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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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gemeinte in Hamburg, hatte in Schwede" eine Gemeinde von etwa S0 Personen
gebildet, denen er selbst Taufe und Abendmahl administrirte. Er ist gerichtlich
verfolgt und durch das Tribunal von Gotha verbannt worden. Die Juden
können nur i" den vier Städten Stockholm, Gothenburg, CalScrona und Nor-
köping wohnen; sie entbehren jedes politischen Rechtes, selbst ihr Recht, gerichtliche
Eide abzulegen, ist zweifelhaft. Endlich fürchtet die schwedische Kirche die Fort¬
schritte des Katholicismus. Mau nennt einen Maler, Nilsson, der vor einige"
Jahren gerichtlich aus Stockholm verbannt wurde, weil er zur katholischen Kirche
übergetreten war. Allein die Gnade des Königs hat ihm ein Vaterland gelassen.
Vergeblich hat der Graf Bedingt in der vorletzten Ständeversammlung beantragt,
man möge sich darauf beschränken, die politischen Rechte denjenigen zu entziehen,
welche ihre religiösen Ueberzeugungen veranlaßten, aus der lutherische" Kirche
auszuscheiden, sein Antrag ward als zu freisinnig verworfen. Vergeblich haben
1847 die Juden eine Petition eingereicht, welche vollständige Emancipation
nachsuchte; die Negierung hat Commisstonen ernannt; man hat berathen, alsdann
ihr Gesuch vergessen, und die Juden sind noch heute von dem Rechte ausge¬
schlossen, zu wähle" ""d gewählt zu werde". Auf deu beide" letzten Landtagen hat
ein Deputirter des Bürgerstandes, Wär", vorgeschlagen, den Juden zuvörderst
alle bürgerliche" Rechte zu verleihen, aber nur der Bürgerstand ist auf diese
gerechte Forderung eingegangen. Die drei anderen Stände haben sie stolz ver¬
worfen, -rei aeto. gelegt und sind zur Tagesordnung übergegangen.

Nichtsdestoweniger wird in Schwede" der Fortschritt der Sitten anch den
Fortschritt der Institutionell herbeiführen. In Schweden wie in Fraukreich ist
das Bürgerthum, den Sinn des Wortes Bürger somit erweiternd, im Bunde
mit dem Königthum groß geworden. Das Bürgerthum hat Karl XI. in seinem
Kampfe gegen den Adel unterstützt; hat in allen Kriegen gegen Dänemark dem
Vaterlande die zahlreichsten n"d tapfersten Vertheidiger gestellt. Handel und
Industrie haben seinen Fortschritt gezeitigt. Die ganze Mitte deö 18. Jahrhun¬
derts, jene.Periode, welche mau in Schweden als die Freiheitsperivde bezeichnet,
von 1718 bis 1772, bildete den Anfang einer großen industriellen Epoche.
Polhem eröffnet" sie durch seine trefflichen, mechanischen Arbeiten, indem er die
erste Hand an den Kanal von Gotha legte. Nach ihm war Jonas Alströmer,
einer armen Familie Westgothlaiids entsprossen, der Cvlbert Schwedens. Unter¬
stützt durch seineu Mitbürger, Nicolas Schlyre", und d"res seine eigenen Söhne,
rüstete er Schiffe aus, eröffnete er Maschinerien, gründete er Fabriken und praktische
Schulen und eröffnete seinem Vaterlande eine neue Periode des Wohlstandes, dem
Bürgerstande aber, dessen Mitglied er anfänglich war -- erst später wurde er in den
Adelstand erhoben -- gab er das Uebergewicht des Reichthums. Geeinigt durch das
enge Band, welches Industrie und Ackerbau verbindet, sind Bürger und Bauern
zusammen groß geworden und heutzutage mächtiger als der Adel und die Geistlichkeit.


gemeinte in Hamburg, hatte in Schwede» eine Gemeinde von etwa S0 Personen
gebildet, denen er selbst Taufe und Abendmahl administrirte. Er ist gerichtlich
verfolgt und durch das Tribunal von Gotha verbannt worden. Die Juden
können nur i» den vier Städten Stockholm, Gothenburg, CalScrona und Nor-
köping wohnen; sie entbehren jedes politischen Rechtes, selbst ihr Recht, gerichtliche
Eide abzulegen, ist zweifelhaft. Endlich fürchtet die schwedische Kirche die Fort¬
schritte des Katholicismus. Mau nennt einen Maler, Nilsson, der vor einige»
Jahren gerichtlich aus Stockholm verbannt wurde, weil er zur katholischen Kirche
übergetreten war. Allein die Gnade des Königs hat ihm ein Vaterland gelassen.
Vergeblich hat der Graf Bedingt in der vorletzten Ständeversammlung beantragt,
man möge sich darauf beschränken, die politischen Rechte denjenigen zu entziehen,
welche ihre religiösen Ueberzeugungen veranlaßten, aus der lutherische« Kirche
auszuscheiden, sein Antrag ward als zu freisinnig verworfen. Vergeblich haben
1847 die Juden eine Petition eingereicht, welche vollständige Emancipation
nachsuchte; die Negierung hat Commisstonen ernannt; man hat berathen, alsdann
ihr Gesuch vergessen, und die Juden sind noch heute von dem Rechte ausge¬
schlossen, zu wähle» »»d gewählt zu werde». Auf deu beide» letzten Landtagen hat
ein Deputirter des Bürgerstandes, Wär», vorgeschlagen, den Juden zuvörderst
alle bürgerliche» Rechte zu verleihen, aber nur der Bürgerstand ist auf diese
gerechte Forderung eingegangen. Die drei anderen Stände haben sie stolz ver¬
worfen, -rei aeto. gelegt und sind zur Tagesordnung übergegangen.

Nichtsdestoweniger wird in Schwede» der Fortschritt der Sitten anch den
Fortschritt der Institutionell herbeiführen. In Schweden wie in Fraukreich ist
das Bürgerthum, den Sinn des Wortes Bürger somit erweiternd, im Bunde
mit dem Königthum groß geworden. Das Bürgerthum hat Karl XI. in seinem
Kampfe gegen den Adel unterstützt; hat in allen Kriegen gegen Dänemark dem
Vaterlande die zahlreichsten n»d tapfersten Vertheidiger gestellt. Handel und
Industrie haben seinen Fortschritt gezeitigt. Die ganze Mitte deö 18. Jahrhun¬
derts, jene.Periode, welche mau in Schweden als die Freiheitsperivde bezeichnet,
von 1718 bis 1772, bildete den Anfang einer großen industriellen Epoche.
Polhem eröffnet« sie durch seine trefflichen, mechanischen Arbeiten, indem er die
erste Hand an den Kanal von Gotha legte. Nach ihm war Jonas Alströmer,
einer armen Familie Westgothlaiids entsprossen, der Cvlbert Schwedens. Unter¬
stützt durch seineu Mitbürger, Nicolas Schlyre», und d»res seine eigenen Söhne,
rüstete er Schiffe aus, eröffnete er Maschinerien, gründete er Fabriken und praktische
Schulen und eröffnete seinem Vaterlande eine neue Periode des Wohlstandes, dem
Bürgerstande aber, dessen Mitglied er anfänglich war — erst später wurde er in den
Adelstand erhoben — gab er das Uebergewicht des Reichthums. Geeinigt durch das
enge Band, welches Industrie und Ackerbau verbindet, sind Bürger und Bauern
zusammen groß geworden und heutzutage mächtiger als der Adel und die Geistlichkeit.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/12>, abgerufen am 05.02.2025.