Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.und Zusammenhang wird uns verschwiege". Charakteristisch ist aber ein einzelner Weit freier und rücksichtsloser gab sich Schiller dem dämonischen Princip und Zusammenhang wird uns verschwiege». Charakteristisch ist aber ein einzelner Weit freier und rücksichtsloser gab sich Schiller dem dämonischen Princip <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96733"/> <p xml:id="ID_57" prev="#ID_56"> und Zusammenhang wird uns verschwiege». Charakteristisch ist aber ein einzelner<lb/> Zug/ der uns grade durch die hineingelegte mystische Deutung in das Reich des<lb/> Dämonischen versetzt. Nach der alten Sage wurde Proserpina an die Unterwelt<lb/> gefesselt, weil sie daselbst einen Apfel gegessen. Die Schuld steht in gar keinem<lb/> verständlichen Verhältniß zu dem daraus hervorgehenden Schicksal. Ganz ähnlich<lb/> ist es mit Eugenie. Es wird ihr verboten, einen Schrank zu öffnen, in welchem<lb/> ihr festliche Kleiber zum Geschenk geschickt werden; sie übertritt dieses Verbot<lb/> und verfällt dadurch ihrem Verhängnis). Aber aus welche Weise das eine mit<lb/> mit dem anderen zusammenhängt, davon empfangen wir auch nicht einmal eine<lb/> Ahnung. Wenn wir es schon nicht begreifen, wie der König sich bestimmen läßt,<lb/> das Verbaunnngödecret gegen Eugenie zu unterzeichnen, so ist es uns vollends<lb/> unerklärlich, wie jene Eröffnung des Schranks irgend wie ein Motiv dazu hat<lb/> hergeben können. So finden wir uns mitten in der Prädestinationstheorie,<lb/> und dem menschlichen Zusammenhang von Ursache und Wirkung entrückt. Das<lb/> Motiv verfehlt hier seinen Eindruck, weil wir nicht sehen, ans welche Weise es<lb/> wirkt. Es hätte aber ganz gewiß das Gemüth tragisch erregt, wenn uus über<lb/> diesen Punkt ein Verständniß eröffnet wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_58" next="#ID_59"> Weit freier und rücksichtsloser gab sich Schiller dem dämonischen Princip<lb/> hin. Schon daß er überhaupt daran gewöhnt war, weniger im einzelnen zu<lb/> motiviren — was Goethe ganz mit Recht, freilich nur von einem bestimmten<lb/> Gesichtspunkt ans, als einen Vorzug empfindet — machte ihn dazu geneigter,<lb/> das den Menschen treffende Verhängniß in eine lebendige Gesammtvorstellung<lb/> zusammenzudrängen, die sich der individuellen Wirksamkeit entzog. Sehr lehrreich<lb/> ist in dieser Beziehung seine Bearbeitung des Macbeth. Die beiden Prophezeihungen<lb/> der Hexen find in der eigentlichen Tragödie Shakespeares nicht im Sinn der<lb/> alten Orakel aufzufassen, sie sind vielmehr dramatische Motive, deren Wirkung<lb/> wir vollständig ermessen können. Durch die erste Prophezeihung wird Macbeth<lb/> der Ehrgeiz klar, der im stillen bereits in seiner Brust schlummerte, und eS wird<lb/> ihm zugleich der Muth zu seinem Unternehmen gegeben. Durch die zweite wird<lb/> er in trügerische Sicherheit gewiegt, zu rücksichtsloser Tyrannei verführt und da¬<lb/> durch endlich der rächenden Gerechtigkeit preisgegeben. Daß die Hexen die<lb/> Zukunft, wenn auch in einem verkehrten Sinn, richtig prophezeihen, ist ein acci-<lb/> denteller Umstand, ans den wenigstens nicht insofern Gewicht gelegt wird, als<lb/> dadurch die Freiheit des Helden irgendwie beeinträchtigt wäre. Macbeth rennt<lb/> nicht blind in seine Schuld, wie Oedipus, sondern sehend. Shakespeare hat<lb/> daher sehr weise aus seinen Hexen Unheilsfignren der gemeinsten Art gemacht.<lb/> Sie sind teuflisch, aber nicht dämonisch. Schiller dagegen hat sie in seiner Be¬<lb/> arbeitung zu idealisiren gesucht und ihnen dadurch eine Stellung im Drama<lb/> gegeben, die ihnen nicht zukommt. Es ist das ohne Zweifel eine Einwirkung<lb/> der antik-romantischen Schicksalsidee, die man sehr leicht versucht sein kann,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
und Zusammenhang wird uns verschwiege». Charakteristisch ist aber ein einzelner
Zug/ der uns grade durch die hineingelegte mystische Deutung in das Reich des
Dämonischen versetzt. Nach der alten Sage wurde Proserpina an die Unterwelt
gefesselt, weil sie daselbst einen Apfel gegessen. Die Schuld steht in gar keinem
verständlichen Verhältniß zu dem daraus hervorgehenden Schicksal. Ganz ähnlich
ist es mit Eugenie. Es wird ihr verboten, einen Schrank zu öffnen, in welchem
ihr festliche Kleiber zum Geschenk geschickt werden; sie übertritt dieses Verbot
und verfällt dadurch ihrem Verhängnis). Aber aus welche Weise das eine mit
mit dem anderen zusammenhängt, davon empfangen wir auch nicht einmal eine
Ahnung. Wenn wir es schon nicht begreifen, wie der König sich bestimmen läßt,
das Verbaunnngödecret gegen Eugenie zu unterzeichnen, so ist es uns vollends
unerklärlich, wie jene Eröffnung des Schranks irgend wie ein Motiv dazu hat
hergeben können. So finden wir uns mitten in der Prädestinationstheorie,
und dem menschlichen Zusammenhang von Ursache und Wirkung entrückt. Das
Motiv verfehlt hier seinen Eindruck, weil wir nicht sehen, ans welche Weise es
wirkt. Es hätte aber ganz gewiß das Gemüth tragisch erregt, wenn uus über
diesen Punkt ein Verständniß eröffnet wäre.
Weit freier und rücksichtsloser gab sich Schiller dem dämonischen Princip
hin. Schon daß er überhaupt daran gewöhnt war, weniger im einzelnen zu
motiviren — was Goethe ganz mit Recht, freilich nur von einem bestimmten
Gesichtspunkt ans, als einen Vorzug empfindet — machte ihn dazu geneigter,
das den Menschen treffende Verhängniß in eine lebendige Gesammtvorstellung
zusammenzudrängen, die sich der individuellen Wirksamkeit entzog. Sehr lehrreich
ist in dieser Beziehung seine Bearbeitung des Macbeth. Die beiden Prophezeihungen
der Hexen find in der eigentlichen Tragödie Shakespeares nicht im Sinn der
alten Orakel aufzufassen, sie sind vielmehr dramatische Motive, deren Wirkung
wir vollständig ermessen können. Durch die erste Prophezeihung wird Macbeth
der Ehrgeiz klar, der im stillen bereits in seiner Brust schlummerte, und eS wird
ihm zugleich der Muth zu seinem Unternehmen gegeben. Durch die zweite wird
er in trügerische Sicherheit gewiegt, zu rücksichtsloser Tyrannei verführt und da¬
durch endlich der rächenden Gerechtigkeit preisgegeben. Daß die Hexen die
Zukunft, wenn auch in einem verkehrten Sinn, richtig prophezeihen, ist ein acci-
denteller Umstand, ans den wenigstens nicht insofern Gewicht gelegt wird, als
dadurch die Freiheit des Helden irgendwie beeinträchtigt wäre. Macbeth rennt
nicht blind in seine Schuld, wie Oedipus, sondern sehend. Shakespeare hat
daher sehr weise aus seinen Hexen Unheilsfignren der gemeinsten Art gemacht.
Sie sind teuflisch, aber nicht dämonisch. Schiller dagegen hat sie in seiner Be¬
arbeitung zu idealisiren gesucht und ihnen dadurch eine Stellung im Drama
gegeben, die ihnen nicht zukommt. Es ist das ohne Zweifel eine Einwirkung
der antik-romantischen Schicksalsidee, die man sehr leicht versucht sein kann,
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