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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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nur zu mißbilligen, weil sie mit dem Hauptgegenstand in keiner Verbindung steht,
und absichtlich herbeigezogen ist, weil das Gemeine und Ungeschickte musikalisch
nicht komisch, sondern häßlich wirkt, und weil der Spott über ein Allgemeines da,
wo der Componist aus eigener Willkür ein miserables Beispiel geliefert hat,
uicht gerechtfertigt erscheint. Auf diese Fuge fingt dann Mephistopheles sein Lied
vom Floh. Es ist wahr, man Hort die Flohe im Orchester recht artig herum-
springen, übrigens aber ist weder voll'smäßige Derbheit, noch geistreiche Feinheit
in dem Liede zu finden, am wenigsten Wohllaut und Grazie, und man empfindet
nur von neuem mit Mißbehagen, daß Berlivzs Humor uur wie ein Hanswurst
Sprünge macht und Fratzen schneidet.

Das letzte Bild versetzt uns in eine "romantische Gegend an den Ufern der
Elbe." Hoffentlich haben wir nus dieselbe nicht bei Wittenberg zu denken, son-
dern da Faust einmal in Leipzig war, wird er wol weiter gereist^ sein und sich
in Böhmen ein hübsches Plätzchen zum Schlummern ausgesucht haben. Sylphen
und Gnomen singen einen Chor, dem das "Schwindet ihr dunkeln Wölbungen"
zu Grunde liegt, sie bewegen sich im wesentlichen in der durch Mendelsohn typisch
gewordenen Weise; daß die Justrumeutaleffecte gesteigert sind, versteht sich, uicht
so auch die Anmuth und Frische der Erfindung. Der Tanz der Sylphiden hat,
weil es doch deutsche Sylphiden sind, einen walzerartigcn Charakter, und ist, ohne
eigentlich originelle und tiefe Erfindung doch ein recht wohlklingendes Musikstück,
das neben so vielem Unerfreulichen und Verletzenden um so angenehmer ins Ohr
fällt. Den Schluß dieser Scene macht ein Soldatenchor "Burgen mit hohen
Mauern", dem Studenten mit einem Kauäs^mus -- nicht mit der bei uns üb¬
lichen Melodie -- entgegenkommen, worauf beide sich zu einem Ensemble vereini¬
gen, das mehr Lärm als Musik macht.

Der Gesammteindruck kann nicht anders als niederdrückend sein. Man
empfindet fortwährend die Anstrengung, mit welcher der Componist danach
ringt, das Ungewöhnliche und Außerordentliche zu leisten, und daß es ihm an
der unmittelbare" frischen Productionskraft gebricht, die allein dieses Ziel zur
inneren Befriedigung des Hörers wie des Komponisten erreichen kann. Man
steht, wie er sich anspannt, wie er sich aufregt bis zum Krampf im Weinen und
Lachen, wie er grübelt, tastet und sucht, alle äußeren Mittel steigert um noch etwas
mehr auszudrücken, als sich künstlerisch ausdrücken läßt, und wenigstens durch
Charakteristik zu wirken, denn die Schönheit läßt sich nicht erzwingen, und es ist
bedeutsam, daß Berlioz bei aller seiner einseitigen Vorliebe für instrumentale Ef¬
fecte selbst den materiellen Wohlklang nur selten und vorübergehend erreicht.
Unverkennbar ist sein Bestreben im Gegensatz gegen frühere Compositionen Klares
und Faßliches zu schreiben. Zum Theil bedingt dies schon das Wort des Textes,
welches mehr Präciston und schärfere Begrenzung verlangt, als die reine Instru-
mentalmusik; davon abgesehen hat jenes Bestreben aber nur dahin geführt, daß


nur zu mißbilligen, weil sie mit dem Hauptgegenstand in keiner Verbindung steht,
und absichtlich herbeigezogen ist, weil das Gemeine und Ungeschickte musikalisch
nicht komisch, sondern häßlich wirkt, und weil der Spott über ein Allgemeines da,
wo der Componist aus eigener Willkür ein miserables Beispiel geliefert hat,
uicht gerechtfertigt erscheint. Auf diese Fuge fingt dann Mephistopheles sein Lied
vom Floh. Es ist wahr, man Hort die Flohe im Orchester recht artig herum-
springen, übrigens aber ist weder voll'smäßige Derbheit, noch geistreiche Feinheit
in dem Liede zu finden, am wenigsten Wohllaut und Grazie, und man empfindet
nur von neuem mit Mißbehagen, daß Berlivzs Humor uur wie ein Hanswurst
Sprünge macht und Fratzen schneidet.

Das letzte Bild versetzt uns in eine „romantische Gegend an den Ufern der
Elbe." Hoffentlich haben wir nus dieselbe nicht bei Wittenberg zu denken, son-
dern da Faust einmal in Leipzig war, wird er wol weiter gereist^ sein und sich
in Böhmen ein hübsches Plätzchen zum Schlummern ausgesucht haben. Sylphen
und Gnomen singen einen Chor, dem das „Schwindet ihr dunkeln Wölbungen"
zu Grunde liegt, sie bewegen sich im wesentlichen in der durch Mendelsohn typisch
gewordenen Weise; daß die Justrumeutaleffecte gesteigert sind, versteht sich, uicht
so auch die Anmuth und Frische der Erfindung. Der Tanz der Sylphiden hat,
weil es doch deutsche Sylphiden sind, einen walzerartigcn Charakter, und ist, ohne
eigentlich originelle und tiefe Erfindung doch ein recht wohlklingendes Musikstück,
das neben so vielem Unerfreulichen und Verletzenden um so angenehmer ins Ohr
fällt. Den Schluß dieser Scene macht ein Soldatenchor „Burgen mit hohen
Mauern", dem Studenten mit einem Kauäs^mus — nicht mit der bei uns üb¬
lichen Melodie — entgegenkommen, worauf beide sich zu einem Ensemble vereini¬
gen, das mehr Lärm als Musik macht.

Der Gesammteindruck kann nicht anders als niederdrückend sein. Man
empfindet fortwährend die Anstrengung, mit welcher der Componist danach
ringt, das Ungewöhnliche und Außerordentliche zu leisten, und daß es ihm an
der unmittelbare» frischen Productionskraft gebricht, die allein dieses Ziel zur
inneren Befriedigung des Hörers wie des Komponisten erreichen kann. Man
steht, wie er sich anspannt, wie er sich aufregt bis zum Krampf im Weinen und
Lachen, wie er grübelt, tastet und sucht, alle äußeren Mittel steigert um noch etwas
mehr auszudrücken, als sich künstlerisch ausdrücken läßt, und wenigstens durch
Charakteristik zu wirken, denn die Schönheit läßt sich nicht erzwingen, und es ist
bedeutsam, daß Berlioz bei aller seiner einseitigen Vorliebe für instrumentale Ef¬
fecte selbst den materiellen Wohlklang nur selten und vorübergehend erreicht.
Unverkennbar ist sein Bestreben im Gegensatz gegen frühere Compositionen Klares
und Faßliches zu schreiben. Zum Theil bedingt dies schon das Wort des Textes,
welches mehr Präciston und schärfere Begrenzung verlangt, als die reine Instru-
mentalmusik; davon abgesehen hat jenes Bestreben aber nur dahin geführt, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/133>, abgerufen am 05.02.2025.