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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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ofstciellen Sprache der neugranadischen Demagogie heißen dieselben Meinungen
der Gothismns -- ol Kociismo. Jedenfalls hat sich unter der Herrschaft des
Peluconismuö die Lage Chilis fortwährend befestigt, sein Credit wurde gegründet
und cousolidirt. Der Handel blühte und erreichte eine Summe von 23 Millionen
Piaster. Die Bergwerksindustrie hat die Provinzen des Nordens belebt und in
den letzten Jahre" eine Ausfuhr von 200,000 Centner Kupfer und von
400,000 Mark Silber erzeugt. Einige Städte, wie Copiapo und Serena sind
rasch aufgeblüht. Andererseits haben im Süden, in der Provinz Valdivia, deutsche,
von der Negierung gewonnene Familien, Ackerbancvlvnieu gegründet. Die
politischen Parteien selbst empfanden den beruhigenden Einfluß des Friedens, die
revolutionären Elemente verloren ihre Stärke und Lebhaftigkeit. Diese besänftig¬
ten, wenn nicht aufgelösten Elemente fachte sogleich die Februarrevolutiou wieder
an nud flößte ihnen eine neue und furchtbare Gewalt ein; alles beweist den
gewaltigen Wiederhall, welchen die europäische Explosion von 1848 jenseits des
Oceans gefunden hat. Tief war der Eindruck derselbe" besonders bei der
amerikanischen Jugend, welche der Bewegung folgen und eilfertig die Wege der
Demokratie wandeln zu müssen glaubte. Diese leichtsinnigen und glühenden
Nationen erkannten in der Bewegung sofort die socialistische Revolution, und
diese, oder vielmehr die Parodie derselben wollten sie auch jenseits der Andern zu
Staude bringen. Freilich zeigt sich auch in Chili das Elend in seiner ganzen
Nacktheit neben dem Wohlstand; auch ist der Arbeitslohn gering, das Eigenthum
beschränkt und mehr ans die modernen Volksclassen ausgedehnt; selbst die Majorate
bestehen noch, obgleich nur in kleiner Zahl. ANein wie soll die willkürliche Er¬
höhung des Arbeitslohnes die Neigung zur Arbeit und zum Eigenthum bei dem
sogenannten chilenischen Proletarier, dem leichtsinnigen nud trügen Guasso
erzeugen, dessen einzige Sorge die tägliche Kleidung und Nahrung ist, der, wenn
er zufällig in einem Winkel der Anden ein Stück Metall, Erz siudet, es eiligst
für einige Piaster verkauft? Wie soll die gesetzliche Theilung des Eigenthums
daS Problem lösen, unzählige herrenlose Landgebiete zu bevölkern, auf denen
man Pferde und Vieh nährt, weil es an Menschen fehlt, die das Land
anbaue" ?

Unter solchen Verhältnisse" begann, zumal seit 1830, eine Reihe vou Be¬
wegungen, die gewissermaßen einen entfernten Anhang zu den französischen
Revolutionen bilden. Im Schoße des Kongresses selbst entstand ein Verfassnngs-
project, welches bis zu den äußerste" Grenzen der Demokratie geht und zwischen
dem Communismus Louis Blancs und der Anarchie Proudhons schwankt. Nach
dem Vorbild der Volksvereine Frankreichs bildet sich zu Santiago eine Verbindung
unter dem Namen der Gleichheitsgesellschast. Dort hält der Socialismus seine
Sitzungen, ruft die Heiligkeit des Rechts der Revolution an, feiert die Gleichheit
und Brüderlichkeit und das'Recht zur Arbeit. Dort bricht auch der Theaterstreich


ofstciellen Sprache der neugranadischen Demagogie heißen dieselben Meinungen
der Gothismns — ol Kociismo. Jedenfalls hat sich unter der Herrschaft des
Peluconismuö die Lage Chilis fortwährend befestigt, sein Credit wurde gegründet
und cousolidirt. Der Handel blühte und erreichte eine Summe von 23 Millionen
Piaster. Die Bergwerksindustrie hat die Provinzen des Nordens belebt und in
den letzten Jahre» eine Ausfuhr von 200,000 Centner Kupfer und von
400,000 Mark Silber erzeugt. Einige Städte, wie Copiapo und Serena sind
rasch aufgeblüht. Andererseits haben im Süden, in der Provinz Valdivia, deutsche,
von der Negierung gewonnene Familien, Ackerbancvlvnieu gegründet. Die
politischen Parteien selbst empfanden den beruhigenden Einfluß des Friedens, die
revolutionären Elemente verloren ihre Stärke und Lebhaftigkeit. Diese besänftig¬
ten, wenn nicht aufgelösten Elemente fachte sogleich die Februarrevolutiou wieder
an nud flößte ihnen eine neue und furchtbare Gewalt ein; alles beweist den
gewaltigen Wiederhall, welchen die europäische Explosion von 1848 jenseits des
Oceans gefunden hat. Tief war der Eindruck derselbe» besonders bei der
amerikanischen Jugend, welche der Bewegung folgen und eilfertig die Wege der
Demokratie wandeln zu müssen glaubte. Diese leichtsinnigen und glühenden
Nationen erkannten in der Bewegung sofort die socialistische Revolution, und
diese, oder vielmehr die Parodie derselben wollten sie auch jenseits der Andern zu
Staude bringen. Freilich zeigt sich auch in Chili das Elend in seiner ganzen
Nacktheit neben dem Wohlstand; auch ist der Arbeitslohn gering, das Eigenthum
beschränkt und mehr ans die modernen Volksclassen ausgedehnt; selbst die Majorate
bestehen noch, obgleich nur in kleiner Zahl. ANein wie soll die willkürliche Er¬
höhung des Arbeitslohnes die Neigung zur Arbeit und zum Eigenthum bei dem
sogenannten chilenischen Proletarier, dem leichtsinnigen nud trügen Guasso
erzeugen, dessen einzige Sorge die tägliche Kleidung und Nahrung ist, der, wenn
er zufällig in einem Winkel der Anden ein Stück Metall, Erz siudet, es eiligst
für einige Piaster verkauft? Wie soll die gesetzliche Theilung des Eigenthums
daS Problem lösen, unzählige herrenlose Landgebiete zu bevölkern, auf denen
man Pferde und Vieh nährt, weil es an Menschen fehlt, die das Land
anbaue» ?

Unter solchen Verhältnisse» begann, zumal seit 1830, eine Reihe vou Be¬
wegungen, die gewissermaßen einen entfernten Anhang zu den französischen
Revolutionen bilden. Im Schoße des Kongresses selbst entstand ein Verfassnngs-
project, welches bis zu den äußerste» Grenzen der Demokratie geht und zwischen
dem Communismus Louis Blancs und der Anarchie Proudhons schwankt. Nach
dem Vorbild der Volksvereine Frankreichs bildet sich zu Santiago eine Verbindung
unter dem Namen der Gleichheitsgesellschast. Dort hält der Socialismus seine
Sitzungen, ruft die Heiligkeit des Rechts der Revolution an, feiert die Gleichheit
und Brüderlichkeit und das'Recht zur Arbeit. Dort bricht auch der Theaterstreich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/135>, abgerufen am 05.02.2025.