wirklichen geschichtlichen Lebens besteht. Aber auch in der Auffassung Wallensteins als einer dämonischen Natur liegt eine bewundernswürdige Genialität, die leider nur dadurch etwas verkümmert wird, daß der Dichter vou Zeit zu Zeit in seinem Streben nach allgemein menschlicher Idealität zu sehr humanisirt und modernisirt. So kommt uns hier von Zeit zu Zeit der Charakter Wallensteins gar zu gemüthlich vor, und die übrigens ganz poetische Auslegung, die Max von der Sternkunde gibt, stört uns in dem Schänder vor jener dunklen Nacht, die den Helden in sein Verhängnis; treibt. Allerdings ist diese Macht keine äußerliche. Die Astrologie oder der Glaube, daß selbst die Natur nichts Anderes zu thun habe, als das Geschick der Menschen symbolisch darzustellen, ist eigentlich nur die Mystik des alle Schranken übersteigenden Ehrgeizes, der selbst das Glück steh dienstbar zu machen wähnt, und doch zu sehr seine unmittelbare Einwirkung empfindet, »in nicht durch die allerroheste Symbolik einem stetigen Zusammenhang zwischen den Mächten des Schicksals und seinem eigenen Ehrgeiz nachzustreben. Die ganze Komposition, in der wir selber das Verhängniß von allen Seiten über Wallenstein hereinbrechen sehen, während der sonst so planvolle, tiefschauende, seinen Umgebungen durchaus überlegene Manu allein blind dagegen ist, und sogar in seinem Aberglauben wähnt, der einzige klar Sehende unter lauter Thoren zu sein, ist von einer tragischen Ironie, die kaum ihres Gleichen in der dramatischen Kunst findet. In der „Maria Stuart" zeigt sich der Einfluß der Schicksalsidee schon in der Wahl der Heldin. Eigentlich sollte Elisabeth die dramatische Hauptperson sein, denn sie ist es, die handelt, die eine Schuld begeht, und die infolge dessen das Ver¬ hängniß trifft, von allen Menschen, die sie achtet, verlassen zu werden, während Maria nur ein Schlachtopfer ist, und eigentlich nichts dazu beiträgt, ihr Schicksal herbeizuführen oder nnr zu beschleunigen. Daß sie früher eine Schuld begangen hat, kann an der Sache nichts ändern, den» diese Schuld hat zu ihrem nach¬ folgenden Schicksal kein rechtliches Verhältniß. Sie wird uns auch ganz im Dunkeln gelassen; wir begreifen nicht, wie die Maria, die wir anf dem Theater sehen, jemals eine Unthat habe begehen können, und sie begreift es eigentlich selber nicht. Der Dichter hat, um das Verhältniß einigermaßen wiederherzustellen, zur Idee des Katholicismus greifen müssen, daß man durch ein ungerechtes Leiden eine andere Schuld, die damit nicht im Zusammenhang steht, büßen könne, und er hat eben darum den Katholicismus mit einer Wärme und mit einem Farben-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/29>, abgerufen am 05.02.2025.