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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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umsoweniger geneigt, als derselbe seine mühsam wiedererrnngenen belgischen
Provinzen sofort ans das Spiel setzte. Zu Pillnitz unterzeichnete er mit dem
Könige Friedrich Wilhelm nnr eine Erklärung, welche in allgemeinen Ausdrücken
den bedrohten deutschen Grenzlanden Hilfe zusagte: sie verlor aber ihre Spitze
völlig durch die bestimmt betonte Voraussetzung, daß mau alle europäischen Mächte
zur Mitwirkung einladen, und "dann und in diesem Falle" ernstlich zu Werke
gehen wolle. Leopold schrieb an demselben Tage dem Fürsten Kaunitz, er habe
sich durchaus im allgemeinen und von jeder bindenden Zusicherung fern gehalten.
Einige näher präcisirte Artikel, welche der in Pillnitz anwesende Graf Artois
mitgebracht hatte, blieben uuunterzeichnet aus dem Tische liegen. Sowenig be¬
gründet ist die so oft wiederholte Ansicht, daß in Pillnitz die erste Kreditive zum
Angriff auf die französische Revolution beschlossen worden sei. Der Versuch der
nordischen Mächte und der Emigranten, Leopold zu sich hinüberzuziehen, mißglückte
vollständig. Nachdem Ludwig XVI. am 16. September die neue Verfassung an¬
genommen hatte, erklärte Leopold hiermit die französische Frage für erledigt. Der
König von Preußen dagegen, hiermit durchaus nicht einverstanden, wendete sich
an Ludwig selbst, bot ihm bedeutende Geldunterstützung an und erklärte sich bereit,
persönlich sein Heer gegen die Jakobiner zu führen. Ludwig, der Leopolds
Politik aus innerster Ueberzeugung billigte, ließ dies Schreiben geraume Zeit
ohne Antwort, und so kam i" Berlin ganz natürlich alles in Aufschub.

Indessen erklärte die Nationalversammlung in Paris am is. Januar sich
für den Krieg. Die Feuillants wurden gestürzt und die Gironde bildete das neue
Cabinet. Deutschland rüstete sich: am Rhein langten die Colonnen des preußi¬
schen Heeres an. König Friedrich Wilhelm II. sah in dem Abschluß des Februar-
Vertrags mit Oestreich gegen Frankreich den feurigsten seiner Wünsche erfüllt.
Die Bändigung der Revolution schien ihm zugleich ein wahrhaft fürstlicher Beruf
und ein erfrischender Wechsel in dem ewigen Einerlei. Er war entschlossen, per¬
sönlich sein Heer zu begleiten; "und wenn mir tausend Teufel in den Weg treten,
ich marschire doch," erklärte er einem Emigranten. Gleichwol war eine große
und mächtige Partei an seinem Hofe gegen den Krieg. Diese Partei war nicht
im Stande gewesen, dem König aus der langjährigen Opposition gegen Oestreich
in das östreichische Lager zu folgen. Ihr Vertreter war der augenblicklich etwas
zurückgesetzte Prinz Heinrich, in dem Friedrichs des Großen Ruhm fortlebte;
zu ihr gehörten fast alle höheren und älteren Offiziere der Armee, namentlich der
Feldherr selbst, der im Revolutionskriege den Oberbefehl führen sollte, der Herzog
Ferdinand von Braunschweig, damals unbestritten das erste kriegerische Talent
in Europa. Er war aber zugleich ein eifriger Theilnehmer und Beschützer jeder
geistigen Bildung und ein äußerst thätiger und bürgerlich einfacher Verwalter.
Er hatte seinen Staat mit einer Schuldenlast von 7 Millionen Thalern übernom¬
men und 4 davon in 11 Jahren getilgt. 1790 erließ "r seinem Volke alle


umsoweniger geneigt, als derselbe seine mühsam wiedererrnngenen belgischen
Provinzen sofort ans das Spiel setzte. Zu Pillnitz unterzeichnete er mit dem
Könige Friedrich Wilhelm nnr eine Erklärung, welche in allgemeinen Ausdrücken
den bedrohten deutschen Grenzlanden Hilfe zusagte: sie verlor aber ihre Spitze
völlig durch die bestimmt betonte Voraussetzung, daß mau alle europäischen Mächte
zur Mitwirkung einladen, und „dann und in diesem Falle" ernstlich zu Werke
gehen wolle. Leopold schrieb an demselben Tage dem Fürsten Kaunitz, er habe
sich durchaus im allgemeinen und von jeder bindenden Zusicherung fern gehalten.
Einige näher präcisirte Artikel, welche der in Pillnitz anwesende Graf Artois
mitgebracht hatte, blieben uuunterzeichnet aus dem Tische liegen. Sowenig be¬
gründet ist die so oft wiederholte Ansicht, daß in Pillnitz die erste Kreditive zum
Angriff auf die französische Revolution beschlossen worden sei. Der Versuch der
nordischen Mächte und der Emigranten, Leopold zu sich hinüberzuziehen, mißglückte
vollständig. Nachdem Ludwig XVI. am 16. September die neue Verfassung an¬
genommen hatte, erklärte Leopold hiermit die französische Frage für erledigt. Der
König von Preußen dagegen, hiermit durchaus nicht einverstanden, wendete sich
an Ludwig selbst, bot ihm bedeutende Geldunterstützung an und erklärte sich bereit,
persönlich sein Heer gegen die Jakobiner zu führen. Ludwig, der Leopolds
Politik aus innerster Ueberzeugung billigte, ließ dies Schreiben geraume Zeit
ohne Antwort, und so kam i» Berlin ganz natürlich alles in Aufschub.

Indessen erklärte die Nationalversammlung in Paris am is. Januar sich
für den Krieg. Die Feuillants wurden gestürzt und die Gironde bildete das neue
Cabinet. Deutschland rüstete sich: am Rhein langten die Colonnen des preußi¬
schen Heeres an. König Friedrich Wilhelm II. sah in dem Abschluß des Februar-
Vertrags mit Oestreich gegen Frankreich den feurigsten seiner Wünsche erfüllt.
Die Bändigung der Revolution schien ihm zugleich ein wahrhaft fürstlicher Beruf
und ein erfrischender Wechsel in dem ewigen Einerlei. Er war entschlossen, per¬
sönlich sein Heer zu begleiten; „und wenn mir tausend Teufel in den Weg treten,
ich marschire doch," erklärte er einem Emigranten. Gleichwol war eine große
und mächtige Partei an seinem Hofe gegen den Krieg. Diese Partei war nicht
im Stande gewesen, dem König aus der langjährigen Opposition gegen Oestreich
in das östreichische Lager zu folgen. Ihr Vertreter war der augenblicklich etwas
zurückgesetzte Prinz Heinrich, in dem Friedrichs des Großen Ruhm fortlebte;
zu ihr gehörten fast alle höheren und älteren Offiziere der Armee, namentlich der
Feldherr selbst, der im Revolutionskriege den Oberbefehl führen sollte, der Herzog
Ferdinand von Braunschweig, damals unbestritten das erste kriegerische Talent
in Europa. Er war aber zugleich ein eifriger Theilnehmer und Beschützer jeder
geistigen Bildung und ein äußerst thätiger und bürgerlich einfacher Verwalter.
Er hatte seinen Staat mit einer Schuldenlast von 7 Millionen Thalern übernom¬
men und 4 davon in 11 Jahren getilgt. 1790 erließ «r seinem Volke alle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/175>, abgerufen am 06.02.2025.