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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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bedeutenden Factor seiner Blüte und ergehen sich in allerhand unhaltbaren De-
ductionen, weshalb eine Handelsstadt früher oder später auch Gewerbfleiß pflegen
müsse. Mag es um Hamburg sein! rufen sie, aber Bremen muß um seiner
Fabriken nud Industrieen willen dem großen deutschen Zollverein beitreten, der
für dergleichen Schlitz hat nud gegen jedes Ausland die rauhe Seite feindlicher
Tarifsätze herauskehrt. Wir können uns bei der Analyse dieser Aufstellung hier
nicht aufhalte". Aber im allgemeinen scheint es doch, daß man im wohlverstan¬
denen Interesse der Nation und aller ihrer Glieder nur damit einverstanden sein
konnte, wenn die freien Städte soviel wie möglich auf den Handel beschränkt
blieben nud ihre Industrien dem zollgeschützten Inland abgaben. Denn nach dem
Grundsatz der Theilung der Arbeit hätte damit der Handel diejenigen Stätten
ausschließlich für sich, auf denen nichts ihm seine Lebensluft, die Freiheit beein¬
trächtigt; nud die Fabriken, deren Schntzbedürfnisz wenigstens von den Fabrikanten
noch immer behauptet worden ist, wären ebenfalls glücklich dahin gestellt, wo
dieses ihr vornehmstes Bedürfniß eine vorsorgliche Genugthuung findet.

Es ist überhaupt eine merkwürdige Wahrnehmung, wie der alte Gegensatz
zwischen Handel und Industrie, derselbe, welcher in den endlosen Kämpfen um
Schutzzoll und Handelsfreiheit zu concreten Ausdruck zu gelangen pflegt, auch
in dieser handelspolitischen Frage beiden Lagern durchaus charakteristisch ist. Vom
Handel sprechen die einen, und schreiben das große Wort des Freihandels auf
ihre Fahne, indessen die andern ebenso beharrlich die Interessen der Industrie
wiederkäuen und von nichts so sehr in den deutschen Zollverein hineingezogen
werden, als von der Sehnsucht nach schützenden Positionen im Tarif. An dieser
Beobachtung darf man sich durch die Thatsache nicht irre machen lassen, daß die
Principien selbst diesmal nur sehr zurückhaltend und ungenügend erörtert worden
sind. Das geschah theils, weil die eben vorgegangene eigentliche Zollvereinsfrage
dazu bereits die reichlichste Gelegenheit geboten hatte, und theils wol auch, weil
das Verhältniß der Hansestädte zu Deutschland ohne alle Analogie in der übrigen
Welt und deshalb unter allen Umständen möglichst concret zu behandeln ist.
Inzwischen liegt auch darin ein erfreulicher'Fortschritt, daß die Neigung zu rein
stofflichen und individualisirenden Erörterungen volkswirtschaftlicher Zustände sich
Bahn bricht.

Wie wir bemerkt haben, ist es nicht unsere Meinung, daß die hansestädtische
Anschlußfrage augenblicklich schon zum Spruch reif sei. Da es jedenfalls an den
Hebeln einer thatsächlichen Erledigung fehlt, so kann es sich höchstens darum
handeln, ob die theoretische Debatte in Broschüren und Zeitungen bereits zu
einem gewissen Abschluß gediehen sei oder nicht. Wir verneine" auch das aus
innern Gründen, zu deren Darstellung sich wol später noch einmal Anlaß finden
wird. Soweit aber der änßere Erfolg in Betracht kommen mag, so möchten wir
doch meinen, daß die beiden halbamtlichen Schriften Bremens und Hamburgs


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bedeutenden Factor seiner Blüte und ergehen sich in allerhand unhaltbaren De-
ductionen, weshalb eine Handelsstadt früher oder später auch Gewerbfleiß pflegen
müsse. Mag es um Hamburg sein! rufen sie, aber Bremen muß um seiner
Fabriken nud Industrieen willen dem großen deutschen Zollverein beitreten, der
für dergleichen Schlitz hat nud gegen jedes Ausland die rauhe Seite feindlicher
Tarifsätze herauskehrt. Wir können uns bei der Analyse dieser Aufstellung hier
nicht aufhalte». Aber im allgemeinen scheint es doch, daß man im wohlverstan¬
denen Interesse der Nation und aller ihrer Glieder nur damit einverstanden sein
konnte, wenn die freien Städte soviel wie möglich auf den Handel beschränkt
blieben nud ihre Industrien dem zollgeschützten Inland abgaben. Denn nach dem
Grundsatz der Theilung der Arbeit hätte damit der Handel diejenigen Stätten
ausschließlich für sich, auf denen nichts ihm seine Lebensluft, die Freiheit beein¬
trächtigt; nud die Fabriken, deren Schntzbedürfnisz wenigstens von den Fabrikanten
noch immer behauptet worden ist, wären ebenfalls glücklich dahin gestellt, wo
dieses ihr vornehmstes Bedürfniß eine vorsorgliche Genugthuung findet.

Es ist überhaupt eine merkwürdige Wahrnehmung, wie der alte Gegensatz
zwischen Handel und Industrie, derselbe, welcher in den endlosen Kämpfen um
Schutzzoll und Handelsfreiheit zu concreten Ausdruck zu gelangen pflegt, auch
in dieser handelspolitischen Frage beiden Lagern durchaus charakteristisch ist. Vom
Handel sprechen die einen, und schreiben das große Wort des Freihandels auf
ihre Fahne, indessen die andern ebenso beharrlich die Interessen der Industrie
wiederkäuen und von nichts so sehr in den deutschen Zollverein hineingezogen
werden, als von der Sehnsucht nach schützenden Positionen im Tarif. An dieser
Beobachtung darf man sich durch die Thatsache nicht irre machen lassen, daß die
Principien selbst diesmal nur sehr zurückhaltend und ungenügend erörtert worden
sind. Das geschah theils, weil die eben vorgegangene eigentliche Zollvereinsfrage
dazu bereits die reichlichste Gelegenheit geboten hatte, und theils wol auch, weil
das Verhältniß der Hansestädte zu Deutschland ohne alle Analogie in der übrigen
Welt und deshalb unter allen Umständen möglichst concret zu behandeln ist.
Inzwischen liegt auch darin ein erfreulicher'Fortschritt, daß die Neigung zu rein
stofflichen und individualisirenden Erörterungen volkswirtschaftlicher Zustände sich
Bahn bricht.

Wie wir bemerkt haben, ist es nicht unsere Meinung, daß die hansestädtische
Anschlußfrage augenblicklich schon zum Spruch reif sei. Da es jedenfalls an den
Hebeln einer thatsächlichen Erledigung fehlt, so kann es sich höchstens darum
handeln, ob die theoretische Debatte in Broschüren und Zeitungen bereits zu
einem gewissen Abschluß gediehen sei oder nicht. Wir verneine» auch das aus
innern Gründen, zu deren Darstellung sich wol später noch einmal Anlaß finden
wird. Soweit aber der änßere Erfolg in Betracht kommen mag, so möchten wir
doch meinen, daß die beiden halbamtlichen Schriften Bremens und Hamburgs


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/147>, abgerufen am 05.02.2025.