Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.acceptirt haben würde. Auch war es stehende Redensart geworden, daß die Pforte Wenn man sich in diesen Punkten ohne Ausnahme täuschte, wird man sich auch Vorgestern hatte der Großherr, was nur selten zu geschehen pflegt, den Minister¬ 20"
acceptirt haben würde. Auch war es stehende Redensart geworden, daß die Pforte Wenn man sich in diesen Punkten ohne Ausnahme täuschte, wird man sich auch Vorgestern hatte der Großherr, was nur selten zu geschehen pflegt, den Minister¬ 20"
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96868"/> <p xml:id="ID_424" prev="#ID_423"> acceptirt haben würde. Auch war es stehende Redensart geworden, daß die Pforte<lb/> nicht im Stande sei, einen Heercskörpcr von 150,000 Mann zu conceutnrcu — gegen¬<lb/> wärtig indeß hat sie in der Bulgarei allein über -100,000 Mann beisammen. Endlich<lb/> hielt man den Enthusiasmus sür den alten Glauben erstorben und er steht nichts<lb/> destoweniger im Begriff, wiederum in hohen Flammen aufzuschlagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_425"> Wenn man sich in diesen Punkten ohne Ausnahme täuschte, wird man sich auch<lb/> in Hinsicht auf den etwaigen Ausgang eines Krieges zwischen Nußland und der Türkei<lb/> täuschen können. Letztere ist noch nicht so schwach, ersteres nicht so übermächtig, als<lb/> daß ein solcher Kampf das russische Heer nothwendig nach Stambul führen müßte.<lb/> Mein Urtheil kommt dabei an und für sich wenig in Betracht, und ich würde es zurück¬<lb/> halten , wenn mein mehrjähriger Aufenthalt Hierselbst und meine Beobachtungen, die ich .<lb/> über die osmanische Armee anzustellen Gelegenheit hatte, mir nicht einige Berechtigung<lb/> gäben, es auszusprechen. Diese Armee ist nicht sür den Krieg im offenen Felde, und<lb/> wo die großen Manövrcs die Entscheidung geben, überhaupt nicht zu größeren taktischen<lb/> Evolutionen geeignet; ohne einen Feldherrn, der sich im Massenkampfe erprobt, ohne<lb/> Untcrbefehlshaber, die auch nur die Fähigkeit besäßen, einen taktischen Gedanken zu<lb/> erfassen, geschweige denn zweckentsprechend auszuführen, ohne Subalterne, durch welche<lb/> die Ordnung innerhalb der Truppenkörper selber garantirt wäre, darf kein Heer an<lb/> Erfolge in der freien Ebene denken. Bei einer, anderen Gelegenheit sprach ich es<lb/> bereits aus, daß die türkische Armee den Versuch, den Russen eine rangiren Schlacht zu<lb/> liefern, mit ihrer Zersprengung würde büßen müssen, und daß nur die Beigabe fremder<lb/> Truppen, ein starkes Mischungsverhältnis; mit französischer oder besser noch englischer In¬<lb/> fanterie, sie davor bewahren werde. Allein ganz andere und durchaus günstige Aus¬<lb/> sichten eröffnen sich für den Fall, wenn das osmanische Heer Position im starken vcr-<lb/> thcidigungssähigcn Berglande, also am Nordsnße des Balkans, bei Schumla, Warna<lb/> oder vor den Riffen der Bergkette selber nimmt. Alles kommt darum daraus an, daß<lb/> Omer Pascha, in dessen Händen, unumschränkt wie seit Bonapartes Zeiten vielleicht in<lb/> denen keines anderen Generals, der Oberbefehl über die türkische Waffeumacht ruht,<lb/> diese Wahrheit erkennt. Es ist ein tüchtiger, mit manchen Talenten ausgerüsteter Kops<lb/> und dabei ein Mann vo'n Charakter, von unbeugsamer und stahlfcster Willenskraft.<lb/> Allein die richtige Einsicht und das Vermögen, andere zum Gehorsam zu bestimmen,<lb/> was so wichtig in einem Falle sein würde, wo es darauf ankäme, den ins Feld ver¬<lb/> langenden türkischen Ungestüm zu bändigen und in einer abwartenden Stellung festzuhalten<lb/> wird bei ihm durch Eitelkeit und Ehrgeiz, durch eine stark vortretende egoistische Ruhm¬<lb/> sucht überboten. Er wäre sähig, so beurtheile ich ihn auf Grund persönlicher Be¬<lb/> kanntschaft, in einem Moment, wo die Leidenschaft, ihn übermannt, das Geschick des<lb/> Krieges aus einen einzigen Wurf zu setzen und es den Russen anheim zu stellen, ein<lb/> siegreiches Austerlitz auch in ihre Annalen einzutragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_426" next="#ID_427"> Vorgestern hatte der Großherr, was nur selten zu geschehen pflegt, den Minister¬<lb/> rath ins Palais von Tschcraghan berufen, wo er selber einer dreistündigen Sitzung (von<lb/> etwas vor 9 Uhr bis gegen 12 Uhr Vormittags) präsidirte. Bald daraus begab er<lb/> sich »ach seinem Kiosk (sprich Käschk) bei den süßen Gewässern. Wie es scheint, hat<lb/> er dort die Nacht zugebracht. Der Harem folgt ihm in solchen Fällen nicht nach.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 20"</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0163]
acceptirt haben würde. Auch war es stehende Redensart geworden, daß die Pforte
nicht im Stande sei, einen Heercskörpcr von 150,000 Mann zu conceutnrcu — gegen¬
wärtig indeß hat sie in der Bulgarei allein über -100,000 Mann beisammen. Endlich
hielt man den Enthusiasmus sür den alten Glauben erstorben und er steht nichts
destoweniger im Begriff, wiederum in hohen Flammen aufzuschlagen.
Wenn man sich in diesen Punkten ohne Ausnahme täuschte, wird man sich auch
in Hinsicht auf den etwaigen Ausgang eines Krieges zwischen Nußland und der Türkei
täuschen können. Letztere ist noch nicht so schwach, ersteres nicht so übermächtig, als
daß ein solcher Kampf das russische Heer nothwendig nach Stambul führen müßte.
Mein Urtheil kommt dabei an und für sich wenig in Betracht, und ich würde es zurück¬
halten , wenn mein mehrjähriger Aufenthalt Hierselbst und meine Beobachtungen, die ich .
über die osmanische Armee anzustellen Gelegenheit hatte, mir nicht einige Berechtigung
gäben, es auszusprechen. Diese Armee ist nicht sür den Krieg im offenen Felde, und
wo die großen Manövrcs die Entscheidung geben, überhaupt nicht zu größeren taktischen
Evolutionen geeignet; ohne einen Feldherrn, der sich im Massenkampfe erprobt, ohne
Untcrbefehlshaber, die auch nur die Fähigkeit besäßen, einen taktischen Gedanken zu
erfassen, geschweige denn zweckentsprechend auszuführen, ohne Subalterne, durch welche
die Ordnung innerhalb der Truppenkörper selber garantirt wäre, darf kein Heer an
Erfolge in der freien Ebene denken. Bei einer, anderen Gelegenheit sprach ich es
bereits aus, daß die türkische Armee den Versuch, den Russen eine rangiren Schlacht zu
liefern, mit ihrer Zersprengung würde büßen müssen, und daß nur die Beigabe fremder
Truppen, ein starkes Mischungsverhältnis; mit französischer oder besser noch englischer In¬
fanterie, sie davor bewahren werde. Allein ganz andere und durchaus günstige Aus¬
sichten eröffnen sich für den Fall, wenn das osmanische Heer Position im starken vcr-
thcidigungssähigcn Berglande, also am Nordsnße des Balkans, bei Schumla, Warna
oder vor den Riffen der Bergkette selber nimmt. Alles kommt darum daraus an, daß
Omer Pascha, in dessen Händen, unumschränkt wie seit Bonapartes Zeiten vielleicht in
denen keines anderen Generals, der Oberbefehl über die türkische Waffeumacht ruht,
diese Wahrheit erkennt. Es ist ein tüchtiger, mit manchen Talenten ausgerüsteter Kops
und dabei ein Mann vo'n Charakter, von unbeugsamer und stahlfcster Willenskraft.
Allein die richtige Einsicht und das Vermögen, andere zum Gehorsam zu bestimmen,
was so wichtig in einem Falle sein würde, wo es darauf ankäme, den ins Feld ver¬
langenden türkischen Ungestüm zu bändigen und in einer abwartenden Stellung festzuhalten
wird bei ihm durch Eitelkeit und Ehrgeiz, durch eine stark vortretende egoistische Ruhm¬
sucht überboten. Er wäre sähig, so beurtheile ich ihn auf Grund persönlicher Be¬
kanntschaft, in einem Moment, wo die Leidenschaft, ihn übermannt, das Geschick des
Krieges aus einen einzigen Wurf zu setzen und es den Russen anheim zu stellen, ein
siegreiches Austerlitz auch in ihre Annalen einzutragen.
Vorgestern hatte der Großherr, was nur selten zu geschehen pflegt, den Minister¬
rath ins Palais von Tschcraghan berufen, wo er selber einer dreistündigen Sitzung (von
etwas vor 9 Uhr bis gegen 12 Uhr Vormittags) präsidirte. Bald daraus begab er
sich »ach seinem Kiosk (sprich Käschk) bei den süßen Gewässern. Wie es scheint, hat
er dort die Nacht zugebracht. Der Harem folgt ihm in solchen Fällen nicht nach.
20"
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |