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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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formentwnrs, dessen Grundlagen folgende waren: "Die Nationalrepräsentation
gründet sich auf das allgemeine Stimm recht ohne irgend eine Rücksicht auf
die alte Eintheilung in Stände und Classen, welche abgeschafft ist. Wähler ist
nach vollendetem 21. Jahr jeder schwedische Bürger, der mindestens ein Jahr
lang die zur Wahlberechtigung erforderliche Steuer entrichtet hat. Ausgenommen
sind: die Dienstboten, die gemeinen Soldaten der Linie, die auf Staatskosten
unterhaltenen Bürger, die Individuen, welche zum Verlust der bürgerlichen Rechte
Verurtheilt siud, die Bankrotteurs, die nnter Curatel Stehenden, die Bürger,
welche überführt sind, Stimmen gekauft oder verkauft zu haben. Jeder Wähler
hat nur eine Stimme. Das Wahlrecht wird da ausgeübt, wo der Wähler
Steuer zahlt. Die Wahl hat zwei Stufe". Hundert Wähler auf dem Lande
und fünfzig in den Städten ernennen einen Wahlmann. Die Urwähler stimmen
in verschlossene" Stimmzetteln, die Wahlmänner mündlich und öffentlich. Wahl-
ma"" ka"n jeder Urwähler werde", der über 25 Jahre alt ist. Wählbar zum
Folkting (Volkskammer) ist jeder Urwähler, der mindestens 25 Jahr alt ist. Die
Mitglieder des Folkting sind Wähler für den Landting (Kammer der Grundbe¬
sitzer). Sie stimmen öffentlich. Wählbar für den Landting ist jeder Urwähler
nach vollendetem 35sten Lebensjahr. Der Landtag versammelt sich de" 15. Sep¬
tember jedes Jahres. Er kann oh"e Einwilligung des Königs nicht länger als
drei Monat sitzen. Der König kann ihn anßerordentlicherweise zusammenberufen."

Eine zweite Session des Reformistcncongresses fand vom 18. bis zum 23. Mai
1850 statt. Sie war "och zahlreicher u"d zählte unter ihren Mitgliedern Lars
Hierta, Gründer des Aftonbladö, G. Hierta, Mitarbeiter an demselben Journal
und Hedland, Secretär des Congresses. Die Beschlüsse des vorigen Jahres werden
nach rascher Discussion modificirt und ein Neformeutwurf aufgestellt, dessen Princip
das beschränkte Stimmrecht, indirecte Wahl und zwei Kammern waren. Das
waren die Wünsche der liberalen Partei in Schweden, welche 1849 und Anfang
1850 zahlreiche Anhänger in den Mittelclassen und besonders unter dem kleinen
Landadel und dem Bauernstande zählte. Niemand wollte damals den Entwurf
der Regierung, ausgenommen die "Grauen" oder Laue", die Reactionäre. Je
näher mau indessen dem auf deu 15. September 1850 anberaumten Landtage
rückte, destomehr bewirkte der Wunsch, die so lang ersehnte Reform endlich zu
erhalten, daß man seine Hoffnungen weniger hoch stimmte und der Negiernngs-
entwnrs gewann immer mehr Anhänger. Mehre Journale, unter ihnen das
Aftonblad, hörten auf, ihn zu bekämpfen. Man wollte endlich dieser langen
Agitation ein Ende machen. Diejenigen, welche eine gründlichere Reform verlangten,
waren zu der Meinung gelangt, daß, wen" el"mal der erste Schritt geschehe" sei,
man leicht a"es andere Zugeständnisse erhalten würde. Unter diesen Umständen
trat im November 1850 der Landtag zusammen. Man konnte sicherlich erwarten,
daß der RegiernngSentwurf würde angenommen werden: zum großen Erstannen


formentwnrs, dessen Grundlagen folgende waren: „Die Nationalrepräsentation
gründet sich auf das allgemeine Stimm recht ohne irgend eine Rücksicht auf
die alte Eintheilung in Stände und Classen, welche abgeschafft ist. Wähler ist
nach vollendetem 21. Jahr jeder schwedische Bürger, der mindestens ein Jahr
lang die zur Wahlberechtigung erforderliche Steuer entrichtet hat. Ausgenommen
sind: die Dienstboten, die gemeinen Soldaten der Linie, die auf Staatskosten
unterhaltenen Bürger, die Individuen, welche zum Verlust der bürgerlichen Rechte
Verurtheilt siud, die Bankrotteurs, die nnter Curatel Stehenden, die Bürger,
welche überführt sind, Stimmen gekauft oder verkauft zu haben. Jeder Wähler
hat nur eine Stimme. Das Wahlrecht wird da ausgeübt, wo der Wähler
Steuer zahlt. Die Wahl hat zwei Stufe». Hundert Wähler auf dem Lande
und fünfzig in den Städten ernennen einen Wahlmann. Die Urwähler stimmen
in verschlossene» Stimmzetteln, die Wahlmänner mündlich und öffentlich. Wahl-
ma»» ka»n jeder Urwähler werde», der über 25 Jahre alt ist. Wählbar zum
Folkting (Volkskammer) ist jeder Urwähler, der mindestens 25 Jahr alt ist. Die
Mitglieder des Folkting sind Wähler für den Landting (Kammer der Grundbe¬
sitzer). Sie stimmen öffentlich. Wählbar für den Landting ist jeder Urwähler
nach vollendetem 35sten Lebensjahr. Der Landtag versammelt sich de» 15. Sep¬
tember jedes Jahres. Er kann oh»e Einwilligung des Königs nicht länger als
drei Monat sitzen. Der König kann ihn anßerordentlicherweise zusammenberufen."

Eine zweite Session des Reformistcncongresses fand vom 18. bis zum 23. Mai
1850 statt. Sie war »och zahlreicher u»d zählte unter ihren Mitgliedern Lars
Hierta, Gründer des Aftonbladö, G. Hierta, Mitarbeiter an demselben Journal
und Hedland, Secretär des Congresses. Die Beschlüsse des vorigen Jahres werden
nach rascher Discussion modificirt und ein Neformeutwurf aufgestellt, dessen Princip
das beschränkte Stimmrecht, indirecte Wahl und zwei Kammern waren. Das
waren die Wünsche der liberalen Partei in Schweden, welche 1849 und Anfang
1850 zahlreiche Anhänger in den Mittelclassen und besonders unter dem kleinen
Landadel und dem Bauernstande zählte. Niemand wollte damals den Entwurf
der Regierung, ausgenommen die „Grauen" oder Laue», die Reactionäre. Je
näher mau indessen dem auf deu 15. September 1850 anberaumten Landtage
rückte, destomehr bewirkte der Wunsch, die so lang ersehnte Reform endlich zu
erhalten, daß man seine Hoffnungen weniger hoch stimmte und der Negiernngs-
entwnrs gewann immer mehr Anhänger. Mehre Journale, unter ihnen das
Aftonblad, hörten auf, ihn zu bekämpfen. Man wollte endlich dieser langen
Agitation ein Ende machen. Diejenigen, welche eine gründlichere Reform verlangten,
waren zu der Meinung gelangt, daß, wen» el»mal der erste Schritt geschehe» sei,
man leicht a»es andere Zugeständnisse erhalten würde. Unter diesen Umständen
trat im November 1850 der Landtag zusammen. Man konnte sicherlich erwarten,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/18>, abgerufen am 05.02.2025.