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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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dem Absurde", Verworrenen, Ungenießbaren jetzt das Gewöhnliche und Triviale
unmittelbar beigemischt ist, welches gar in eine so banale Phrasenmacherei aus¬
artet, daß mau sich darüber bei Berlioz wundern muß. Ein so gänzliches Fehl¬
schlagen bei großen Anstrengungen und Ansprüchen ist stets niederschlagend; wir
Deutsche aber haben diesem Werke gegenüber eine eigenthümliche Stellung. Mau
hat gesehen, wie der tief empfundene Organismus des Götheschen Gedichts mit
gleichartigen Händen zerrissen und die zerpflückten Glieder zu den alleränßerlich-
sten Effecten Sinn- und bedeutungslos verbraucht wordeu sind. Bei einem
solchen Mangel an Verständniß kann natürlich von künstlerischer Auffassung und
Darstellung der Situationen und Charaktere sowenig, als der einzelnen Momente
die Rede sein. Wir Deutsche habe" nicht uur das Recht, sondern die Pflicht,
gegen eine solche schmachvolle Verstümmelung und fratzenhafte Entstellung eines
Werkes, das der Nation theuer und werth ist, zu protestiren. Ist ein solches
Appretireu desselben deu Franzosen gemäß, können sie es in dieser Gestalt ge¬
nieße", so mißgömieu wir es ihnen nicht: für uns Deutsche ist und bleibt es ein
Wechselbalg, den uns keine Wichtelmäimchc" ins Haus tragen sollen.




Der Socialismus in Südamerika.

Der Socialismus hat auch in Südamerika reißende Fortschritte gemacht,
Chili und Neugranada sind die Hauptschanplätze desselben. In Chili ist freilich
der Socialismus nur eine Opposition, eine Faction geblieben, der es zwar gelungen
ist, die Negierung in einen Bürgerkrieg zu verwickeln, nicht aber sie zu besiegen.
In Neugranada dagegen ist er gegenwärtig eine Herrschaft, eine Regierung,
die ans der Höhe desselben steht. Gleichwol schien Chili einer der glücklichsten
Staaten zu sein. Zwanzig Jahre des Friedens und Wohlstandes hatten zwanzig
Jahre der Weisheit und gute" Regierung gekrönt und diesem Lande den Ruf
der besten südafrikanischen Republik erworben. Seit 1830 hat Chili nur zwei
Präsidenten gehabt, den General Prieto und den General Balnes, ein Resultat
der Möglichkeit der Wiedererwählung. Der kürzlich erwählte Manuel Monte ist
gegenwärtig der dritte Präsident. Diese zwa"zigjährige Periode bildet das Reich
der co"servative" Politik i" Chili, einer Politik, welche die hervorragendsten
Männer begründet und befolgt haben, die Prieto, Balnes, Portales, letzerer
vielleicht der bedeutendste Politiker der neuen Welt seit der Unabhängigkeit, welcher,
bevor er im Jahre 1837 durch Mörderhaud starb, der eigentliche Gründer der
innern Stabilität gewesen ist; Manuel Monte, der gegenwärtige Chef der Ne¬
gierung, Vavers und Urmeneta, die noch heute Minister sind. Die jungen
chilenischen Demokraten nennen diese Politik den Pelnconismus und in der


dem Absurde», Verworrenen, Ungenießbaren jetzt das Gewöhnliche und Triviale
unmittelbar beigemischt ist, welches gar in eine so banale Phrasenmacherei aus¬
artet, daß mau sich darüber bei Berlioz wundern muß. Ein so gänzliches Fehl¬
schlagen bei großen Anstrengungen und Ansprüchen ist stets niederschlagend; wir
Deutsche aber haben diesem Werke gegenüber eine eigenthümliche Stellung. Mau
hat gesehen, wie der tief empfundene Organismus des Götheschen Gedichts mit
gleichartigen Händen zerrissen und die zerpflückten Glieder zu den alleränßerlich-
sten Effecten Sinn- und bedeutungslos verbraucht wordeu sind. Bei einem
solchen Mangel an Verständniß kann natürlich von künstlerischer Auffassung und
Darstellung der Situationen und Charaktere sowenig, als der einzelnen Momente
die Rede sein. Wir Deutsche habe» nicht uur das Recht, sondern die Pflicht,
gegen eine solche schmachvolle Verstümmelung und fratzenhafte Entstellung eines
Werkes, das der Nation theuer und werth ist, zu protestiren. Ist ein solches
Appretireu desselben deu Franzosen gemäß, können sie es in dieser Gestalt ge¬
nieße», so mißgömieu wir es ihnen nicht: für uns Deutsche ist und bleibt es ein
Wechselbalg, den uns keine Wichtelmäimchc» ins Haus tragen sollen.




Der Socialismus in Südamerika.

Der Socialismus hat auch in Südamerika reißende Fortschritte gemacht,
Chili und Neugranada sind die Hauptschanplätze desselben. In Chili ist freilich
der Socialismus nur eine Opposition, eine Faction geblieben, der es zwar gelungen
ist, die Negierung in einen Bürgerkrieg zu verwickeln, nicht aber sie zu besiegen.
In Neugranada dagegen ist er gegenwärtig eine Herrschaft, eine Regierung,
die ans der Höhe desselben steht. Gleichwol schien Chili einer der glücklichsten
Staaten zu sein. Zwanzig Jahre des Friedens und Wohlstandes hatten zwanzig
Jahre der Weisheit und gute» Regierung gekrönt und diesem Lande den Ruf
der besten südafrikanischen Republik erworben. Seit 1830 hat Chili nur zwei
Präsidenten gehabt, den General Prieto und den General Balnes, ein Resultat
der Möglichkeit der Wiedererwählung. Der kürzlich erwählte Manuel Monte ist
gegenwärtig der dritte Präsident. Diese zwa»zigjährige Periode bildet das Reich
der co»servative» Politik i» Chili, einer Politik, welche die hervorragendsten
Männer begründet und befolgt haben, die Prieto, Balnes, Portales, letzerer
vielleicht der bedeutendste Politiker der neuen Welt seit der Unabhängigkeit, welcher,
bevor er im Jahre 1837 durch Mörderhaud starb, der eigentliche Gründer der
innern Stabilität gewesen ist; Manuel Monte, der gegenwärtige Chef der Ne¬
gierung, Vavers und Urmeneta, die noch heute Minister sind. Die jungen
chilenischen Demokraten nennen diese Politik den Pelnconismus und in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/134>, abgerufen am 05.02.2025.