Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Schönheit einer Sirene, die alle Augenblicke den widerlichen Fischleib her¬
vorkehrt.

Dasjenige Werk, durch welches Arnim wol am längsten im Gedächtniß
des deutschen Volks fortleben wird, ist des Knaben Wunderhorn. Auch in
dieser Sammlung deutscher Volkslieder macht sich die eigenthümliche Weise seines
poetischen Schaffens geltend. Sie ist keineswegs historisch correct, es kam Arnim,
der überhaupt keinen Sinn für Raum und Zeit hatte, nicht darauf an, die echten
Quellen herzustellen nud ihnen überall ihre historische Stellung anzuweisen, son¬
dern nur den Geist der Poesie, wie er sich in der Eigenthümlichkeit des deutschen
Volkes krystallisirt hatte, in einem lebendigen Bilde zusammenzufassen. Und dies
ist ihm in der That gelungen. Der Ton, der in diesen Volksliedern herrscht,
dem er häufig mit sehr unhistorischer Freiheit nachgeholfen hat, ist wirklich der
echt deutsche, er ist derselbe, der uns in den besten Liedern von Göthe, Novalis,
Uhland, Eichendorff, Heine, freundlich entgegenweht, und zu dem wir immer
werden zurückkehren müssen, wenn wir uns eine Zeitlang nach unserer gewöhn¬
lichen deutschen Art fruchtlos an fremden Weisen abgemüht haben. Darum
bleibt dieses Wunderhorn ein dauernder nud schöner Besitz unseres Volkes, und
wenn auch in der neuen, zum Theil noch durch die Gebrüder Grimm besorgten
Ausgabe das historisch-kritische Moment etwas mehr hervortritt, so bleibt doch
das Hauptverdienst des Buches jener poetische nationale Ton, der uns wie Gegen¬
wart anspricht und der gegen die zeitlichen Unterschiede gleichgiltig ist.




Ginige Bemerkungen über die Gewandhausconcerte.*)

In der rheinischen Mustkzeitung finden wir einen Artikel über die Anforde¬
rungen, welche unsere Zeit an die Concertinstitute zu stellen berechtigt sein soll,
mit specieller Bezugnahme auf die Leipziger Gewandhausconcerte. Der Gegen¬
stand ist wichtig genng, um nach allen Seiten hin in Anregung gebracht zu
werden; wir müssen aber offen gestehen, daß wir wenigstens im allgemeinen
entschieden für die jetzige Leitung der Concerte gegen die Ansichten jenes Artikels
Partei nehmend

Uns scheint der Hauptzweck dieser großen Concertinstitute für die Gegenwart
ein konservativer zu sein. Das letzte Viertel der vorigen und das erste Viertel
des gegenwärtigen Jahrhunderts hat in Deutschland eine so unerhörte Fülle
musikalischer Schöpfungen vom ersten Range hervorgerufen, daß wir die Klage



Localer Verhältnisse wegen bemerken wir, daß unser verehrter Mitarbeiter, Herr Musik¬
direktor Niccins, diesem Artikel sowie den musikalischen Referate" überhaupt gegenwärtig fern
st Die Red. eht, und daß diese von einem andern Referenten herrühren.
''
23*

Schönheit einer Sirene, die alle Augenblicke den widerlichen Fischleib her¬
vorkehrt.

Dasjenige Werk, durch welches Arnim wol am längsten im Gedächtniß
des deutschen Volks fortleben wird, ist des Knaben Wunderhorn. Auch in
dieser Sammlung deutscher Volkslieder macht sich die eigenthümliche Weise seines
poetischen Schaffens geltend. Sie ist keineswegs historisch correct, es kam Arnim,
der überhaupt keinen Sinn für Raum und Zeit hatte, nicht darauf an, die echten
Quellen herzustellen nud ihnen überall ihre historische Stellung anzuweisen, son¬
dern nur den Geist der Poesie, wie er sich in der Eigenthümlichkeit des deutschen
Volkes krystallisirt hatte, in einem lebendigen Bilde zusammenzufassen. Und dies
ist ihm in der That gelungen. Der Ton, der in diesen Volksliedern herrscht,
dem er häufig mit sehr unhistorischer Freiheit nachgeholfen hat, ist wirklich der
echt deutsche, er ist derselbe, der uns in den besten Liedern von Göthe, Novalis,
Uhland, Eichendorff, Heine, freundlich entgegenweht, und zu dem wir immer
werden zurückkehren müssen, wenn wir uns eine Zeitlang nach unserer gewöhn¬
lichen deutschen Art fruchtlos an fremden Weisen abgemüht haben. Darum
bleibt dieses Wunderhorn ein dauernder nud schöner Besitz unseres Volkes, und
wenn auch in der neuen, zum Theil noch durch die Gebrüder Grimm besorgten
Ausgabe das historisch-kritische Moment etwas mehr hervortritt, so bleibt doch
das Hauptverdienst des Buches jener poetische nationale Ton, der uns wie Gegen¬
wart anspricht und der gegen die zeitlichen Unterschiede gleichgiltig ist.




Ginige Bemerkungen über die Gewandhausconcerte.*)

In der rheinischen Mustkzeitung finden wir einen Artikel über die Anforde¬
rungen, welche unsere Zeit an die Concertinstitute zu stellen berechtigt sein soll,
mit specieller Bezugnahme auf die Leipziger Gewandhausconcerte. Der Gegen¬
stand ist wichtig genng, um nach allen Seiten hin in Anregung gebracht zu
werden; wir müssen aber offen gestehen, daß wir wenigstens im allgemeinen
entschieden für die jetzige Leitung der Concerte gegen die Ansichten jenes Artikels
Partei nehmend

Uns scheint der Hauptzweck dieser großen Concertinstitute für die Gegenwart
ein konservativer zu sein. Das letzte Viertel der vorigen und das erste Viertel
des gegenwärtigen Jahrhunderts hat in Deutschland eine so unerhörte Fülle
musikalischer Schöpfungen vom ersten Range hervorgerufen, daß wir die Klage



Localer Verhältnisse wegen bemerken wir, daß unser verehrter Mitarbeiter, Herr Musik¬
direktor Niccins, diesem Artikel sowie den musikalischen Referate» überhaupt gegenwärtig fern
st Die Red. eht, und daß diese von einem andern Referenten herrühren.
''
23*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0187" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96892"/>
          <p xml:id="ID_499" prev="#ID_498"> Schönheit einer Sirene, die alle Augenblicke den widerlichen Fischleib her¬<lb/>
vorkehrt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_500"> Dasjenige Werk, durch welches Arnim wol am längsten im Gedächtniß<lb/>
des deutschen Volks fortleben wird, ist des Knaben Wunderhorn. Auch in<lb/>
dieser Sammlung deutscher Volkslieder macht sich die eigenthümliche Weise seines<lb/>
poetischen Schaffens geltend. Sie ist keineswegs historisch correct, es kam Arnim,<lb/>
der überhaupt keinen Sinn für Raum und Zeit hatte, nicht darauf an, die echten<lb/>
Quellen herzustellen nud ihnen überall ihre historische Stellung anzuweisen, son¬<lb/>
dern nur den Geist der Poesie, wie er sich in der Eigenthümlichkeit des deutschen<lb/>
Volkes krystallisirt hatte, in einem lebendigen Bilde zusammenzufassen. Und dies<lb/>
ist ihm in der That gelungen. Der Ton, der in diesen Volksliedern herrscht,<lb/>
dem er häufig mit sehr unhistorischer Freiheit nachgeholfen hat, ist wirklich der<lb/>
echt deutsche, er ist derselbe, der uns in den besten Liedern von Göthe, Novalis,<lb/>
Uhland, Eichendorff, Heine, freundlich entgegenweht, und zu dem wir immer<lb/>
werden zurückkehren müssen, wenn wir uns eine Zeitlang nach unserer gewöhn¬<lb/>
lichen deutschen Art fruchtlos an fremden Weisen abgemüht haben. Darum<lb/>
bleibt dieses Wunderhorn ein dauernder nud schöner Besitz unseres Volkes, und<lb/>
wenn auch in der neuen, zum Theil noch durch die Gebrüder Grimm besorgten<lb/>
Ausgabe das historisch-kritische Moment etwas mehr hervortritt, so bleibt doch<lb/>
das Hauptverdienst des Buches jener poetische nationale Ton, der uns wie Gegen¬<lb/>
wart anspricht und der gegen die zeitlichen Unterschiede gleichgiltig ist.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ginige Bemerkungen über die Gewandhausconcerte.*)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_501"> In der rheinischen Mustkzeitung finden wir einen Artikel über die Anforde¬<lb/>
rungen, welche unsere Zeit an die Concertinstitute zu stellen berechtigt sein soll,<lb/>
mit specieller Bezugnahme auf die Leipziger Gewandhausconcerte. Der Gegen¬<lb/>
stand ist wichtig genng, um nach allen Seiten hin in Anregung gebracht zu<lb/>
werden; wir müssen aber offen gestehen, daß wir wenigstens im allgemeinen<lb/>
entschieden für die jetzige Leitung der Concerte gegen die Ansichten jenes Artikels<lb/>
Partei nehmend</p><lb/>
          <p xml:id="ID_502" next="#ID_503"> Uns scheint der Hauptzweck dieser großen Concertinstitute für die Gegenwart<lb/>
ein konservativer zu sein. Das letzte Viertel der vorigen und das erste Viertel<lb/>
des gegenwärtigen Jahrhunderts hat in Deutschland eine so unerhörte Fülle<lb/>
musikalischer Schöpfungen vom ersten Range hervorgerufen, daß wir die Klage</p><lb/>
          <note xml:id="FID_15" place="foot"> Localer Verhältnisse wegen bemerken wir, daß unser verehrter Mitarbeiter, Herr Musik¬<lb/>
direktor Niccins, diesem Artikel sowie den musikalischen Referate» überhaupt gegenwärtig fern<lb/>
st<note type="byline"> Die Red.</note> eht, und daß diese von einem andern Referenten herrühren.<lb/>
''</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 23*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0187] Schönheit einer Sirene, die alle Augenblicke den widerlichen Fischleib her¬ vorkehrt. Dasjenige Werk, durch welches Arnim wol am längsten im Gedächtniß des deutschen Volks fortleben wird, ist des Knaben Wunderhorn. Auch in dieser Sammlung deutscher Volkslieder macht sich die eigenthümliche Weise seines poetischen Schaffens geltend. Sie ist keineswegs historisch correct, es kam Arnim, der überhaupt keinen Sinn für Raum und Zeit hatte, nicht darauf an, die echten Quellen herzustellen nud ihnen überall ihre historische Stellung anzuweisen, son¬ dern nur den Geist der Poesie, wie er sich in der Eigenthümlichkeit des deutschen Volkes krystallisirt hatte, in einem lebendigen Bilde zusammenzufassen. Und dies ist ihm in der That gelungen. Der Ton, der in diesen Volksliedern herrscht, dem er häufig mit sehr unhistorischer Freiheit nachgeholfen hat, ist wirklich der echt deutsche, er ist derselbe, der uns in den besten Liedern von Göthe, Novalis, Uhland, Eichendorff, Heine, freundlich entgegenweht, und zu dem wir immer werden zurückkehren müssen, wenn wir uns eine Zeitlang nach unserer gewöhn¬ lichen deutschen Art fruchtlos an fremden Weisen abgemüht haben. Darum bleibt dieses Wunderhorn ein dauernder nud schöner Besitz unseres Volkes, und wenn auch in der neuen, zum Theil noch durch die Gebrüder Grimm besorgten Ausgabe das historisch-kritische Moment etwas mehr hervortritt, so bleibt doch das Hauptverdienst des Buches jener poetische nationale Ton, der uns wie Gegen¬ wart anspricht und der gegen die zeitlichen Unterschiede gleichgiltig ist. Ginige Bemerkungen über die Gewandhausconcerte.*) In der rheinischen Mustkzeitung finden wir einen Artikel über die Anforde¬ rungen, welche unsere Zeit an die Concertinstitute zu stellen berechtigt sein soll, mit specieller Bezugnahme auf die Leipziger Gewandhausconcerte. Der Gegen¬ stand ist wichtig genng, um nach allen Seiten hin in Anregung gebracht zu werden; wir müssen aber offen gestehen, daß wir wenigstens im allgemeinen entschieden für die jetzige Leitung der Concerte gegen die Ansichten jenes Artikels Partei nehmend Uns scheint der Hauptzweck dieser großen Concertinstitute für die Gegenwart ein konservativer zu sein. Das letzte Viertel der vorigen und das erste Viertel des gegenwärtigen Jahrhunderts hat in Deutschland eine so unerhörte Fülle musikalischer Schöpfungen vom ersten Range hervorgerufen, daß wir die Klage Localer Verhältnisse wegen bemerken wir, daß unser verehrter Mitarbeiter, Herr Musik¬ direktor Niccins, diesem Artikel sowie den musikalischen Referate» überhaupt gegenwärtig fern st Die Red. eht, und daß diese von einem andern Referenten herrühren. '' 23*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/187
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/187>, abgerufen am 05.02.2025.