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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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außerordentlichen Steuern. Er war vielleicht damals der populärste Fürst im
deutschen Reiche. Aber Stärke des Willens und Muth der Seele gingen ihm
ab. Er vermochte es nicht, dnrchzugreifen; "die Gewalt der Dinge," sagte er,
"ist stärker als ich selbst." (Lelg, est plus kort eine. mol.) Er paßte nicht zu der,
damaligen Weise des Berliner Hofes.

Seit dem Tode Friedrich des Großen hatte der preußische Staat sein mon¬
archisches Gepräge, die persönliche und stetige Einwirkung des Herrschers verlo¬
ren. Friedrich Wilhelm II. arbeitete weder gern, noch viel, und gab augenblick¬
lichen Stimmungen und Aufregungen nach. Die Parteien des Hofes gewannen
Einfluß auf die Geschäfte, die Beschlüsse waren nicht mehr die Schöpfung eines
lenkenden Willens, sondern die Summe entgegengesetzter Einflüsse auf das Ge¬
müth des Herrschers: Schwanken und Verwirrung griff um sich. "Wie aufsal-
land," klagte Graf Götz -1791, "ist der Unterschied des unsichern und combinir-
ten Ganges unserer Politik gegen das feste, bestimmte und nachdrückliche Beneh¬
men, wodurch Preußen sich vordem bei allen Mächten in Ansehen und Achtung
gesetzt hat." Im Innern verschwand die Sonderung der Geschäftskreise. Die
Offiziere mischten sich in kirchliche Dinge und die Theologen in die Politik; die
Diplomaten hofmeisterten die Feldherren und die Generale redeten in die aus¬
wärtigen Angelegenheiten ein. Man erhielt eine frömmelnde Verwaltung, eine
büreaukratische Kirche, eine politisircude Armee. Kraft der Regierung, Sorge
für das Gesammtwohl, freie Geistesbildung, nationale Politik ginge" verloren.
Die Quelle des Uebels lag in dem Mißverhältniß zwischen dem Princip der
Verfassung und dem Charakter des Königs. Dieser Militärstaat mußte einen
gebornen Feldherrn zu seinem Haupte haben: Friedrich Wilhelm II. aber hatte
keine Festigkeit; er konnte sich selbst nicht beherrschen, und der Staat, den er
allein regieren sollte, zerfiel.

Auf diesem schwankenden Boden bewegte sich nun der Herzog von Braun¬
schweig nicht blos als General, sondern als Parteihaupt. Der französische Krieg
war ihm verhaßt. Er fürchtete das Schlimmste, wenn man selbst in den revolu¬
tionären Krater hineinschritte. Er haßte überdies die Emigranten und die Oestrei¬
cher mit gleicher Stärke. Beide waren ihm die Vertreter aller mittelalterlichen
Mißbräuche, die in Frankreich die Revolution heraufbeschworen hatten und in
Deutschland alles Gedeihen erschwerten. Von einem französischen Kriege erwartete
er nichts als Unheil für die Monarchie Friedrichs 11.: Unheil, wenn man von
der gereizten Revolution geschlagen würde, Unheil, wenn man dnrch seine Siege
die Macht des lothringischen Erbfeindes verdoppelte. Dennoch nahm er den
Auftrag des Königs an, den Feldzugsplan zu entwerfen.

Was das bekannte Manifest des Herzogs von Braunschweig betrifft, so ist
die Entstehungsgeschichte desselben folgende.

Mallet du Pan unterhandelte vom 19. bis AI. Juli zu Mainz als Abge-


außerordentlichen Steuern. Er war vielleicht damals der populärste Fürst im
deutschen Reiche. Aber Stärke des Willens und Muth der Seele gingen ihm
ab. Er vermochte es nicht, dnrchzugreifen; „die Gewalt der Dinge," sagte er,
„ist stärker als ich selbst." (Lelg, est plus kort eine. mol.) Er paßte nicht zu der,
damaligen Weise des Berliner Hofes.

Seit dem Tode Friedrich des Großen hatte der preußische Staat sein mon¬
archisches Gepräge, die persönliche und stetige Einwirkung des Herrschers verlo¬
ren. Friedrich Wilhelm II. arbeitete weder gern, noch viel, und gab augenblick¬
lichen Stimmungen und Aufregungen nach. Die Parteien des Hofes gewannen
Einfluß auf die Geschäfte, die Beschlüsse waren nicht mehr die Schöpfung eines
lenkenden Willens, sondern die Summe entgegengesetzter Einflüsse auf das Ge¬
müth des Herrschers: Schwanken und Verwirrung griff um sich. „Wie aufsal-
land," klagte Graf Götz -1791, „ist der Unterschied des unsichern und combinir-
ten Ganges unserer Politik gegen das feste, bestimmte und nachdrückliche Beneh¬
men, wodurch Preußen sich vordem bei allen Mächten in Ansehen und Achtung
gesetzt hat." Im Innern verschwand die Sonderung der Geschäftskreise. Die
Offiziere mischten sich in kirchliche Dinge und die Theologen in die Politik; die
Diplomaten hofmeisterten die Feldherren und die Generale redeten in die aus¬
wärtigen Angelegenheiten ein. Man erhielt eine frömmelnde Verwaltung, eine
büreaukratische Kirche, eine politisircude Armee. Kraft der Regierung, Sorge
für das Gesammtwohl, freie Geistesbildung, nationale Politik ginge» verloren.
Die Quelle des Uebels lag in dem Mißverhältniß zwischen dem Princip der
Verfassung und dem Charakter des Königs. Dieser Militärstaat mußte einen
gebornen Feldherrn zu seinem Haupte haben: Friedrich Wilhelm II. aber hatte
keine Festigkeit; er konnte sich selbst nicht beherrschen, und der Staat, den er
allein regieren sollte, zerfiel.

Auf diesem schwankenden Boden bewegte sich nun der Herzog von Braun¬
schweig nicht blos als General, sondern als Parteihaupt. Der französische Krieg
war ihm verhaßt. Er fürchtete das Schlimmste, wenn man selbst in den revolu¬
tionären Krater hineinschritte. Er haßte überdies die Emigranten und die Oestrei¬
cher mit gleicher Stärke. Beide waren ihm die Vertreter aller mittelalterlichen
Mißbräuche, die in Frankreich die Revolution heraufbeschworen hatten und in
Deutschland alles Gedeihen erschwerten. Von einem französischen Kriege erwartete
er nichts als Unheil für die Monarchie Friedrichs 11.: Unheil, wenn man von
der gereizten Revolution geschlagen würde, Unheil, wenn man dnrch seine Siege
die Macht des lothringischen Erbfeindes verdoppelte. Dennoch nahm er den
Auftrag des Königs an, den Feldzugsplan zu entwerfen.

Was das bekannte Manifest des Herzogs von Braunschweig betrifft, so ist
die Entstehungsgeschichte desselben folgende.

Mallet du Pan unterhandelte vom 19. bis AI. Juli zu Mainz als Abge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/176>, abgerufen am 06.02.2025.