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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Der Adel überhaupt, der alte Adel Schwedens, ist nnr noch ein Name.
Von dreitausend in die alten Adelsbücher eingetragene" Familien sind ungefähr noch
1,200 vorhanden, von denen etwa ISO ihren Reichthum behalten haben. Jedes
Jahr entgehen dem Adel, wie die statistischen Berichte ausweisen, große Domä¬
nen und mehr als eine Million Franken, um die Kassen des Bürgers zu füllen
oder unter deu Bauer" sich zu vertheilen. Der Adel ist noch im Besitze der
Hofchargen und einiger Commandos in der Armee oder in der Leibgarde des
Königs; aber er ist im allgemeinen arm und mit dem Reichthum hat er seinen
Credit und sein Ansehen eingebüßt. Viele adlige Familie"hänpter, die ruinirt
sind^ mißbrauchen ihr Privilegium und veräußern für eine oft geringe Summe
das Recht, in der Ständeversammlung zu scheu. Man hat bisweilen in Stockholm
wohl bekannte Lastträger und Kutscher gehabt, welche, Häupter vou alten Adels¬
familien, für jede Legislatur ihre" Sitz im Parlamente verkauften. Der Verfall
des schwedische" Adels datirt von der berühmten, durch König Karl X!. eingeführte"
Neductio" desselben. Ueberdies hat er 1810 dem Privilegien entsagen müssen,
welches seine Domänen als "Frälse" oder Freigüter hatten, vermöge dessen sie
unantastbar, untheilbar und zum große" Theil von den Steuer" befreit waren,
im Gegensatz zu deu "Ofrälseu" oder bürgerliche" Güter". Seit dieser Zeit sind
anch die Fideicommisse "ut Majorate, nicht rechtlich aufgehoben, doch beschränkt
worden. Jede dieser Niederlagen des Adels war natürlich ein Fortschritt sür die
beiden untern Staude, welche sich eng mit dem Königthum gegen den gemein¬
samen Feind verbanden, sich mit allem bereicherten, was der Adel verlor, und
endlich in ihre Reihen viele zu Grunde gerichtete Adlige aufuahnum, welche
durch Ackerbau oder Industrie ihren früheren Wohlstand wiederherzustellen strebten.

Das erste politische Instrument, die erste Waffe des Bürgerthums, ist eine
thätige und freie Presse, weil das Regime der freien Discusstou und der parla¬
mentarischen Sitten allein ihm angemessen ist. Die politische Presse entstand und
wuchs daher in Schweden zu derselben Zeit, als der Mittelstand sich erhob.
Der "Argus" vou Olof Dalin war das erste schwedische Journal. Es erschien
1730 nach dem Muster des englischen Spcctators. Geistvoll und sehr unschuldig
gefiel es "ut verbreitete den Geschmack an der Lectüre. Es folgte "die Post
von Stockholm", gegründet 1778 dnrch Kellgren und Bangri". Dieses Blatt
gab Fabeln in Verse", Idylle, Räthsel, Berichte über Bücher und Theaterstücke;
es wagte sogar politische Neuigkeiten des Auslandes zu bringen und mit denselben
oft ziemlich freie Betrachtungen zu verbinden. Jedoch hatte die Tagespreise in
Schwede" "och keine reelle Macht, bis der Streit der Classiker und Romantiker
ein "junges Schweden" schaffend, ihr eine neue Laufbahn eröffnete, die zuerst
nur literarischer, bald aber politischer Natur war. Infolge dieses Kampfes ließ eine
glühende und begeisterte Jugend den. Ruf Vaterland und Freiheit ertöne", ""d
die öffentliche Meinung, die eben erst sich bildete, wußte in dieser Aufregung


Der Adel überhaupt, der alte Adel Schwedens, ist nnr noch ein Name.
Von dreitausend in die alten Adelsbücher eingetragene» Familien sind ungefähr noch
1,200 vorhanden, von denen etwa ISO ihren Reichthum behalten haben. Jedes
Jahr entgehen dem Adel, wie die statistischen Berichte ausweisen, große Domä¬
nen und mehr als eine Million Franken, um die Kassen des Bürgers zu füllen
oder unter deu Bauer» sich zu vertheilen. Der Adel ist noch im Besitze der
Hofchargen und einiger Commandos in der Armee oder in der Leibgarde des
Königs; aber er ist im allgemeinen arm und mit dem Reichthum hat er seinen
Credit und sein Ansehen eingebüßt. Viele adlige Familie»hänpter, die ruinirt
sind^ mißbrauchen ihr Privilegium und veräußern für eine oft geringe Summe
das Recht, in der Ständeversammlung zu scheu. Man hat bisweilen in Stockholm
wohl bekannte Lastträger und Kutscher gehabt, welche, Häupter vou alten Adels¬
familien, für jede Legislatur ihre» Sitz im Parlamente verkauften. Der Verfall
des schwedische» Adels datirt von der berühmten, durch König Karl X!. eingeführte»
Neductio» desselben. Ueberdies hat er 1810 dem Privilegien entsagen müssen,
welches seine Domänen als „Frälse" oder Freigüter hatten, vermöge dessen sie
unantastbar, untheilbar und zum große» Theil von den Steuer» befreit waren,
im Gegensatz zu deu „Ofrälseu" oder bürgerliche» Güter». Seit dieser Zeit sind
anch die Fideicommisse »ut Majorate, nicht rechtlich aufgehoben, doch beschränkt
worden. Jede dieser Niederlagen des Adels war natürlich ein Fortschritt sür die
beiden untern Staude, welche sich eng mit dem Königthum gegen den gemein¬
samen Feind verbanden, sich mit allem bereicherten, was der Adel verlor, und
endlich in ihre Reihen viele zu Grunde gerichtete Adlige aufuahnum, welche
durch Ackerbau oder Industrie ihren früheren Wohlstand wiederherzustellen strebten.

Das erste politische Instrument, die erste Waffe des Bürgerthums, ist eine
thätige und freie Presse, weil das Regime der freien Discusstou und der parla¬
mentarischen Sitten allein ihm angemessen ist. Die politische Presse entstand und
wuchs daher in Schweden zu derselben Zeit, als der Mittelstand sich erhob.
Der „Argus" vou Olof Dalin war das erste schwedische Journal. Es erschien
1730 nach dem Muster des englischen Spcctators. Geistvoll und sehr unschuldig
gefiel es »ut verbreitete den Geschmack an der Lectüre. Es folgte „die Post
von Stockholm", gegründet 1778 dnrch Kellgren und Bangri». Dieses Blatt
gab Fabeln in Verse», Idylle, Räthsel, Berichte über Bücher und Theaterstücke;
es wagte sogar politische Neuigkeiten des Auslandes zu bringen und mit denselben
oft ziemlich freie Betrachtungen zu verbinden. Jedoch hatte die Tagespreise in
Schwede» »och keine reelle Macht, bis der Streit der Classiker und Romantiker
ein „junges Schweden" schaffend, ihr eine neue Laufbahn eröffnete, die zuerst
nur literarischer, bald aber politischer Natur war. Infolge dieses Kampfes ließ eine
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die öffentliche Meinung, die eben erst sich bildete, wußte in dieser Aufregung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/13>, abgerufen am 05.02.2025.