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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Lesung z" rechnen. Der König Karl Johann starb in dem Momente, wo die
Nefvrmfrage in dieser Weise schwebte. Die Thronbesteigung des neuen Königs
erweckte große Hoffnungen. Prinz Oskar hatte sich stets freisinnig gezeigt und
auf die ersten Pflichten des Königthums durch Arbeiten sich vorbereitet, welche
ihn in den Geist der Neuzeit eingeweiht hatten. Ein Landtag trat im ersten
Jahre seiner Regierung zusammen. Die dreijährige Dauer der Parlamente, die
bis dahin fünfjährig waren, wurde von ihm proclamirt, aber der 4840 ange¬
nommene Reformautrag erlangte nicht eine zweite Lesung. Der erste Minister
der neuen Regierung, Baron Nvrdenfels, erklärte nichtsdestoweniger im Namen
des Königs, daß "die Nefvrmfrage dringlich sei und eine schleunige Prüfung er¬
fordere." Der König selbst sprach bei der Auflösung der Versammlung den for¬
mellen Wunsch aus, daß eine baldige Reform in dem Nepräsentatiousmvdus
eingeführt wurde. In Ausführung dieser Verheißungen wurde in, der That von
der Regierung ein Ausschuß ernannt, um einen Gesetzentwurf abzufassen; aber
ans Männern bestehend, deren Interessen und Ansichten sehr weit auseinander
gingen, brachte dieser Ausschuß einen Bericht zu Stande, der keinen Abschluß
hatte und welchen der am 13. October 1847 zusammengetretene Landtag nicht
einmal zu discutiren sich die Mühe gab. Die Nefvrmfrage wäre vielleicht ver¬
gessen, mindestens noch mehre Jahre vernachlässigt worden, wenn die Februar¬
revolution nicht von neuem die Gemüther aufgeregt hätte.

Die Ereignisse in Frankreich fanden damals in Schweden einen schwachen
Widerhall. Mehre Journale, wie die Reform und die Volksstimme (Fölkels Röstet)
imitirteu oder übersetzten die heftigsten Artikel des "Peuple" von Proudhon
und der "Commune de Paris" von Sobries. Der Odin sprach weitläufig
über die Organisation der Arbeit. Man verlangte das allgemeine Stimmrecht.
Die Arbeiter bildeten Vereine, welche mit dem norwegischen Socialisten Marcus
Thräne sich in Verbindung setzten; sie verfaßten und unterzeichneten Petitionen.
Einige Unruhen, die zu Stockholm am 18. und 19. März ausbrachen, eine
Mißernte in Jemtland>, mehre schmähliche Bankrotte in der Hauptstadt, er-
muthigtcu eine Zeitlang eine Anzahl von Hitzköpfen. Ernsthafter und dauerhafter
als diese frivole Agitation war der neue Aufschwung der liberalen Partei. Ein
Verein von Anhängern derselben hatte sich bereits zu Stockholm gebildet, um
das Reformwerk fortzusetzen und einen Repräsentationsentwurs auf demokrati¬
scher Grundlage abzufassen. Die Wirkung der Fcbruarereignisse machte die De¬
batten dieser Versammlung lebendiger, Provinzialcomitts bildeten sich, corre-
spondirten mit ihr und erweiterten ihren Einfluß. Die Negierung ihrerseits ließ
sich auf einen Widerstand nicht ein, der gefährlich werden konnte. Der König
entließ sein Ministerium und berief in das Cabinet vom 10. April Herrn Zen-
berg, Professor an der Universität zu Lund, der durch seiue Mäßigung in dem
Reformverein von Stockholm sich ausgezeichnet hatte.


Lesung z» rechnen. Der König Karl Johann starb in dem Momente, wo die
Nefvrmfrage in dieser Weise schwebte. Die Thronbesteigung des neuen Königs
erweckte große Hoffnungen. Prinz Oskar hatte sich stets freisinnig gezeigt und
auf die ersten Pflichten des Königthums durch Arbeiten sich vorbereitet, welche
ihn in den Geist der Neuzeit eingeweiht hatten. Ein Landtag trat im ersten
Jahre seiner Regierung zusammen. Die dreijährige Dauer der Parlamente, die
bis dahin fünfjährig waren, wurde von ihm proclamirt, aber der 4840 ange¬
nommene Reformautrag erlangte nicht eine zweite Lesung. Der erste Minister
der neuen Regierung, Baron Nvrdenfels, erklärte nichtsdestoweniger im Namen
des Königs, daß „die Nefvrmfrage dringlich sei und eine schleunige Prüfung er¬
fordere." Der König selbst sprach bei der Auflösung der Versammlung den for¬
mellen Wunsch aus, daß eine baldige Reform in dem Nepräsentatiousmvdus
eingeführt wurde. In Ausführung dieser Verheißungen wurde in, der That von
der Regierung ein Ausschuß ernannt, um einen Gesetzentwurf abzufassen; aber
ans Männern bestehend, deren Interessen und Ansichten sehr weit auseinander
gingen, brachte dieser Ausschuß einen Bericht zu Stande, der keinen Abschluß
hatte und welchen der am 13. October 1847 zusammengetretene Landtag nicht
einmal zu discutiren sich die Mühe gab. Die Nefvrmfrage wäre vielleicht ver¬
gessen, mindestens noch mehre Jahre vernachlässigt worden, wenn die Februar¬
revolution nicht von neuem die Gemüther aufgeregt hätte.

Die Ereignisse in Frankreich fanden damals in Schweden einen schwachen
Widerhall. Mehre Journale, wie die Reform und die Volksstimme (Fölkels Röstet)
imitirteu oder übersetzten die heftigsten Artikel des „Peuple" von Proudhon
und der „Commune de Paris" von Sobries. Der Odin sprach weitläufig
über die Organisation der Arbeit. Man verlangte das allgemeine Stimmrecht.
Die Arbeiter bildeten Vereine, welche mit dem norwegischen Socialisten Marcus
Thräne sich in Verbindung setzten; sie verfaßten und unterzeichneten Petitionen.
Einige Unruhen, die zu Stockholm am 18. und 19. März ausbrachen, eine
Mißernte in Jemtland>, mehre schmähliche Bankrotte in der Hauptstadt, er-
muthigtcu eine Zeitlang eine Anzahl von Hitzköpfen. Ernsthafter und dauerhafter
als diese frivole Agitation war der neue Aufschwung der liberalen Partei. Ein
Verein von Anhängern derselben hatte sich bereits zu Stockholm gebildet, um
das Reformwerk fortzusetzen und einen Repräsentationsentwurs auf demokrati¬
scher Grundlage abzufassen. Die Wirkung der Fcbruarereignisse machte die De¬
batten dieser Versammlung lebendiger, Provinzialcomitts bildeten sich, corre-
spondirten mit ihr und erweiterten ihren Einfluß. Die Negierung ihrerseits ließ
sich auf einen Widerstand nicht ein, der gefährlich werden konnte. Der König
entließ sein Ministerium und berief in das Cabinet vom 10. April Herrn Zen-
berg, Professor an der Universität zu Lund, der durch seiue Mäßigung in dem
Reformverein von Stockholm sich ausgezeichnet hatte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/16>, abgerufen am 05.02.2025.