Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.über die Sterilität unserer heutigen Komponisten eigentlich nicht begreifen. Auf Das Leipziger Gewandhaus hat seine Aufgabe vollkommen verstanden. Es über die Sterilität unserer heutigen Komponisten eigentlich nicht begreifen. Auf Das Leipziger Gewandhaus hat seine Aufgabe vollkommen verstanden. Es <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96893"/> <p xml:id="ID_503" prev="#ID_502"> über die Sterilität unserer heutigen Komponisten eigentlich nicht begreifen. Auf<lb/> jede übergroße Anstrengung des Schöpfnngsvcrmögens in einer bestimmten<lb/> Gattung folgt regelmäßig eine Periode der Erschlaffung, oder, um uns bestimmter<lb/> auszudrücken, der vorwiegenden Receptivität. Wir müssen uns hüten, eine solche<lb/> Periode des bloßen Verarbeitens unbedingt der schöpferischen Periode nachzustellen.<lb/> Wir sind zwar fest davon überzeugt, wenn wir darin anch einer großen Zahl von<lb/> Kritikern, die hochschwanger vom Geist der Neuzeit sind, widersprechen müssen,<lb/> daß Wagner, Meyerbeer und die übrigen Helden des Tages Haydn, Mozart und<lb/> Beethoven keineswegs an die Seite zu stelle» sind, daß es sogar ziemlich lächerlich<lb/> ist, diese Namen nebeneinander zu nennen, trotzdem müssen wir behaupten, daß die<lb/> musikalische Bildung unserer Zeit höher steht, als die musikalische Bildung der<lb/> Zeit Beethovens. Als Beethoven lebte, war der Genuß an seinen Werken das<lb/> Privilegium weniger Auserwählten, heute dagegen folgt die größte Masse des<lb/> Volkes mit Andacht, Begeisterung, ja wir möchten fast behaupten mit Verständniß<lb/> den kühnen Eingebungen seines Dämons. Zwar wissen wir recht gut, daß auch<lb/> hier die Mode sehr viel thut, daß nicht alle, die in das Gewandhaus gehen,<lb/> nicht alle, die mit anerkennenswerther, aber hoffnungsloser Beharrlichkeit ihren<lb/> Fingern eine Sonate von Beethoven einprägen, von unverfälschten Kunstinteresse<lb/> bestimmt werden. Wir wissen recht gut, daß für manchen Besucher der Concerte<lb/> die Toilette die Hauptsache ist, und daß er sich die Musik nur nebenbei als das<lb/> erträglichste und unschädlichste aller Geräusche gefallen läßt. Aber wir behaupten,<lb/> daß bei der weit überwiegenden Mehrzahl das Interesse ein echtes und naives<lb/> ist. Vielleicht würden sie Beethoven nicht bewundern, wenn sie nicht vorher gehört<lb/> hätten, daß Beethoven bewundernswerth ist, aber ein solcher Einfluß der Kritik,<lb/> der Autorität und der Tradition auf den Geschmack des Publicums ist bei allen<lb/> Künsten ebenso nothwendig als heilsam und stört nicht im mindesten die Wahrheit<lb/> des Eindrucks. Wir wollen ganz von dem Publicum der große« Concerte, in<lb/> denen durch den Ernst und die Feierlichkeit der ganzen Haltung die Seele schon<lb/> von vornherein poetischer gestimmt wird, absehen, und nur auf so unvollkommene<lb/> Leistungen hinweisen, wie man z. B. in Berlin in den Gartenconcertcn antrifft.<lb/> Wir haben dort das Publicum, das lediglich den Mittelclassen angehörte, mit<lb/> einer Aufmerksamkeit und Hingebung den Symphonien Beethovens folgen sehen,<lb/> die dem vornehmsten und gebildetsten Cvncertpublicum Ehre machen würde. Wenn<lb/> sich also auch das Unglück ereignete, daß kein einziger unserer neuen Componisten<lb/> etwas Anderes zuwegebrächte, als eine gebildete Verarbeitung der alten Ideen,<lb/> (wie das deun in der That zum großen Theil der Fall ist), so würde der Musik<lb/> doch noch immer eine große Aufgabe bleibe», nämlich, den alten Geist in das<lb/> Fleisch und Blut der Nation zu übertragen. Und als Träger dieser ehrenvollen<lb/> Aufgabe betrachten wir vorzugsweise die großen Concertinstitute.</p><lb/> <p xml:id="ID_504" next="#ID_505"> Das Leipziger Gewandhaus hat seine Aufgabe vollkommen verstanden. Es</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0188]
über die Sterilität unserer heutigen Komponisten eigentlich nicht begreifen. Auf
jede übergroße Anstrengung des Schöpfnngsvcrmögens in einer bestimmten
Gattung folgt regelmäßig eine Periode der Erschlaffung, oder, um uns bestimmter
auszudrücken, der vorwiegenden Receptivität. Wir müssen uns hüten, eine solche
Periode des bloßen Verarbeitens unbedingt der schöpferischen Periode nachzustellen.
Wir sind zwar fest davon überzeugt, wenn wir darin anch einer großen Zahl von
Kritikern, die hochschwanger vom Geist der Neuzeit sind, widersprechen müssen,
daß Wagner, Meyerbeer und die übrigen Helden des Tages Haydn, Mozart und
Beethoven keineswegs an die Seite zu stelle» sind, daß es sogar ziemlich lächerlich
ist, diese Namen nebeneinander zu nennen, trotzdem müssen wir behaupten, daß die
musikalische Bildung unserer Zeit höher steht, als die musikalische Bildung der
Zeit Beethovens. Als Beethoven lebte, war der Genuß an seinen Werken das
Privilegium weniger Auserwählten, heute dagegen folgt die größte Masse des
Volkes mit Andacht, Begeisterung, ja wir möchten fast behaupten mit Verständniß
den kühnen Eingebungen seines Dämons. Zwar wissen wir recht gut, daß auch
hier die Mode sehr viel thut, daß nicht alle, die in das Gewandhaus gehen,
nicht alle, die mit anerkennenswerther, aber hoffnungsloser Beharrlichkeit ihren
Fingern eine Sonate von Beethoven einprägen, von unverfälschten Kunstinteresse
bestimmt werden. Wir wissen recht gut, daß für manchen Besucher der Concerte
die Toilette die Hauptsache ist, und daß er sich die Musik nur nebenbei als das
erträglichste und unschädlichste aller Geräusche gefallen läßt. Aber wir behaupten,
daß bei der weit überwiegenden Mehrzahl das Interesse ein echtes und naives
ist. Vielleicht würden sie Beethoven nicht bewundern, wenn sie nicht vorher gehört
hätten, daß Beethoven bewundernswerth ist, aber ein solcher Einfluß der Kritik,
der Autorität und der Tradition auf den Geschmack des Publicums ist bei allen
Künsten ebenso nothwendig als heilsam und stört nicht im mindesten die Wahrheit
des Eindrucks. Wir wollen ganz von dem Publicum der große« Concerte, in
denen durch den Ernst und die Feierlichkeit der ganzen Haltung die Seele schon
von vornherein poetischer gestimmt wird, absehen, und nur auf so unvollkommene
Leistungen hinweisen, wie man z. B. in Berlin in den Gartenconcertcn antrifft.
Wir haben dort das Publicum, das lediglich den Mittelclassen angehörte, mit
einer Aufmerksamkeit und Hingebung den Symphonien Beethovens folgen sehen,
die dem vornehmsten und gebildetsten Cvncertpublicum Ehre machen würde. Wenn
sich also auch das Unglück ereignete, daß kein einziger unserer neuen Componisten
etwas Anderes zuwegebrächte, als eine gebildete Verarbeitung der alten Ideen,
(wie das deun in der That zum großen Theil der Fall ist), so würde der Musik
doch noch immer eine große Aufgabe bleibe», nämlich, den alten Geist in das
Fleisch und Blut der Nation zu übertragen. Und als Träger dieser ehrenvollen
Aufgabe betrachten wir vorzugsweise die großen Concertinstitute.
Das Leipziger Gewandhaus hat seine Aufgabe vollkommen verstanden. Es
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