Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Leidenschaften zu schmeicheln. Den Stockholmer Philistern bot er in der einen
Hälfte seines Journals allerlei Ereignisse, Anekdoten, selbst Wortspiele und Cha¬
raden; er gewöhnte jede" Bürger, der seinen guten Humor und seinen ruhigen
Schlaf sich erhalten wollte, sich nicht schlafen zu legen, ohne diese Lecture genoss?"
zu haben. Auf der andern Seite erhob er sich gegen den Despotismus, griff
Rußland an und kämpfte für Polen. Außerordentlich thätig und reich an Hilfs¬
quellen beschäftigte er seit 1836 in seiner Druckerei eine Dampfmaschine und zahl¬
reiche Arbeiter. Er war und ist noch einer der Hauptverleger und eiuer der
reichsten Fabrikanten Schwedens. Er ist überdies Schiffsrheder, Künstler "ud
Mitglied der Adclskammer auf dem Landtage. Seine ersten Mitarbeiter, Stuz-
zenbecher, Möller und I)r. Wetterbergh, genossen wie er, eines großen Rufes,
und 6000 Leser wurden die Schüler derer, welche man "die sieben Weisen des
Abendblatts" nannte. Der König Karl Johann erweckte ihm einen Nebenbuhler,
das Vaterland (Faderneslaudet). Der vom König gewählte Hauptredacteur dieses
Blattes, Kruseustolpe, war eine Zeitlang der vertrauteste Günstling des Hofes;
jeden Abend befand er sich bei dem König, der ihm die Artikel für den folgen¬
den Tag dictirte. Dem "Vaterlande" gelang es jedoch nicht, die polnische Sache
in Mißcredit zu bringen und Liebe für die Russen zu erwecken. Der Erfolg des
Journals entsprach nicht den Wünschen Bernadvttes, und der Graf Brahe schloß
eines Tags die Thür des königlichen Cabinets Herrn Kruseustolpe. Der Jour¬
nalist machte sich darauf zum Pamphletschreiber und rächte sich grausam. Seine
bis zur Uebertreibung heftigen Satiren verfehlten jedoch das Ziel; die Briefe,
welche Krusenstolpe noch jedes Jahr veröffentlicht, haben keinen Einfluß mehr
auf die öffentliche Meinung. Das Journal, welches er einige Zeit im Sinne der
Negierung redigirt, hatte er bald aufgegeben und das "Vaterland" war unter¬
legen unter dem Spotte des Abendblattes, welches dasselbe nicht mehr Fadernes-
landet, sondern Fauders Eländet, das heißt Teuselselend nannte.

Zu dem Triumph des Aftonblads, einem wahren Fortschritt für die liberale
Partei, kamen die freilich langsamen Fortschritte, welche die Reformbewegung im
Parlament machte. Der Landtag von 1834 hatte mehre Projecte discutirt,
welche von Ständemitgliederu eingereicht waren, und hatte sie alle verworfen;
jedoch die Zulassung der Schmiedemeister zur Nationalvertretung beschlossen.
Der Landtag von 1840 hatte die Nothwendigkeit einer Reform anerkannt, und
die vier Stände hatten nach einer ersten Lesung einen Entwurf angenommen,
der das Zweikammersystem und das Wahlprincip feststellte, er hatte aber nicht
die Sonderung in vier Stände aufgegeben, und überdies war das Präliminar-
votnm, welches verfassungsmäßig von dem nächsten Landtag einstimmig genehmigt
und von dem König sanctionirt werden mußte, nur von den zwei ersten Stän¬
den gleichsam als ein Beweis ihres guten Willens, der sie aber zu nichts ver¬
pflichtete, abgegeben worden. Die Opposition war weit entfernt, auf eine zweite


Leidenschaften zu schmeicheln. Den Stockholmer Philistern bot er in der einen
Hälfte seines Journals allerlei Ereignisse, Anekdoten, selbst Wortspiele und Cha¬
raden; er gewöhnte jede» Bürger, der seinen guten Humor und seinen ruhigen
Schlaf sich erhalten wollte, sich nicht schlafen zu legen, ohne diese Lecture genoss?»
zu haben. Auf der andern Seite erhob er sich gegen den Despotismus, griff
Rußland an und kämpfte für Polen. Außerordentlich thätig und reich an Hilfs¬
quellen beschäftigte er seit 1836 in seiner Druckerei eine Dampfmaschine und zahl¬
reiche Arbeiter. Er war und ist noch einer der Hauptverleger und eiuer der
reichsten Fabrikanten Schwedens. Er ist überdies Schiffsrheder, Künstler »ud
Mitglied der Adclskammer auf dem Landtage. Seine ersten Mitarbeiter, Stuz-
zenbecher, Möller und I)r. Wetterbergh, genossen wie er, eines großen Rufes,
und 6000 Leser wurden die Schüler derer, welche man „die sieben Weisen des
Abendblatts" nannte. Der König Karl Johann erweckte ihm einen Nebenbuhler,
das Vaterland (Faderneslaudet). Der vom König gewählte Hauptredacteur dieses
Blattes, Kruseustolpe, war eine Zeitlang der vertrauteste Günstling des Hofes;
jeden Abend befand er sich bei dem König, der ihm die Artikel für den folgen¬
den Tag dictirte. Dem „Vaterlande" gelang es jedoch nicht, die polnische Sache
in Mißcredit zu bringen und Liebe für die Russen zu erwecken. Der Erfolg des
Journals entsprach nicht den Wünschen Bernadvttes, und der Graf Brahe schloß
eines Tags die Thür des königlichen Cabinets Herrn Kruseustolpe. Der Jour¬
nalist machte sich darauf zum Pamphletschreiber und rächte sich grausam. Seine
bis zur Uebertreibung heftigen Satiren verfehlten jedoch das Ziel; die Briefe,
welche Krusenstolpe noch jedes Jahr veröffentlicht, haben keinen Einfluß mehr
auf die öffentliche Meinung. Das Journal, welches er einige Zeit im Sinne der
Negierung redigirt, hatte er bald aufgegeben und das „Vaterland" war unter¬
legen unter dem Spotte des Abendblattes, welches dasselbe nicht mehr Fadernes-
landet, sondern Fauders Eländet, das heißt Teuselselend nannte.

Zu dem Triumph des Aftonblads, einem wahren Fortschritt für die liberale
Partei, kamen die freilich langsamen Fortschritte, welche die Reformbewegung im
Parlament machte. Der Landtag von 1834 hatte mehre Projecte discutirt,
welche von Ständemitgliederu eingereicht waren, und hatte sie alle verworfen;
jedoch die Zulassung der Schmiedemeister zur Nationalvertretung beschlossen.
Der Landtag von 1840 hatte die Nothwendigkeit einer Reform anerkannt, und
die vier Stände hatten nach einer ersten Lesung einen Entwurf angenommen,
der das Zweikammersystem und das Wahlprincip feststellte, er hatte aber nicht
die Sonderung in vier Stände aufgegeben, und überdies war das Präliminar-
votnm, welches verfassungsmäßig von dem nächsten Landtag einstimmig genehmigt
und von dem König sanctionirt werden mußte, nur von den zwei ersten Stän¬
den gleichsam als ein Beweis ihres guten Willens, der sie aber zu nichts ver¬
pflichtete, abgegeben worden. Die Opposition war weit entfernt, auf eine zweite


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96720"/>
          <p xml:id="ID_23" prev="#ID_22"> Leidenschaften zu schmeicheln. Den Stockholmer Philistern bot er in der einen<lb/>
Hälfte seines Journals allerlei Ereignisse, Anekdoten, selbst Wortspiele und Cha¬<lb/>
raden; er gewöhnte jede» Bürger, der seinen guten Humor und seinen ruhigen<lb/>
Schlaf sich erhalten wollte, sich nicht schlafen zu legen, ohne diese Lecture genoss?»<lb/>
zu haben. Auf der andern Seite erhob er sich gegen den Despotismus, griff<lb/>
Rußland an und kämpfte für Polen. Außerordentlich thätig und reich an Hilfs¬<lb/>
quellen beschäftigte er seit 1836 in seiner Druckerei eine Dampfmaschine und zahl¬<lb/>
reiche Arbeiter. Er war und ist noch einer der Hauptverleger und eiuer der<lb/>
reichsten Fabrikanten Schwedens. Er ist überdies Schiffsrheder, Künstler »ud<lb/>
Mitglied der Adclskammer auf dem Landtage. Seine ersten Mitarbeiter, Stuz-<lb/>
zenbecher, Möller und I)r. Wetterbergh, genossen wie er, eines großen Rufes,<lb/>
und 6000 Leser wurden die Schüler derer, welche man &#x201E;die sieben Weisen des<lb/>
Abendblatts" nannte. Der König Karl Johann erweckte ihm einen Nebenbuhler,<lb/>
das Vaterland (Faderneslaudet). Der vom König gewählte Hauptredacteur dieses<lb/>
Blattes, Kruseustolpe, war eine Zeitlang der vertrauteste Günstling des Hofes;<lb/>
jeden Abend befand er sich bei dem König, der ihm die Artikel für den folgen¬<lb/>
den Tag dictirte. Dem &#x201E;Vaterlande" gelang es jedoch nicht, die polnische Sache<lb/>
in Mißcredit zu bringen und Liebe für die Russen zu erwecken. Der Erfolg des<lb/>
Journals entsprach nicht den Wünschen Bernadvttes, und der Graf Brahe schloß<lb/>
eines Tags die Thür des königlichen Cabinets Herrn Kruseustolpe. Der Jour¬<lb/>
nalist machte sich darauf zum Pamphletschreiber und rächte sich grausam. Seine<lb/>
bis zur Uebertreibung heftigen Satiren verfehlten jedoch das Ziel; die Briefe,<lb/>
welche Krusenstolpe noch jedes Jahr veröffentlicht, haben keinen Einfluß mehr<lb/>
auf die öffentliche Meinung. Das Journal, welches er einige Zeit im Sinne der<lb/>
Negierung redigirt, hatte er bald aufgegeben und das &#x201E;Vaterland" war unter¬<lb/>
legen unter dem Spotte des Abendblattes, welches dasselbe nicht mehr Fadernes-<lb/>
landet, sondern Fauders Eländet, das heißt Teuselselend nannte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_24" next="#ID_25"> Zu dem Triumph des Aftonblads, einem wahren Fortschritt für die liberale<lb/>
Partei, kamen die freilich langsamen Fortschritte, welche die Reformbewegung im<lb/>
Parlament machte. Der Landtag von 1834 hatte mehre Projecte discutirt,<lb/>
welche von Ständemitgliederu eingereicht waren, und hatte sie alle verworfen;<lb/>
jedoch die Zulassung der Schmiedemeister zur Nationalvertretung beschlossen.<lb/>
Der Landtag von 1840 hatte die Nothwendigkeit einer Reform anerkannt, und<lb/>
die vier Stände hatten nach einer ersten Lesung einen Entwurf angenommen,<lb/>
der das Zweikammersystem und das Wahlprincip feststellte, er hatte aber nicht<lb/>
die Sonderung in vier Stände aufgegeben, und überdies war das Präliminar-<lb/>
votnm, welches verfassungsmäßig von dem nächsten Landtag einstimmig genehmigt<lb/>
und von dem König sanctionirt werden mußte, nur von den zwei ersten Stän¬<lb/>
den gleichsam als ein Beweis ihres guten Willens, der sie aber zu nichts ver¬<lb/>
pflichtete, abgegeben worden. Die Opposition war weit entfernt, auf eine zweite</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] Leidenschaften zu schmeicheln. Den Stockholmer Philistern bot er in der einen Hälfte seines Journals allerlei Ereignisse, Anekdoten, selbst Wortspiele und Cha¬ raden; er gewöhnte jede» Bürger, der seinen guten Humor und seinen ruhigen Schlaf sich erhalten wollte, sich nicht schlafen zu legen, ohne diese Lecture genoss?» zu haben. Auf der andern Seite erhob er sich gegen den Despotismus, griff Rußland an und kämpfte für Polen. Außerordentlich thätig und reich an Hilfs¬ quellen beschäftigte er seit 1836 in seiner Druckerei eine Dampfmaschine und zahl¬ reiche Arbeiter. Er war und ist noch einer der Hauptverleger und eiuer der reichsten Fabrikanten Schwedens. Er ist überdies Schiffsrheder, Künstler »ud Mitglied der Adclskammer auf dem Landtage. Seine ersten Mitarbeiter, Stuz- zenbecher, Möller und I)r. Wetterbergh, genossen wie er, eines großen Rufes, und 6000 Leser wurden die Schüler derer, welche man „die sieben Weisen des Abendblatts" nannte. Der König Karl Johann erweckte ihm einen Nebenbuhler, das Vaterland (Faderneslaudet). Der vom König gewählte Hauptredacteur dieses Blattes, Kruseustolpe, war eine Zeitlang der vertrauteste Günstling des Hofes; jeden Abend befand er sich bei dem König, der ihm die Artikel für den folgen¬ den Tag dictirte. Dem „Vaterlande" gelang es jedoch nicht, die polnische Sache in Mißcredit zu bringen und Liebe für die Russen zu erwecken. Der Erfolg des Journals entsprach nicht den Wünschen Bernadvttes, und der Graf Brahe schloß eines Tags die Thür des königlichen Cabinets Herrn Kruseustolpe. Der Jour¬ nalist machte sich darauf zum Pamphletschreiber und rächte sich grausam. Seine bis zur Uebertreibung heftigen Satiren verfehlten jedoch das Ziel; die Briefe, welche Krusenstolpe noch jedes Jahr veröffentlicht, haben keinen Einfluß mehr auf die öffentliche Meinung. Das Journal, welches er einige Zeit im Sinne der Negierung redigirt, hatte er bald aufgegeben und das „Vaterland" war unter¬ legen unter dem Spotte des Abendblattes, welches dasselbe nicht mehr Fadernes- landet, sondern Fauders Eländet, das heißt Teuselselend nannte. Zu dem Triumph des Aftonblads, einem wahren Fortschritt für die liberale Partei, kamen die freilich langsamen Fortschritte, welche die Reformbewegung im Parlament machte. Der Landtag von 1834 hatte mehre Projecte discutirt, welche von Ständemitgliederu eingereicht waren, und hatte sie alle verworfen; jedoch die Zulassung der Schmiedemeister zur Nationalvertretung beschlossen. Der Landtag von 1840 hatte die Nothwendigkeit einer Reform anerkannt, und die vier Stände hatten nach einer ersten Lesung einen Entwurf angenommen, der das Zweikammersystem und das Wahlprincip feststellte, er hatte aber nicht die Sonderung in vier Stände aufgegeben, und überdies war das Präliminar- votnm, welches verfassungsmäßig von dem nächsten Landtag einstimmig genehmigt und von dem König sanctionirt werden mußte, nur von den zwei ersten Stän¬ den gleichsam als ein Beweis ihres guten Willens, der sie aber zu nichts ver¬ pflichtete, abgegeben worden. Die Opposition war weit entfernt, auf eine zweite

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/15
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/15>, abgerufen am 05.02.2025.