Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.reichthum geschildert, der lediglich aus künstlerischen Motiven hervorgeht, der aber Auch die "Jungfrau von Orleans" ist eine ganz dämonische Natur, und das In der "Braut von Messina" tritt die Schicksalsidee so handgreiflich auf, reichthum geschildert, der lediglich aus künstlerischen Motiven hervorgeht, der aber Auch die „Jungfrau von Orleans" ist eine ganz dämonische Natur, und das In der „Braut von Messina" tritt die Schicksalsidee so handgreiflich auf, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0030" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96735"/> <p xml:id="ID_62" prev="#ID_61"> reichthum geschildert, der lediglich aus künstlerischen Motiven hervorgeht, der aber<lb/> bei unserm Publicum stets mit Recht Anstoß erregen wird, denn man soll-die<lb/> sittlichen Motive nicht dem Kunstwerk zu Liebe sich ausklügeln, sondern ans ihnen<lb/> heraus das Kunstwerk empfinden. Die Schicksalsidee, d. h. die Hervorhebung<lb/> des äußern Verhängnisses über die menschliche Freiheit, der Werke über den<lb/> Glauben, der äußern Ereignisse über den geistigen Gehalt, wird stets eine gewisse<lb/> Neigung zum Katholicismus herbeiführen. — Uebrigens streitet bei Schiller in<lb/> diesem Stück fortwährend das realistische und das dämonische Princip, und geniale<lb/> Schauspieler können es so wenden, daß man in der Scene zwischen den beiden<lb/> Königinnen herausfühlt, was auch Elisabeth sagt, daß dieselbe Maria, die ihren<lb/> Gemahl ermordet, nachdem sie lange Resignation und Entsagung geübt, jetzt<lb/> plötzlich in ihrer ganzen dämonischen Natur wieder hervortritt, ihr wahres Gesicht<lb/> zeigt und dadurch ihr Schicksal beschleunigt. So faßt die Rachel die Rolle ans.<lb/> Alsdann kommt auch in die verhängnißvolle Schönheit der Königin, die alle<lb/> Männer entzündet, sich für sie, ohne ihr Zuthun, in blinde Verschwörungen ein¬<lb/> zulassen, und grade dadurch die bedrohte Gegnerin zur Nothwehr zu reizen, ein<lb/> mehr geistiger Inhalt, und in dem wahnsinnigen Benehmen Mortimers, vor<lb/> welchem Maria selbst sich entsetzt, empfinden wir dann nicht mehr blos die<lb/> Wirkung der Schönheit, sondern der dämonischen schuldvollen Schönheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_63"> Auch die „Jungfrau von Orleans" ist eine ganz dämonische Natur, und das<lb/> Stück neigt sich daher wieder zum Katholischen. Das Motiv, an welches sich der<lb/> äußere Mechanismus des Stücks knüpft, das strenge Verbot der Liebe, die Ver¬<lb/> letzung desselben durch ein unwillkürlich hervortretendes Gefühl, in welchem also<lb/> doch eigentlich keine Schuld enthalte» sein sollte, und das daraus hervorgehende<lb/> entsetzende Gefühl der Schuld, dieses Motiv ist ein durchaus romantisches, und<lb/> der Dichter hat auch, um es wenigstens der Phantasie einzuprägen, eine über¬<lb/> große Zahl sinnlicher Mittel angewendet, wodurch das ganze Stück einen opern-<lb/> haften Anstrich erhält. Daß auch hinter dieser Mystik sich eine wahre, tiefe, echt<lb/> menschliche Idee versteckt, daß die Jungfrau in dem Gefühl ihrer Schuld eigentlich<lb/> nur die Begriffe verkehrt, da sie durch das Gefühl der Liebe zum ersten Mal<lb/> zum Bewußtsein kommt, sie sei ein Weib, was sie bisher in ihrer Tödtung der<lb/> Engländer vergessen hatte, das haben wir bereits an einem andern Orte ange¬<lb/> deutet. Als gottcrfüllte Heilige ging die Jungfrau ganz in die Abstraction ihrer<lb/> Pflicht aus. Sie fühlte den innern Widerspruch ihres Wesens nicht, den ihr<lb/> Vater bereits ganz richtig herauserkannte. Als liebendes Weib dagegen erkennt<lb/> sie mit Schrecken ihre dämonische Doppelnatur, und der Fluch ihres Vaters ist<lb/> mir der äußere Ausdruck für das Entsetzen, das sie vor sich selber empfindet. —<lb/> Aber diese Analyse des Gefühls ist zu wenig dramatisch ausgedrückt, und wir<lb/> haben daher immer den Eindruck vou etwas Fremdartigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_64" next="#ID_65"> In der „Braut von Messina" tritt die Schicksalsidee so handgreiflich auf,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0030]
reichthum geschildert, der lediglich aus künstlerischen Motiven hervorgeht, der aber
bei unserm Publicum stets mit Recht Anstoß erregen wird, denn man soll-die
sittlichen Motive nicht dem Kunstwerk zu Liebe sich ausklügeln, sondern ans ihnen
heraus das Kunstwerk empfinden. Die Schicksalsidee, d. h. die Hervorhebung
des äußern Verhängnisses über die menschliche Freiheit, der Werke über den
Glauben, der äußern Ereignisse über den geistigen Gehalt, wird stets eine gewisse
Neigung zum Katholicismus herbeiführen. — Uebrigens streitet bei Schiller in
diesem Stück fortwährend das realistische und das dämonische Princip, und geniale
Schauspieler können es so wenden, daß man in der Scene zwischen den beiden
Königinnen herausfühlt, was auch Elisabeth sagt, daß dieselbe Maria, die ihren
Gemahl ermordet, nachdem sie lange Resignation und Entsagung geübt, jetzt
plötzlich in ihrer ganzen dämonischen Natur wieder hervortritt, ihr wahres Gesicht
zeigt und dadurch ihr Schicksal beschleunigt. So faßt die Rachel die Rolle ans.
Alsdann kommt auch in die verhängnißvolle Schönheit der Königin, die alle
Männer entzündet, sich für sie, ohne ihr Zuthun, in blinde Verschwörungen ein¬
zulassen, und grade dadurch die bedrohte Gegnerin zur Nothwehr zu reizen, ein
mehr geistiger Inhalt, und in dem wahnsinnigen Benehmen Mortimers, vor
welchem Maria selbst sich entsetzt, empfinden wir dann nicht mehr blos die
Wirkung der Schönheit, sondern der dämonischen schuldvollen Schönheit.
Auch die „Jungfrau von Orleans" ist eine ganz dämonische Natur, und das
Stück neigt sich daher wieder zum Katholischen. Das Motiv, an welches sich der
äußere Mechanismus des Stücks knüpft, das strenge Verbot der Liebe, die Ver¬
letzung desselben durch ein unwillkürlich hervortretendes Gefühl, in welchem also
doch eigentlich keine Schuld enthalte» sein sollte, und das daraus hervorgehende
entsetzende Gefühl der Schuld, dieses Motiv ist ein durchaus romantisches, und
der Dichter hat auch, um es wenigstens der Phantasie einzuprägen, eine über¬
große Zahl sinnlicher Mittel angewendet, wodurch das ganze Stück einen opern-
haften Anstrich erhält. Daß auch hinter dieser Mystik sich eine wahre, tiefe, echt
menschliche Idee versteckt, daß die Jungfrau in dem Gefühl ihrer Schuld eigentlich
nur die Begriffe verkehrt, da sie durch das Gefühl der Liebe zum ersten Mal
zum Bewußtsein kommt, sie sei ein Weib, was sie bisher in ihrer Tödtung der
Engländer vergessen hatte, das haben wir bereits an einem andern Orte ange¬
deutet. Als gottcrfüllte Heilige ging die Jungfrau ganz in die Abstraction ihrer
Pflicht aus. Sie fühlte den innern Widerspruch ihres Wesens nicht, den ihr
Vater bereits ganz richtig herauserkannte. Als liebendes Weib dagegen erkennt
sie mit Schrecken ihre dämonische Doppelnatur, und der Fluch ihres Vaters ist
mir der äußere Ausdruck für das Entsetzen, das sie vor sich selber empfindet. —
Aber diese Analyse des Gefühls ist zu wenig dramatisch ausgedrückt, und wir
haben daher immer den Eindruck vou etwas Fremdartigen.
In der „Braut von Messina" tritt die Schicksalsidee so handgreiflich auf,
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